Schwarz-Grün in NRW Von Anfang an unter Erfolgsdruck
Der nordrhein-westfälische Landtag hat Hendrik Wüst erneut zum Regierungschef gewählt. Die erste schwarz-grüne Koalition des Landes hat viel vor - und beide Parteien stehen unter Druck.
Mit Druck kann man so oder so umgehen. Die Spitze der künftigen Landesregierung aus CDU und Grünen in Nordrhein-Westfalen ist dafür gerade ein Beispiel. Während Hendrik Wüst sich den Medien gegenüber eher rar macht, vornehmlich kurze Antworten auf lange Fragen gibt, ist es bei Mona Neubaur, der künftigen Vize-Regierungschefin von den Grünen, anders herum: Ist die Anspannung besonders hoch, neigt sie zur Rede ohne Punkt und Komma, eine Floskel aus dem Baukasten grüner Weltverbesserungsrhetorik reiht sich dann an die nächste.
Druck haben sie beide. Als neuer starker Mann in der CDU musste Wüst nicht nur eine Koalition mit den Grünen verhandeln. Das ist aus CDU-Sicht gelungen, anders ist die überwältigen Zustimmung der Partei zu dem Vertragswerk nicht zu erklären. Jetzt muss Wüst seine Regierungsmannschaft aufstellen, ohne dabei über parteiinterne Fallstricke zu stolpern. Schließlich hofft so manch ein Unterstützer der ersten Stunde, jetzt auch belohnt zu werden. Geschlechterparität, Regionalproporz, Parteiflügel: Da ist einiges zu bedenken.
Eine Regierung zu bilden, bringt immer auch Enttäuschungen mit sich und auf den letzten Metern soll schließlich nichts mehr schiefgehen. Wüst könnte sich angesichts der komfortablen Mehrheit von 18 Stimmen ein oder zwei Abweichler leisten, das entspricht aber nicht seinem Verständnis. Es mag in der Politik Spielertypen geben, die das Risiko suchen, Wüst zählt nicht dazu.
Die Last der Verantwortung
Mona Neubaur merkt man bereits seit der Wahlnacht die Last der Verantwortung an. Ein Bündnis mit der CDU zu verhandeln und fünf Jahre das größte Industrieland der Bundesrepublik zu regieren, ist angesichts der riesigen Erwartungen der eigenen Partei keine Kleinigkeit. Vor allem, wenn man wie Neubaur über keine Regierungs- und nur wenig Parlamentserfahrung verfügt.
Da sich die Grünen als Programmpartei verstehen, der es vor allem auf die Inhalte ankommt, müssen sie sich genau daran messen lassen. Der Druck von Umweltverbänden und Klimaaktivisten ist groß, zufrieden sind sie mit dem Koalitionsvertrag nicht. Vor allem die Grüne Jugend begreift sich als Stimme dieses Unmuts und opponiert seit Tagen auch öffentlich gegen die Vereinbarung mit der CDU. Auf dem Parteitag der Grünen votierten sie denn auch konsequent dagegen.
Viel Raum für Windkraft
Dabei trägt der Vertrag auf den ersten Blick eine grüne Handschrift: Kohleausstieg 2030, Vorfahrt für die Windkraft, Solardachpflicht, mehr Radwege, weniger Flächenfraß. Das Wahlalter soll zur nächsten Landtagswahl auf 16 Jahre gesenkt, der Posten eines unabhängigen Polizeibeauftragten eingerichtet werden. Die CDU konnte dagegen ihren Kurs in der inneren Sicherheit festzurren, kann weiter auf Bürokratieabbau sowie die Stärkung von Mittelstand und Handwerk setzen.
Ob es Misstrauen war oder Leidenschaft? Bemerkenswert ist jedenfalls die Detailtiefe, die sich die Verhandler beim Thema Windkraft gegönnt haben. Vier von 146 Seiten beschäftigen sich nur mit der Windenergie: Die Verzahnung von Bundes-, Landes- und Regionalplanung, der nötige Stellenaufwuchs in den Behörden, die Teilhabe bei der Wertschöpfung und die Kreditvergabe - an alle potenziellen Hindernisse beim Ausbau der Windkraft wurde gedacht. Die Leserin fragt sich, ob das noch ein Koalitionsvertrag oder schon eine Anleitung zur Montage von Windrädern ist.
Erwartbares und Überraschendes
Die weiteren Kapitel lassen ahnen, welche Partei die Feder geführt hat. Spätestens auf der letzten Seite des Vertrags wird die Architektur des künftigen Regierens deutlich, denn dort ist die Ressortverteilung zwischen den Parteien festgehalten. Dieses Grundgerüst ist eine Mischung aus Erwartbarem und Überraschendem.
Nur noch offiziell bestätigt wurden für die CDU Finanzen, Kommunales, Inneres, Gesundheit und Arbeit. Dass die Grünen ein "Superministerium" aus Wirtschaft, Industrie, Klima und Energie bekommen - also das Düsseldorfer Pendant zum Habeck-Ministerium in Berlin - auch damit war zu rechnen. Ebenso mit der Verantwortung für Familie, Gleichstellung und Integration. Obendrein werden die Grünen den Justizminister stellen. Er soll das Gegengewicht zu CDU-Schwergewicht Herbert Reul im Innenressort bilden.
Überraschend ist, dass die Grünen zustimmten, das ehemalige Umwelt- und Landwirtschaftsministerium zu zerschlagen. Das ging einigen grünen Verhandler zu weit, sie machten ihrem Unmut öffentlich Luft. Stattdessen gibt es ein neues Ressort für die Grünen aus Umwelt, Naturschutz und Verkehr. Dass die CDU die Bereiche Landwirtschaft und Forsten übernimmt, war wohl ein Zugeständnis an die starke CDU-Basis im ländlichen Raum.
"Nie wieder Schulministerium"
Ein Ressort, mit dem sich kaum Wahlen gewinnen, aber leicht verlieren lassen, ist in allen Bundesländern die Schulpolitik. Die letzten beiden Wahlen in NRW haben dies eindrucksvoll gezeigt. 2017 halbierten die Grünen ihr Ergebnis, die abgewählte grüne Schulministerin Löhrmann wurde von der Partei zum Mandatsverzicht gedrängt. "Nie, nie, nie wieder Schulministerium" war bei den Grünen zu hören.
Nun versucht die CDU ihr Glück dort und kann so immerhin den gefürchteten Reformeifer von links ausbremsen. Wer der Liberalen Yvonne Gebauer im Ministerium nachfolgt, ist noch offen. Wüst geht auf Nummer sicher und gibt seine CDU-Kabinettsliste erst nach seiner Wiederwahl bekannt. Der Frust, der unweigerlich entsteht, weil die Zahl derer, die auf einen Aufstieg hoffen, immer größer ist als die der zu verteilenden Posten, sollte sich nicht bei seiner Wahl entladen.
Kutschaty: "Eine Koalition der Besserverdienenden"
Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) kann dem Koalitionsvertrag wenig abgewinnen. "Ambitionslos" sei das Werk. "Arbeitnehmer werden nicht viel von dieser Regierung zu erwarten haben", sagt er. CDU und Grüne bilden nach seiner Ansicht eine "Koalition der Besserverdienenden". Schon wittert die SPD ihre Chance, sich in der Sozialpolitik profilieren zu können.
In seinem ersten politischen Leben, als junger Generalsekretär unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), trat Wüst als schneidiger Konservativer auf. Bis er nach einer Politaffäre 2010 seinen Hut nahm. Nach der Wahl zum Landesvorsitzenden im letzten Herbst entschied er sich für einen anderen Stil.
Mit Demutsgesten und freundlichem Auftreten zeichnet er nun das Bild des geläuterten Politikers, der aus seinen Fehlern gelernt hat. Er tritt auf als junger, moderner Landesvater, der gern mal aufs Rad steigt und gut mit den Grünen kann. Er lässt die sozialen Netzwerke mit schönen Bildern bespielen, mit Mona Neubaur ist er mittlerweile per Du.
Was bleibt nach der Euphorie des Anfangs?
Doch Wüst kann auch anders. Seinen Wahlerfolg nutzt er jetzt, um seine Hausmacht in der CDU auch nach innen abzusichern. Offiziell treten etwa der bisherige Fraktionschef Löttgen und Finanzminister Lienenkämper aus privaten Gründen einen Rückzug an. Da in Düsseldorf jeder weiß, dass sie keine Mitglieder im Wüst-Fanclub waren, bleibt auch eine andere Lesart.
Wüst ist nun einer der mächtigen CDU-Männer im Land. "Die Partei macht jetzt, was er will", sagt ein führender Christdemokrat. Mit 46 Jahren Ministerpräsident und Vorsitzender des mitgliederstärksten Landesverbands der Union. Und Teamchef einer schwarz-grünen Regierung, die nach Meinung von Beobachtern im Erfolgsfall auch als Modell für den Bund taugen könnte.
Erfolg oder Misserfolg dieser Regierung hängen vermutlich vor allem an der Frage, wie gut Schwarze und Grüne miteinander klarkommen, wenn die Euphorie des Anfangs verflogen ist. Halten sie auch unter Druck Stand? Oder trägt die erste große Krise sie aus der Kurve? Wie gesagt: Mit Druck kann man so oder so umgehen.