Olaf Scholz
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Scholz' Regierungserklärung Ein Vorgeschmack auf den Wahlkampf?

Stand: 16.10.2024 19:00 Uhr

Immer wenn Olaf Scholz in diesen Tagen im Bundestag ans Rednerpult geht, haben besonders Sozialdemokraten hohe Erwartungen: Sie wollen ihn kämpfen sehen. Wie war das bei der Regierungserklärung heute?

Eine Analyse von Kilian Pfeffer, ARD-Hauptstadtstudio

Der Bundeskanzler hat schon ziemlich lange geredet, zwanzig Minuten etwa, da wird es richtig laut im Plenum. Scholz muss geradezu anschreien gegen eine empörte Unions-Lärmwand. Er hat da eine ganze Reihe von Provokationen gesetzt, wirft CDU-Chef Friedrich Merz vor, er könne "gar nicht aus dem Bett steigen ohne zu sagen, hier wird zu wenig gearbeitet".

Die Familienpolitik der Union sei immer schlecht gewesen, so der Kanzler, und Leistungsträger in der Gesellschaft seien nicht nur die, die ein paar Hunderttausend Euro verdienten.

So wollen sie ihn haben - angriffslustig und pointiert

Das ist der Sound, den die SPD-Fraktion offenkundig schätzt, von dort gibt es in diesen Minuten viel Applaus für den Kanzler. So wollen sie ihn haben, angriffslustig und pointiert. In den vergangenen Tagen war bei den Sozialdemokraten viel die Rede davon, dass man den Unterschied zwischen der SPD und der "Merz CDU" klarmachen wolle und müsse; das war also heute ein Vorgeschmack, so dürfte es sich wohl auch im Wahlkampf anhören.

Viele Themen und eine "industriepolitische Agenda"

Zuvor hat Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung ein sehr breites Themenspektrum aufgemacht: das Verhältnis zu den USA, die Unterstützung für die Ukraine, bei der man nicht nachlassen werde, der Krieg zwischen Hamas und Israel (das sich auf Deutschlands Solidarität verlassen könne, jetzt und in Zukunft) den Bürokratieabbau, den man voranbringen wolle, eine dringend notwendige Kapitalmarktunion und eine andere Handelspolitik (man brauche mehr Handelsabkommen).

Der Kanzler schlägt auch eine "neue industriepolitische Agenda" vor: Man wolle dafür kämpfen, Industriearbeitsplätze zu erhalten. Dazu sollen Unternehmensvertreter, Industrie, Gewerkschaften und Industrieverbände noch im Februar zu einem Gespräch ins Kanzleramt eingeladen werden. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat diese Ankündigung bereits begrüßt. Den Worten müssten nun aber auch Taten folgen.

Was Scholz in seiner Rede nicht anspricht: das Thema Migration - das aber morgen und übermorgen auch eine Rolle spielen soll, wenn der europäische Rat in Brüssel zusammenkommt. Und genau darauf scheint der Oppositionsführer gewartet zu haben.

"Fast schon verzweifelte Wahlkampfrede"

Man habe eine vorgezogene, "fast schon verzweifelte Wahlkampfrede eines Bundeskanzlers gehört, der mit dem Rücken zur Wand und mit den Füßen am Abgrund steht", diagnostiziert Friedrich Merz genüsslich. Und wirft Scholz vor, zum Tagesordnungspunkt eins - der Migrationskrise in Europa - "kein einziges Wort" gesagt zu haben. Die Themen in seiner Rede seien offensichtlich innenpolitisch motiviert gewesen und hätten sich nur an SPD und SPD-Fraktion gerichtet. Der Bundeskanzler, so Merz weiter, fahre nun nach Brüssel "mit einer Koalition zu Hause, die noch einmal zu Tripelschritten in der Lage ist, bei der Migrationspolitik voranzukommen".

Vielleicht hat man hier auch schon die beiden Themen des anstehenden Wahlkampfs gehört: Migration auf der einen Seite und ein "Respekt"-Wahlkampf auf der anderen Seite. Denn auch SPD-Chef Lars Klingbeil spricht in seiner Rede viel von den "Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern, die jeden Tag aufstehen, die fleißig sind, die sich nebenbei noch um die Kinder, die eigenen Eltern oder das Ehrenamt kümmern", also die "hart arbeitende Bevölkerung".

Angriffsmodus auch bei den anderen Fraktionen

Für einen Lacher sorgt Klingbeil, als er das Plenum versehentlich mit "liebe Genossen" anredet. Dann fordert er Alexander Dobrindt von der CSU, früher mal Verkehrsminister, auf, sich zu entschuldigen, "für alles das, was er den Bahnfahrern angetan hat". Dobrindt wiederum wirft dem Kanzler vor, mit einer Politik der uneingelösten Ankündigungen die Polarisierung der Gesellschaft zu verschärfen. Damit meint er dessen Ankündigung vor etwa einem Jahr, "endlich in großem Stil" abzuschieben.

Katharina Dröge, Fraktionschefin der Grünen, greift Friedrich Merz an: Er spiele mit den Ängsten der Menschen, schüre ganz bewusst Sorgen vor der Zukunft; die Menschen sollten denken, dass mit Veränderung alles schlechter werde. Tino Chrupalla von der AfD beklagt in seiner Rede eine Spirale schlechter Politik. Und fordert Kanzler Scholz auf, entweder den Kurs zu korrigieren oder zurückzutreten.

Auch Sahra Wagenknecht vom BSW spricht sich für Neuwahlen aus. Mit Chrupalla ist sie sich in einem weiteren Punkt einig: Auch sie ist gegen Waffenlieferungen in die Ukraine oder nach Israel. FDP-Fraktionschef Christian Dürr nannte AfD und BSW daraufhin empört "die Achse Moskau-Teheran".