Horst Seehofer Der Prinzipien-Minister
Er hat Höhen und Tiefen erlebt, politisch wie privat. Sich selbst sieht Seehofer als Mann der Prinzipien. Mit 72 Jahren geht CSU-Politiker Horst Seehofer nun in den Ruhestand - nach vier Jahrzehnten in der Politik.
Im Januar 2002 hängt das Leben von Horst Seehofer am seidenen Faden. Völlig geschwächt kommt der CSU-Politiker von der Klausur seiner Partei aus Wildbad Kreuth nach Hause. Seiner Frau Karin sagt er: "Ich muss kapitulieren." Wegen einer verschleppten Herzmuskelentzündung liegt er drei Wochen auf der Intensivstation. Seine Herzleistung beträgt keine zehn Prozent mehr. Seitdem tut er sich nur noch "positiven Stress" an. Den negativen bekommen dafür andere ab.
Kopfpauschale: Erster Ärger mit Merkel
Das war nicht immer so. Im Jahr 2004 ist die Union in der Opposition. Die Unionsfraktionschefin und CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel fordert gleiche Beiträge für alle in der Krankenversicherung, die sogenannte Kopfpauschale. Der Gesundheitsexperte in der Fraktion, Seehofer, ist strikt dagegen. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister macht Stimmung gegen die Pläne der eigenen Fraktion. Dies treffe Kleinverdiener in besonderem Maße und sei mit ihm nicht zu machen, wettert der CSU-Politiker. Am Ende tritt er als Fraktionsvize zurück. Die Kopfpauschale gibt es heute nicht. Es sollte nicht die einzige Auseinandersetzung zwischen Seehofer und Merkel bleiben.
Politik für die "kleinen Leute"
Seehofers Einsatz für Menschen mit geringem Einkommen liegt vermutlich auch an seiner Herkunft. Die kinderreiche Familie kann es sich nicht leisten, den 1949 geborenen Horst auf eine höhere Schule zu schicken. Der Vater arbeitet auf dem Bau und ist oft arbeitslos. Nach der Realschule wird Horst Seehofer Amtsbote in Ingolstadt.
Er schafft den Aufstieg in den gehobenen Dienst. Bis heute ist er einer der wenigen Politiker, die es ohne akademische Laufbahn zum Bundesminister und Ministerpräsidenten gebracht haben. Als er 1992 als neuer Bundesgesundheitsminister im Kabinett Kohl mit "Herr Dr. Seehofer" angesprochen wird, gibt er lachend zurück: "Den Doktor, den streichen Sie bitte. Ich bin meinen Eltern ewig dankbar, dass ich nicht studiert habe."
Gesundheitsexperte in schwierigen Zeiten
Als Seehofer 1992 das Bundesgesundheitsministerium übernimmt, stehen die gesetzlichen Krankenkassen vor dem Kollaps. Er setzt einen Sparkurs durch, der Ärzte und Apotheker härter trifft als die Versicherten. Die Politik für die "kleinen Leute" wird deutlich sichtbar.
Für andere Schwache in der Gesellschaft zeigt Seehofer dagegen weniger Herz: 1987 fordert der damalige CSU-Bundestagsabgeordnete, HIV-Infizierte und Aids-Kranke in "speziellen Heimen" zu "konzentrieren".
Holpriger Weg zum CSU-Chef und Ministerpräsidenten
Anfang 2007 steht der damalige CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber parteiintern mit dem Rücken zur Wand. Seehofer möchte gern CSU-Chef werden, dabei haben Günther Beckstein und Erwin Huber die Aufteilung der Macht längst abgesprochen. Dazu kommen Berichte über eine Affäre Seehofers in Berlin.
Die junge Frau, eine Büroleiterin im Bundestag, sei schwanger. Seehofer solle sich entscheiden, fordern Parteikollegen. Er bleibt bei seiner Ehefrau, die Vorsitzenden-Wahl verliert Seehofer dennoch gegen Huber. Als die CSU bei der Landtagswahl ein Jahr später krachende Verluste einfährt, ist Seehofer am Ziel. Im Oktober 2008 wird er Ministerpräsident und CSU-Parteichef.
Große Leidenschaft als Innenminister, weniger für Bau und Heimat
Nachdem Seehofer bereits Bundesgesundheitsminister (1992 bis 1998), Bundeslandwirtschaftsminister (2005-2008) und Bayerischer Ministerpräsident (2008 bis 2018) war, kommt die Diskussion über den Nicht-Akademiker Seehofer erneut auf. Als er in Merkels viertem Kabinett Bundesinnenminister werden soll, bemängeln Kritiker, dass dieses Amt nur studierte Juristen ausüben könnten. Seehofer bleibt auch diesmal gelassen, er sei schließlich "Erfahrungs-Jurist".
Weitaus bedenklicher betrachtet die politische Konkurrenz Seehofers Agenda im neu geschaffenen Ministerium für Inneres, Bau und Heimat. Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann beklagte kürzlich im Redaktionsnetzwerk Deutschland, das Ressort Heimat sei eine reine Showveranstaltung gewesen. Ein Ausschuss des Ministeriums, der sich mit gleichwertigen Lebensverhältnissen beschäftigen sollte, habe gerade zweimal getagt.
Auch die drängenden Probleme auf dem Wohnungsmarkt habe Seehofer nur ansatzweise gelöst. Dass sein Ministerium 1,5 Millionen neue Wohnungen versprochen habe, aber nur 1,2 Millionen gebaut wurden, hält Seehofer für "kleinlich". Dazu kommt, dass beim Bauen meist Länder und Kommunen zuständig sind.
Feldzug gegen Merkels Flüchtlingspolitik
Seine wesentliche Aufgabe im Innenministerium sieht Seehofer in der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Es scheint mitunter so, als mache Seehofer 2018 als Minister da weiter, wo er 2015 als Bayerischer Ministerpräsident begonnen hat. Am Abend des 4. September 2015 war Seehofer nicht erreichbar. Und so entschied Bundeskanzlerin Merkel im Alleingang, die Flüchtlinge aus Ungarn ins Land zu lassen. Seehofer wird später von einer "Herrschaft des Unrechts" sprechen.
Als sich einige Wochen später die CSU zum Parteitag trifft, fordert Seehofer zum wiederholten Mal von der Bundeskanzlerin ein öffentliches Versprechen für eine Flüchtlings-Obergrenze. Merkel sagt Nein. Das Bild, das bleibt: Der bayerische Ministerpräsident lässt die Bundeskanzlerin geschlagene 15 Minuten lang wie ein Schulmädchen neben sich am Rednerpult stehen. Unten im Saal sitzt die bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm und denkt: "Wann ist das zu Ende da oben?"
Es bleibt nicht der einzige denkwürdige Auftritt. Die Große Koalition verschärft das Asylrecht. Seehofer stellt im Juli 2018 den "Masterplan Migration" vor und beklagt dabei, dass zu wenige ausreisepflichtige Flüchtlinge abgeschoben würden. Allerdings nicht immer: "Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 - das war von mir so nicht bestellt - Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden." Diese Aussage bringt ihm harsche Kritik ein. Seehofer kann bis heute nichts Schlimmes daran erkennen.
Keine Reue und keine Entschuldigung
Seehofer hat in seinem Leben viele Spitznamen bekommen: "Crazy Horst", "Drehhofer" und "Alpen-Taliban". Der "FAS" sagte er dazu, das sei der Preis dafür, wenn man Positionen habe und dafür kämpfe. Seehofer sieht sich als Mann der Prinzipien, als einer, der den Rücken gerade hält. Zurückzunehmen habe er nach all den Jahren nichts. Er habe auch nie bei Merkel um Entschuldigung gebeten. Auf den Ruhestand freut er sich. In einem Gespräch mit dem "SZ-Magazin" bilanzierte er kürzlich: Nach mehr als 40 Jahren in der Politik sei er "eigentlich weit über den Durst".