Selbstbestimmungsgesetz "Ein historischer Tag"
Der Bundestag hat das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Für trans Menschen ist das ein Grund zum Jubel. Die Debatte im Parlament war zuvor hitzig.
"Selbstbestimmung jetzt!" steht auf ihren Plakaten, auf einem großen Bildschirm läuft die Bundestagsdebatte, Regenbogenfahnen wehen im Wind. Und am Nachmittag liegen sich die rund einhundert Menschen vor dem Reichstag in den Armen und jubeln wie beim Sieg im entscheidenden Spiel. Für Mara Geri und die anderen ist es genau das: ein Sieg nach einem langen Kampf.
"Wir wussten bis zum letzten Moment nicht, ob es reicht. Jetzt ist da einfach nur ein wahnsinniges Glückgefühl", sagt die 38-Jährige. Seit Jahren setzt sie sich für die Rechte von transsexuellen, intergeschlechtlichen und nichtbinären Menschen ein. Die Entscheidung des Parlaments ist für sie eine Genugtuung: "Endlich werden trans Menschen ernst genommen!"
"Richtige Stereotype aus den 1950ern"
Sie selbst hätte es auch gerne einfacher gehabt, damals, als Jugendliche. Aufgewachsen in einem sehr konservativen, ländlichen Familienhaus mit dem Gefühl, im falschen Körper geboren zu sein.
Es brauchte den Umzug nach Berlin und einen langen Weg, bis sie endlich bei sich selbst ankam. "Mehrere Tausend Euro teuer war das, bürokratisch und irgendwie auch entwürdigend", berichtet sie.
Zweimal habe sie Sachverständigen extrem intime Dinge erzählen und teils seltsame Fragen beantworten müssen: "Ob ich rosa oder blau lieber mag - das waren so richtige Stereotypen aus den 1950ern." Am Ende gab eine Richterin das Okay. "Viel Aufwand, viel Bürokratie für etwas, das ich schon längst gewusst habe. Nämlich, dass ich eine Frau bin."
Nötige Ermahnung zur Sachlichkeit
Für die einen ist es schlicht eine Entscheidung über ihr eigenes Leben, für andere aber Grund zu hitzigen Debatten. Und so beginnt die Aussprache im Bundestag mit mahnenden Worten: Auf persönliche Angriffe, Diffamierungen und Beleidigungen solle bitte verzichtet werden, sagt Petra Pau, die heute die Sitzung leitet. Ungewöhnlich ist eine solche Ermahnung - aber nötig, wie sich im Verlauf der Debatte schnell zeigt.
"Ein Mann oder eine Frau werden auch nicht irgendetwas ganz anderes, wenn sie sich selbst einem der neu erfundenen zahllosen Geschlechter für zugehörig erklären", hebt Martin Reichardt an. Der AfD-Mann spricht von "ideologischem Unfug", einem "Trans-Hype" und einem "aberwitzigen Gesetz", das Jugendliche gefährde und dem Missbrauch Tür und Tor öffne.
Durch das neue Gesetz wird es möglich, mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt seinen Geschlechtseintrag und Vornamen ändern zu lassen. Ohne Voraussetzungen: ohne Gutachten, ohne Arztbesuch und ohne die Zustimmung eines Richters einholen zu müssen - alles Punkte, die bisher vorgeschrieben sind.
Sie wollen keine "Erlaubnis" einholen müssen
Auch die Union möchte das bisherige Gesetz überarbeiten. Es sei damals eins der ersten weltweit gewesen, in den 1980er Jahren, sagt die CDU-Politikerin Mareike Lotte Wulf: "Dass es nicht mehr in die Zeit passt, erkennen wir als Union an." Es brauche eine niedrigschwellige Möglichkeit, den Geschlechtseintrag zu ändern, das sei eine Frage der Würde und des Respekts.
Voraussetzungslos dürfe das aber nicht passieren: "Sie nehmen in Kauf, dass Minderjährige vorschnell einen Weg einschlagen, der sich hinterher vielleicht als falsch herausstellt."
Vor dem Reichstag schauen Mara Geri und die anderen die Debatte. Die Stimmung ist gelöst: Es gibt Klatschen, Buh-Rufe oder lauten Sprechgesang, je nachdem, wer gerade im Plenum am Mikro steht. Für die Gruppe vor dem Bundestag ist es ein wichtiger Punkt, dass das Gesetz keine Voraussetzungen vorsieht. Sie wollen keine "Erlaubnis" einholen oder Bedingungen erfüllen müssen, um sie selbst sein zu können.
Namentliche Abstimmung
Drinnen im Bundestag sind die Ampel-Parteien einig: Das Gesetz sei überfällig und richtig. "Weil es Menschen gibt, die sich in dem Geschlecht falsch fühlen, in dem sie geboren sind und daran leiden", so die FDP-Abgeordnete Katrin Helling Plahr. "Das respektiere ich, auch wenn ich es nicht nachfühlen kann."
Die "staatliche Bevormundung" müsse enden, sagt Sven Lehmann von den Grünen. Man setze schlicht die Grundrechte der Betroffenen durch.
Als die Debatte in ruhigerem Fahrwasser ist, sorgt Sahra Wagenknecht noch einmal für Emotionen. Sie tritt ans Mikrofon und braucht nur 121 Sekunden, bis Petra Pau ihre Bitte wiederholen muss, die Debatte in Würde und ohne Beleidigungen zu Ende zu bringen.
Der Entwurf sei frauenfeindlich, so Wagenknecht. Gefährlich für Jugendliche und gesellschaftspolitisch viel zu weitgehend. "Es ist wie immer bei der Ampel: Ideologie triumphiert über Realität, das Geschlecht wird von einer biologischen Tatsache zu einer Frage der Gemütsverfassung."
Rund eine Dreiviertelstunde diskutiert der Bundestag, danach steigt in der Gruppe vor dem Gebäude die Spannung. Denn es wird namentlich abgestimmt. Dadurch dauert es noch einmal rund 45 Minuten, bis das Ergebnis vorliegt: 374 Abgeordnete stimmen dafür, 251 dagegen, elf enthalten sich. Der Jubel bei Mara Geri und den anderen kommt von Herzen. "Ein historischer Tag", sagt sie. "Jetzt haben es viele Menschen einfach leichter."