Saskia Esken

Kritik an Lindners Wirtschaftspapier "In der Koalition brennt gerade die Hütte"

Stand: 02.11.2024 20:45 Uhr

Die SPD-Spitze lehnt das von Finanzminister Lindner vorgelegte Wirtschaftspapier rundheraus ab. Die Grünen vermissen Teamgeist. An der kriselnden Koalition scheinen die drei Ampel-Parteien aber festhalten zu wollen.

Die SPD-Bundesvorsitzenden haben die von Finanzminister Christian Lindner geforderten Maßnahmen für eine "Wirtschaftswende" zurückgewiesen. "Durch die Bank sind diese Punkte, die er dort aufgezählt hat, in der Koalition nicht zu verwirklichen", sagte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken am Rande einer SPD-Veranstaltung in Hamburg.

"In der Koalition - das ist nicht von der Hand zu weisen - brennt gerade die Hütte", sagte Esken in Bezug auf Diskussionen über ein mögliches Ende der Ampel-Regierung.

Auf die Regierungsarbeit werde das Positionspapier des Finanzministers keinen Einfluss haben. Lindner habe nur die Position der FDP deutlich gemacht.

Auch der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil lehnte die Ideen des FDP-Politikers ab. Jeder habe das Recht, Vorschläge zu machen, wie man Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Stärke Deutschlands sichere. Das habe Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auch mit seinem Wirtschaftspapier gemacht.

Lindner wisse aber auch, dass Vorschläge nicht die Lösung für die wirtschaftlichen Probleme sein könnten, bei denen es darum gehe, "die Reichen werden jetzt reicher" und die arbeitende Mitte solle weniger Lohn haben, länger arbeiten und später weniger Rente bekommen. "Das wird die SPD an keiner Stelle mitmachen", sagte Klingbeil.

Grüne vermissen Teamgeist

Hintergrund von Lindners Papiers ist die Krise, in der die deutsche Wirtschaft derzeit steckt. Alle drei Ampelpartner sind sich einig, dass hier Handlungsbedarf besteht. In der Frage, wie gehandelt werden soll, gehen die Meinungen aber weit auseinander. Unterschiedliche Positionspapiere aus dem Wirtschafts- und dem Finanzministerium sowie separate Treffen mit Wirtschaftsvertretern hatten zuletzt für Unmut in der Koalition gesorgt.

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge warf der FDP und SPD mangelnden Teamgeist vor. "Jeder möchte sein Ding irgendwie allein machen, keiner will mit dem anderen zusammen", sagte Dröge. "Auch ich sitze dann zu Hause vor dem Fernseher und denke, es ist so, als würde man einem Auffahrunfall zuschauen", so die Grünen-Politikerin bei einer Landesdelegiertenkonferenz im niedersächsischen Gifhorn.

Dennoch mache es für die Grünen Sinn, in dieser Bundesregierung zu sein. Zu Spekulationen über ein vorzeitiges Ende der Ampelkoalition sagte Dröge: "Ich finde, wir haben eine Verantwortung. Wenn man von den Wählern den Auftrag bekommt, eine Regierung zu bilden, dann sollte man das auch vier Jahre tun."

Kontroverse Vorschläge

In Lindners Papier wird eine Wirtschaftswende gefordert mit einer "teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen". So wird etwa als Sofortmaßnahme die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener, ein sofortiger Stopp aller neuen Regulierungen sowie ein Kurswechsel in der Klimapolitik gefordert. Deutschland brauche eine Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik, so Lindner.

Lindner selbst beklagte, das Papier sei über eine Indiskretion öffentlich geworden. Es hätte zunächst nur im engsten Kreis der Bundesregierung beraten werden sollen, schrieb er laut Medienberichten in einer E-Mail an Parteifreunde.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte dem Sender RTL/n-tv: "Christian Lindner hat mit seinem Vorschlag ein ehrliches Angebot gemacht, das sowohl finanzierbar ist, als auch den Erwartungen der Unternehmen entspricht." Darüber sollte jetzt innerhalb der Koalition gesprochen werden.

Lindners Berater sieht Dilemma für die FDP

Lars Feld, der Persönliche Berater des Finanzministers, hält den Fortbestand der Ampel-Koalition für möglich, sofern SPD und Grüne dem FDP-Chef in der Wirtschaftspolitik in weiten Teilen folgen. "Er muss viele Punkte, aber nicht jeden Punkt durchsetzen", sagte der Wirtschaftsprofessor dem Handelsblatt. Vor allem in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Klimapolitik müssten die Koalitionspartner auf die FDP zugehen.

"Die FDP ist in einem Dilemma", sagte Feld. Bei vorgezogenen Neuwahlen riskiere die FDP, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. "Trägt die FDP aber über Monate bis zum regulären Wahltermin im September 2025 eine falsche Wirtschaftspolitik mit, dann werden die Umfragewerte der FDP nicht besser aussehen und sie wird erst recht aus dem Bundestag fliegen."

Union fordert sofortige Neuwahl

CSU-Chef Markus Söder sprach sich im Gegensatz zu den Ampelparteien für eine vorgezogene Bundestagswahl aus. "Das Einzige, was jetzt zählt, sind Neuwahlen - sofort", sagte der bayerische Ministerpräsident der Bild. "Es ist vorbei: Das Totenglöckchen der Ampel läutet. Eine Regierung, die gegeneinander Papiere verschickt, ist handlungsunfähig und eine Blamage für unser Land. Es ist Zeit, den Stecker zu ziehen und das unwürdige Schauspiel zu beenden. Jeder Tag länger schadet Deutschland."

Sollte Bundeskanzler Olaf Scholz nicht selbst die Kraft haben, seine Koalition zu beenden, müsse Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einschreiten, so Söder. Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Thorsten Frei, forderte Neuwahlen.

Uwe Berndt, ARD Berlin, tagesschau, 02.11.2024 18:45 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 02. November 2024 um 20:00 Uhr.