Auf einem Laptop-Display ist die Ankündigung des Gesprächs von AfD-Chefin Weidel mit Musk auf der Plattform X zu sehen.
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Talk auf Plattform X Was bleibt vom Gespräch Weidel-Musk?

Stand: 10.01.2025 13:08 Uhr

Es ging um Gott und die Welt, um Hitler und Atomkraft. Es gab viel Lob und Schmeichelei. Milliardär Musk bot AfD-Chefin Weidel seine X-Bühne - und was bleibt nun nach den 75 Minuten?

Was für ein Gesprächsformat war es?

Eine gute Stunde führten AfD-Chefin Alice Weidel und US-Milliardär Elon Musk ein quasi öffentliches Telefonat auf Musks Plattform X - es ging um Gott und die Welt, um Hitler, Israel und Atomkraft. Es war ein Gespräch zwischen Wahlkampf und Weltall. Es wurde gelacht und gekichert und über weite Strecken bestätigte man sich selbst. Viel Aufmerksamkeit erhoffte sich Weidel für ihre AfD - geht das Kalkül auf? Ein Blick zurück und voraus.

"Es macht den Unsinn nicht besser, wenn er wiederholt wird", Christoph Mestmacher, ARD Berlin, zum Musk-Gespräch mit Weidel

tagesschau24, 10.01.2025 11:00 Uhr

Weidel war zu dem Gespräch von ihrem Bundestagsbüro in Berlin aus zugeschaltet. Die Unterhaltung in einem sogenannten X-Space - einer in X integrierten Audioplattform - verfolgten laut einem dort sichtbaren Zähler rund 200.000 Nutzende. Da es aber auch möglich ist, sich anonym zuzuschalten, dürfte die Zahl deutlich darüber liegen. Das mehr als einstündige, auf Englisch geführte Gespräch war der erste persönliche Austausch von beiden. Es wurde weltweit verfolgt und stand wegen Vorwürfen der Wahleinmischung auch unter besonderer Beobachtung von EU und Bundestagsverwaltung.

Was bringt das Gespräch der AfD?

Sechs Wochen vor der Bundestagswahl ist mediale Aufmerksamkeit der Goldstandard. Ein exklusives Gespräch mit dem reichsten Mann der Welt auf dessen Plattform X, diese Ehre wurde zuletzt Donald Trump zuteil. Dass Musk zunächst den Namen Alice Weidel falsch aussprach und die Unterhaltung teils wirre Züge annahm - nebensächlich. Musk bot Weidel die große Bühne.

"Das ist eine Art Adelung, das ist schon ein Vorgang, der in dieser Form noch nie in dieser Republik das Tageslicht erlebt hat", sagt der Kasseler Politikprofessor Wolfgang Schroeder, einer der profiliertesten AfD-Kenner, der Nachrichtenagentur AFP.

Musks Unterstützung bringe der AfD Aufmerksamkeit, sagt Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institute in Berlin, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Mit Blick auf die Debatte um Wahlwerbung schränkt er aber sogleich ein: "Wenige Deutsche werden für die AfD stimmen, nur weil ein US-Milliardär für sie wirbt." Umgekehrt werde Empörung über Musks Hilfe AfD-Wählerinnen und Wähler auch nicht groß beeinflussen, erwartet Benner.

Womöglich könnte Weidels Auftritt sogar eher negativ wirken: Das Gespräch sei streckenweise sehr linkisch und unbeholfen gewesen, meint die Berliner Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. "Man hatte den Eindruck, dass sich die beiden nicht wirklich was zu sagen haben." Ein Dialog sei nie zustande gekommen.

Jeanette Hofmann, Politologin Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, mit einer Einordnung zum Gespräch zwischen Musk und AfD-Chefin Weidel

tagesschau24, 10.01.2025 15:00 Uhr

Der Dresdner Politologe Hans Vorländer urteilt: "Frau Weidel hat ihre Chance nicht genutzt." Sie habe unvorbereitet gewirkt und zu sehr versucht, Musk zu gefallen, vor allem mit einem libertären Staatsbild.

Durch das Bündnis mit Musk geht die AfD-Chefin auch ein Risiko ein. Denn Musk ist unberechenbar: In Großbritannien unterstützte der Trump-Intimus den Rechtspopulisten Nigel Farage - ließ ihn dann aber einfach fallen.

Markus Preiß, ARD Berlin, zum Gespräch zwischen Elon Musk und Alice Weidel auf "X"

tagesthemen, 09.01.2025 22:25 Uhr

Um welche Themen ging es?

Die Unterhaltung war über weite Strecken ohne Struktur, es gab keinen Moderator. Und so mäanderten beide durch einen bunten Strauß an Themen, es ging im wahrsten Sinne des Wortes um Gott und die Welt.

Musk begrüßte die AfD-Chefin mit einem "Welcome Alice" und ließ sie zuerst Positionen ihrer Partei beschreiben. Weidel startete mit einer Generalabrechnung mit der Regierung von Angela Merkel, bezeichnete die langjährige Bundeskanzlerin als Deutschlands "erste grüne Kanzlerin" und griff deren Zuwanderungs- und Energiepolitik an.

Weidel malte das düstere Bild vom Niedergang Deutschlands, beklagte zu hohe Steuern und die Bürokratie. Musk berichtete von der Eröffnung seiner Tesla-Fabrik in Grünheide bei Berlin. Er habe damals "einen Lastwagen" voller Papiere bei den deutschen Behörden abliefern müssen. Beide kritisierten EU-Regulation im Internet. Weidel kritisierte das deutsche Bildungssystem, das eine "wahnsinnige" und "sozialistische" Agenda habe und Schüler und Studierende nur Gender-Studien lehre. "It's crazy" - es ist verrückt: In ihrem Befund über Deutschland waren sich die AfD-Kanzlerkandidatin und der reichste Mann der Welt bei den allermeisten Themen einig. Selbst in Glaubensfragen: Beide sind sich nicht sicher, ob es einen Gott gibt.

"Inhaltlich sehr, sehr schwach", P. Siggelkow, ARD-Faktenfinder, über das Gespräch zwischen AfD-Chefin Weidel und Musk

tagesschau24, 10.01.2025 11:00 Uhr

Wo gab es Meinungsunterschiede?

Das Gespräch war weitgehend von Harmonie und gegenseitiger Schmeichelei geprägt. Streitpunkte gab es nicht. Doch es gab auch Momente, in denen sich kurz unterschiedliche Positionen andeuteten. Jedoch ohne sie auszudiskutieren.

Etwa bei der Energiepolitik. Weidels AfD hält bekanntlich viel vom Verbrennermotor und wenig vom Ausstieg aus fossilen Energien. Musk erklärte, er sei ein großer Fan von Solarenergie. Schnell einigte man sich wieder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: die Atomkraft. Der deutsche Ausstieg sei ein Fehler.

Musk habe kein Detailwissen über das Parteiprogramm der AfD, so Politikwissenschaftlerin Hofman. Sonst würde der Tesla-Chef wissen, "dass die AfD sich eindeutig für den Verbrennermotor ausspricht und gegen die Elektromobilität".

Auch beim Thema Israel blieben Fragen offen. Als Musk die AfD-Chefin zu ihrer Haltung gegenüber Israel befragte, antwortete Weidel, der Nahostkonflikt sei sehr kompliziert. "Und um ehrlich zu sein, wollte ich Sie nach einer möglichen Lösung fragen, weil ich keine Lösung sehe." Musk wollte dann noch wissen, ob sie das Existenzrecht Israels unterstütze, woraufhin Weidel antwortete: "Ja, selbstverständlich." Dann behauptete sie, dass ihre Partei "die einzige Beschützerin jüdischer Menschen in Deutschland" sei. Die AfD ist nach Einschätzung des Verfassungsschutzes von Rechtsextremisten durchsetzt und bietet auch Antisemiten eine Heimat.

Warum kam Weidel auf Hitler zu sprechen?

Historische Fakten komplett ignorierend äußerte sich Weidel zu Adolf Hitler. Musk fragte Weidel, ob sie nicht mal erläutern könnte, warum "viele Medien" die AfD mit "Nazismus oder sowas" in Verbindung brächten. "Danke für die Frage", sagte Weidel und führte dann aus: "Nationalsozialisten, wie das Wort schon sagt, waren Sozialisten." Und über Hitler sagte sie: "Er war ein Kommunist und sah sich selbst als Sozialisten."

Politologe Vorländer wertet das sehr kritisch. "Hitler als Kommunisten zu bezeichnen - dazu bedarf es schon sehr großer Geschichtsklitterung", sagte er. "Frau Weidel wollte darauf hinaus, dass die AfD etwas ganz anderes ist als rechtsextremistisch. Sie hat Hitler als Kommunisten und Sozialisten dargestellt, um sich selbst als wirklich konservativ und libertär zu identifizieren. Das ist der Versuch, die Geschichte umzudeuten, um sich vom Vorwurf des Rechtsextremismus zu befreien."

Weidel verteidigte sich nach dem Musk-Talk mit dem Hinweis, der angesehene Historiker Sebastian Haffner habe Hitler auch eher links gesehen. Außen vor bleibt bei Weidels Argumentation, dass Nationalsozialisten Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten als Hauptgegner sahen und sie nach der Machtübernahme 1933 systematisch verfolgten, inhaftierten und ermordeten. Lesen Sie hier einen Faktencheck.

Wie nützt Musk das Mitmischen im deutschen Wahlkampf?

Musk sei "in erster Linie Unternehmer, der an maximalen Profiten interessiert ist", sagt der Potsdamer Soziologe Roland Verwiebe. Musk gehe es strategisch darum, dass weder in den USA, noch in Europa die Kräfte überhand gewinnen, die eine stärkere Einhegung der digitalen Plattformen erreichen wollten. Dieses Ziel verfolgt die Europäische Union mit dem Digital Services Act (DSA), der das Geschäft der Plattformen regulieren und illegale Inhalte, Waren und Dienstleistungen eindämmen soll. Die AfD will den DSA mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit abschaffen.

Vorländer formuliert es so: "Musk hat globale wirtschaftliche Interessen. Staatliche Regulierung steht ihm da im Wege. Er nutzt rechtspopulistische und rechtsextreme politische Kräfte, um Hindernisse aus dem Wege zu räumen. Und mit seinem globalen Plattformkapitalismus gewinnt er zugleich politisch-kommunikative Macht, die sich autokratisch nutzen lässt."

Warum prüft der Bundestag die Unterhaltung?

Mit einem Wahlaufruf für die AfD in der Zeitung Welt am Sonntag hat sich Musk noch weitaus ausführlicher als zuvor bereits auf X in den deutschen Bundestagswahlkampf eingemischt - und damit viel Kritik der anderen Parteien ausgelöst. Im Gespräch mit Weidel erneuerte er seine Wahlempfehlung. Schon vor dem Talk wurde bekannt, dass die Bundestagsverwaltung prüft, ob es sich dabei um eine Beeinflussung des Wahlkampfs und um eine illegale Parteispende aus dem Ausland handelt.

"Um eine Parteispende zu sein, müsste es sich bei dem Gespräch um eine 'geldwerte Leistung' handeln", betonte Jura-Professorin Sophie Schönberger von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Da das Gespräch wohl aber nicht gekauft wurde und die Übertragung kostenlos sei, scheine es sich nicht um eine Spende zu handeln.

Die Organisation Lobbycontrol verwies auf einen anderen Aspekt: Das Interview werde auf X voraussichtlich deutlich stärker verbreitet als Beiträge anderer Nutzer. "Insofern kann man hier durchaus von politischer Werbung sprechen, denn die Plattform X verkauft eine solche Reichweite normalerweise für sehr viel Geld."

Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck warf die Frage der Chancengleichheit im Wahlkampf auf. "Sind die Algorithmen, die die Plattform X benutzt, so ausgerichtet, dass es einen einseitigen Vorteil für bestimmte Inhalte gibt - in diesem Fall die der AfD oder die von Elon Musk und der AfD?", fragte Habeck auf Fragen von RTL/ntv und Welt. AfD-Chefin Weidel wehrte sich später ebenfalls bei RTL/ntv gegen den Verdacht, der Talk mit Musk könnte ein geldwerter Vorteil für ihre Partei gewesen sein. Es habe sich um einen Dialog auf einer Plattform gehandelt, es sei nicht zu beanstanden, wenn sich zwei Leute unterhalten.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sagte im Deutschlandfunk, das Gespräch sei sicher eine "versuchte Wahlkampfhilfe", auch wenn es ihn einigermaßen ratlos zurücklasse.

Was bleibt?

Ob Musks Zuwendung auf X Weidel und der AfD genutzt hat, ist offen. Handfeste Erkenntnisse lassen sich aus den 75 Minuten nicht ziehen. Und Aufmerksamkeit ist ein flüchtiges Gut. An diesem Wochenende trifft sich die AfD zum Parteitag. Dort soll Weidel offiziell als Kanzlerkandidatin gekürt werden. Womöglich gibt es dann Erkenntnisse, wie Weidels Talk mit Musk bei den eigenen Leuten angekommen ist.

Und bei den Wählern in Deutschland? Generell sei der Einfluss sozialer Medien auf die Wahlentscheidung eines Menschen gering, sagt etwa Judith Möller, Professorin für empirische Kommunikationsforschung an der Universität Hamburg. Lesen Sie hier mehr dazu.

Derweil verlassen immer mehr Institutionen die Plattform X. Ende November verabschiedeten sich gleich drei renommierte Zeitungen aus Großbritannien, Spanien und Schweden von Musks Onlinedienst. Auch die Bundesregierung solle die Plattform verlassen, forderte jüngst die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman. Mehrere Gewerkschaften kündigten ihren X-Exit an. Heute nun gaben mehr als 60 deutsche Hochschulen und Forschungsinstitutionen ihren Abschied von der Social-Media-Plattform bekannt - aus Protest gegen die zunehmende Radikalisierung des Diskurses auf X.

(Mit Informationen von AFP, Reuters, dpa)

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 10. Januar 2025 um 12:00 Uhr.