Kriegsschäden in der Ukraine "Nie zu früh" für Wiederaufbau
Die Ukraine braucht Hilfen zum Wiederaufbau des Landes - schon jetzt, mitten im Krieg. Kanzler Scholz erneuerte seine Forderung nach einem "Marshallplan". Die EU will ein Drittel des Finanzbedarfs übernehmen.
Wiederaufbauen, was womöglich am nächsten Tag erneut zerstört wird - diese skeptischen Stimmen gab es oft vor Konferenzbeginn. Die ukrainische Regierung weiß, dass sie hier in Berlin genau gegen dieses Bild argumentieren muss: Ministerpräsident Denys Schmyhal tut es gleich zu Beginn seiner Rede: "In manchen Kreisen herrscht die Idee, jetzt müssen wir erst einmal den Krieg beenden und dann sollten wir wieder aufbauen", sagt er.
Aber es gehe darum, jetzt den "Tsunami an Migration" zu verhindern, den Russland vor allem mit seinen jüngsten Angriffen auf Kraftwerke und Wasserversorgung auslösen wolle. Elf Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht, so die Schätzung. "Diese Menschen brauchen doch Orte, wo sie behandelt werden können", sagt Schmyhal. "Und sie sollten nicht frieren." Das Leben müsse schlicht aufrechterhalten werden, ist die Botschaft. Und "jetzt" eines der häufigsten Worte am Rednerpult.
Langfristige Hilfen und Modernisierung
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz betont: "Es ist nie zu früh, diese Aufgabe anzugehen." Das wisse Deutschland aus der eigenen Geschichte. Er wiederholt das große Versprechen vom "Marshallplan für das 21. Jahrhundert". Aber er stellt auch klar: "Lassen Sie mich betonen, was diese Konferenz nicht ist: Dies ist keine Geberkonferenz."
"Es werden keine politischen Entscheidungen getroffen", stellte das Kanzleramt schon im Vorfeld klar. Auf der Expertenkonferenz sprechen neben Regierungsmitgliedern auch Wirtschaftsprofessoren, Anti-Korruptions-Aktivisten oder Vertreter des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Investitionsbank. Das Ziel: langfristige Hilfe für die Ukraine planen, vor allem, "wie man das technisch macht" - so drückt es Olaf Scholz aus.
Einig sind sich die Teilnehmer darin, dass es rasch eine internationale Koordinierungsplattform braucht. "Sie muss so schnell wie möglich funktionsfähig sein, am besten vor Ende des Jahres", sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Ukraine selbst müsse im Prozess die Verantwortung dafür übernehmen, Schritt für Schritt auch das Land zu modernisieren: "Transparenz, Rechtsstaatlichkeit, Geschlechtergleichheit, Inklusion und Nachhaltigkeit - diese Prinzipien müssen wir mit Leben füllen", so von der Leyen.
"Es ist unmöglich, etwas zu verstecken"
Aus Kiew ist Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet. Während seiner zehnminütigen Rede ist in jedem Moment spürbar, dass die Zeit drängt - und dass die Ukraine aus seiner Sicht alle Hausaufgaben erfüllt hat: "Wir haben einen transparenten Plan mit Prioritäten erarbeitet, was die Ukraine braucht, um zu überleben. Jetzt, nicht morgen, nicht im nächsten Jahr." Man müsse "von abstrakten Zahlen zu konkreten Handlungen" kommen und schon im November zu entscheidenden Schritten.
Auch Ministerpräsident Schmyhal zählt auf, was die Ukraine trotz permanentem Ausnahmezustand auf den Weg bringe: "Wir planen EU-Standards durchzusetzen, eine Zollreform, eine Regierungsreform. Wir planen auch die Liberalisierung des Arbeitsrechts", so Schmyhal. Die Rufe nach mehr Transparenz habe das Land längst gehört: "Es ist unmöglich, etwas zu verstecken oder zu verbergen. Alle Geber wissen und sehen, wo die Gelder hinfließen." Alles sei vorbereitet, nun zähle jeder Tag: Im ukrainischen Haushalt fehle das Geld, um beispielsweise Lehrergehälter zu bezahlen oder Renten, betonen die ukrainischen Vertreter.
EU soll Drittel des Finanzbedarfs übernehmen
Nach Ansicht von Kommissionspräsidentin von der Leyen sollte die EU ein Drittel des Finanzbedarfs für 2023 übernehmen: "Es braucht regelmäßige verlässliche Budgetzuwendungen", so von der Leyen. Drei bis fünf Milliarden Euro pro Monat seien insgesamt notwendig. "Etwa ein Drittel sollten wir finanzieren, das sind 1,5 Milliarden pro Monat und 18 Milliarden als Gesamtsumme." Darüber sei sie mit den Mitgliedsstaaten im Gespräch. Zugleich hoffe sie, dass auch die USA ähnliche Summen beisteuern.
Der Blick schon aufs kommende Jahr lasse nur vage Schätzungen zu, betonen alle. Es sei völlig unklar, wie viel die Ukraine selbst exportieren und damit einnehmen könne. Noch schwerer vorhersehbar ist, auf welche Milliardensummen die Kriegsschäden letztlich ansteigen. Bundeskanzler Scholz sagte auf der Konferenz auch erneut Hilfe dabei zu, die Ukraine mit den nötigen Luftverteidigungssystemen auszustatten. Denn der beste Wiederaufbau sei, so Scholz, "der, der gar nicht nötig wird".