Corona-Regeln Der Staat kann nicht alle Risiken absichern
Es ist kein Widerspruch, dass die Politik trotz steigender Corona-Zahlen die Beschränkungen zurückfährt. Denn der Staat kann nicht alle potenziellen Lebensrisiken absichern.
Die Corona-Zahlen steigen - und die Politik lockert. Das klingt wie ein Widerspruch, ist es aber nicht. Denn die aktuellen Inzidenzwerte dokumentieren zwar die Entwicklung der Infektionen, doch diese sind seit der Dominanz der Omikron-Variante nur zu einem Bruchteil mit gravierenden Erkrankungen verbunden. Dementsprechend zeichnet sich auch keine Überlastung des Gesundheitssystems ab.
Doch warum ist in der Debatte eigentlich von "Lockern" die Rede? Vielmehr nimmt die Politik Maßnahmen zurück, die begründungspflichtig sind. Einschränkungen der persönlichen Freiheit sind - und daran muss nach zwei Jahren Pandemie offenbar erinnert werden - nicht das Normale; vielmehr können Einschränkungen in einem freiheitlichen Staat nur die Ausnahme sein. Doch leider hat sich aufgrund der Pandemie ein höchst problematisches Denken in die gesellschaftliche Debatte eingeschlichen: Als ob jetzt die Freiheit begründungspflichtig wäre.
Es geht um mehr als Maskenpflicht und Hotspots
Dabei geht es um mehr als um die Frage nach Maskenpflichten in Innenräumen oder die Definition sogenannter Hotspots, über die zwischen Bund und Ländern gestritten wird. Es geht um die grundsätzliche Frage, welche Risiken durch Eingriffe des Staates abgewehrt werden sollen.
Wohlgemerkt: Die Rede ist von Risiken. Probleme, die mit der Pandemie verbunden sind, dürfen nicht kleingeredet werden. Es kann auch sein, dass wieder mehr Einschränkungen nötig sind, wenn die Corona-Lage dies erfordert. Aber rein vorsorglich zusätzliche Maßnahmen vorzunehmen, ist eines freiheitlichen Rechtsstaates nicht würdig.
Problematisches Staatsverständnis
Schon bei der Debatte um eine mögliche Impfpflicht klingt das Argument mit: Mag sein, dass das Impfen in der aktuellen Corona-Welle nur wenig bringt, aber schaden kann es ja wohl nicht, wer weiß, was da noch auf uns zukommt. Nur: Das ist ein problematisches Staatsverständnis. Der Staat kann nicht alle potenziellen Lebensrisiken absichern, es ist sogar übergriffig, wenn er das versuchen wollte. Wir alle haben unterschiedliche Vorstellungen, wie wir mit Risiken umgehen - mit dem Autofahren, dem Rauchen oder dem Gleitschirmfliegen. Und solange wir nicht die Freiheit anderer beeinträchtigen, hat der Staat hier keine Vorschriften zu machen.
Was der Staat leisten kann - und was nicht
Zugleich wird mit dem Verständnis, als könne oder solle der Staat Risiken weitgehend vermeiden, eine Erwartungshaltung geweckt, die nicht erfüllt werden kann - und die letztlich zu Staats- und Demokratieverdrossenheit beiträgt. Nach zwei Jahren Corona ist daher endlich wieder eine Debatte notwendig, was der Staat leisten kann und was nicht. Denn der Ruf nach dem Staat lenkt davon ab, dass wir als Einzelne Verantwortung übernehmen müssen. Wir können nämlich nicht jedes Problem an die Politik abschieben.