Wolodymyr Selenskyj
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Krieg gegen die Ukraine ++ Selenskyj spricht erstmals über Kursk-Offensive ++

Stand: 10.08.2024 20:35 Uhr

Der ukrainische Präsident Selenskyj hat sich erstmals zu dem Vorstoß in die russische Region Kursk geäußert. Belarus wirft der Ukraine vor, Kampfdrohnen in den belarusischen Luftraum geschickt zu haben. Die Entwicklungen im Liveblog.

Wenige Tage nach Beginn des ukrainischen Vorstoßes auf russisches Staatsgebiet bei Kursk hat Präsident Wolodymyr Selenskyj erstmals direkt Stellung zu dem Angriff bezogen. Armeechef Olexander Syrskyj habe ihm über "die Vorverlagerung des Krieges in das Gebiet des Aggressors" berichtet, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. 

Die Ukraine beweise damit, "dass sie wirklich in der Lage ist, für Gerechtigkeit zu sorgen, und garantiert genau den Druck aufzubauen, der nötig ist - Druck auf den Aggressor". Über den aktuellen Stand des Vorstoßes der ukrainischen Truppen auf russisches Gebiet machten weder Selenskyj noch die Militärs in Kiew genauere Angaben. 

Die Sorge vor einem Vorstoß Russlands in die ukrainische Grenzregion Sumy ist groß, berichtet ARD-Korrespondentin Rebecca Barth. Dutzende Dörfer sollen evakuiert werden, fordern die lokalen Behörden. Mehr als 20.000 Menschen müssen ihre Heimat verlassen.

Nach dem Eindringen ukrainischer Truppen in das russische Gebiet Kursk ist dort einem russischen Medienbericht zufolge eine groß angelegte Evakuierungsaktion angelaufen. Mehr als 76.000 Menschen seien aus grenznahen Regionen dieser Oblast in Sicherheit gebracht worden, meldet die staatliche Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf das regionale Katastrophenschutzministerium.

Nach dem angeblichen Eindringen ukrainischer Kampfdrohnen in belarussischen Luftraum hat das Außenministerium in Minsk vor einer Ausweitung des Konflikts gewarnt. Derartige "kriminelle Handlungen" könnten zu einer radikalen Eskalation der Lage führen, teilte das belarussische Außenministerium nach Angaben der Staatsagentur Belta mit.

Sie seien zudem ein "gefährlicher Versuch, die derzeitige Konfliktzone in unserer Region auszuweiten". Belarus werde sein Recht auf Selbstverteidigung nutzen und auf jede Provokation oder feindliche Handlungen angemessen reagieren.

Die ukrainischen Marinestreitkräfte haben nach eigenen Angaben bei einem Angriff auf einem Gasförderturm im Schwarzen Meer etwa 40 russische Soldaten getötet. Kräfte der Marine und des Militärgeheimdienstes hätten die Stelle, an der Russland Personal und Ausrüstung versammelt hatte, angegriffen, berichteten ukrainische Medien nach Angaben der Kriegsflotte. Die russische Armee wollte den Turm demnach für Störsignale der Navigation über Satelliten nutzen, was die zivile Seefahrt in Gefahr gebracht hätte. 

Ein russisches Aufklärungsflugzeug ist in den internationalen Luftraum über der Ostsee geflogen, ohne Kontakt mit der Flugsicherung aufzunehmen. Maschinen der deutschen und schwedischen Luftwaffe sowie der NATO-Flugsicherung im Baltikum seien am Freitagabend aufgestiegen und hätten die russische Maschine vom Typ IL-20M eskortiert, teilte die Luftwaffe heute mit. Der Seeaufklärer sei im Luftraum vor der Insel Rügen "ohne Flugplan und Kontakt zur zivilen Flugsicherung" unterwegs gewesen.

Meldungen von nicht kommunizierenden russischen Militärmaschinen im internationalen Luftraum über der Ostsee gebe es in letzter Zeit nahezu wöchentlich, sagte ein Sprecher der Luftwaffe. In den meisten Fällen werde dem aber nicht nachgegangen, wenn sie sich nicht weiter auffällig verhielten oder rasch wieder in den russischen Luftraum zurückkehrten.

Mitte Juni hatte ein russischer SU-24 Bomber die schwedische Ostseeinsel Gotland überflogen, die etwa 350 Kilometer vor der russischen Exklave Kaliningrad liegt. Zwei schwedische Kampfjets wurden eingesetzt, um die russische Maschine des Luftraums zu verweisen.

In Belarus hat Machthaber Alexander Lukaschenko über den mutmaßlichen Abschuss von mehreren ukrainischen Flugzielen informiert. Die Flugabwehr sei in volle Bereitschaft versetzt worden, weil etwa zehn Flugobjekte aus der Ukraine in den Luftraum von Belarus im Osten des Landes im Gebiet Kostjukowitschy eingedrungen seien, sagte Lukaschenko über den Vorfall am Vorabend.

"Die Streitkräfte der Ukraine haben gegen alle Verhaltensregeln verstoßen und den Luftraum der Republik Belarus verletzt", sagte Lukaschenko staatlichen Medien zufolge. "Wir vermuten, dass es sich um Kampfdrohnen handelte", sagte Lukaschenko. Es seien auch Flugzeuge und ein Hubschrauber neben der Flugabwehr am Boden im Einsatz gewesen. Überprüfbar waren die Angaben nicht von unabhängiger Seite. 

Der Machthaber, der als letzter Diktator Europas gilt, gehört zu den wichtigsten Unterstützern des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Lukaschenko hatte zu Beginn des Kriegs vor fast zweieinhalb Jahren auch russische Truppen im Süden von Belarus in den Norden der Ukraine einmarschieren lassen.

Lukaschenko und Putin bei einem Treffen

Der belarusische Machthaber Lukaschenko (links) und Russlands Präsident Putin gelten als Verbündete

Fünf Tage nach Beginn des ukrainischen Vorstoßes in der westrussischen Grenzregion Kursk haben sich russische und ukrainische Truppen weiter Gefechte geliefert. "Die Streitkräfte schlagen weiterhin den versuchten Grenzdurchbruch der ukrainischen Armee zurück", teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. 

Zugleich warnte die russische Atomenergiebehörde Rosatom, die Gefahr von Angriffen der ukrainischen Armee auf das Atomkraftwerk in Kursk sei "real". "Die Handlungen der ukrainischen Armee stellen eine direkte Bedrohung dar", erklärte Rosatom laut Staatsmedien mit. Das AKW Kursk befindet sich nahe der Stadt Kurtschatow, die etwa hundert Kilometer von der russischen Grenze zur Ukraine entfernt liegt.

Das russische Verteidigungsministerium teilte weiter mit, es setze zur Bekämpfung des ukrainischen Militärs auf russischem Territorium Flugzeuge und Artillerie ein. Das Ministerium veröffentlichte Bilder, die Panzerangriffe auf ukrainische Stellungen in der Region Kursk zeigen sollen sowie einen nächtlichen Luftangriff. 

Karte der Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Karte der Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Nach Angaben des staatlichen russischen Atomenergiekonzerns Rosatom arbeitet das Kernkraftwerk Kursk nach dem ukrainischen Vorstoß in die Grenzregion normal. Man habe aber beschlossen, die Anzahl der Arbeiter beim Bau einer neuen Anlage in der Region wegen des Ausnahmezustandes zu reduzieren. Der russischen Nachrichtenagentur RIA zufolge sprach Rosatom-Chef Alexej Lichatschew am Telefon mit dem Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, über die Lage in dem AKW.

Karte: AKW Kursk, Russland

Angesichts des ukrainisches Vorstoßes auf russisches Gebiet hat Moskau "Anti-Terror-Einsätze" in drei Grenzregionen angekündigt. In den Regionen Kursk, Belgorod und Brjansk würden "Anti-Terror-Einsätze" gestartet, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten und um "die Bedrohung durch Terrorangriffe durch feindliche Sabotagegruppen zu unterbinden", teilte das russische Anti-Terror-Komitee mit.

Nach russischer Rechtslage erhalten Sicherheitskräfte und die Armee bei "Anti-Terror-Einsätzen" weitreichende Befugnisse. Die Bewegungsfreiheit der Bürger wird in solchen Fällen eingeschränkt, Fahrzeuge können beschlagnahmt, Telefongespräche abgehört und bestimmte Gebiete für den Zugang gesperrt werden.

Nach ukrainischen Angaben sind in der Ostukraine bei russischen Angriffen insgesamt drei Menschen getötet worden. Bei einem Raketenangriff auf ein Gebäude der kritischen Infrastruktur in Kramatorsk starb Regionalgouverneur Wadym Filaschkin zufolge ein Zivilist. Bei einem Angriff in der Region Charkiw auf ein Privathaus kamen zwei Menschen ums Leben, wie die Polizei mitteilte.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Das Bundesinnenministerium warnt vor möglichen Manipulationsversuchen Russlands bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland. "Wir müssen davon ausgehen, dass alle Wahlen in unserem Land ein potenzielles Ziel von illegitimer Einflussnahme sind", sagte ein Sprecher des Ministeriums von Nancy Faeser (SPD) dem "Handelsblatt". Russland versuche auf diese Weise, "illegitim Einfluss auf die öffentliche Debatte und die politische Willensbildung in Deutschland zu nehmen".

Schon seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine beobachte man eine Zunahme von Desinformation durch russische offizielle Stellen, staatliche und staatsnahe Medien und regierungsnahe Accounts in Sozialen Medien. "Sie nutzen Falschinformationen, um emotional aufgeladene Diskussionen anzuheizen und gesellschaftliche Gruppen gezielt gegeneinander auszuspielen", sagte der Sprecher dem "Handelsblatt".

Ukrainischen Angaben zufolge ist bei einem russischen Raketenangriff auf die ostukrainische Stadt Kramatorsk in der Oblast Donezk ein Mensch getötet worden. Es habe zudem mehrere Verletzte gegeben, schrieb der Gouverneur der Region, Wadym Filaschkin, auf Telegram. Die Rakete habe ein Gebäude der kritischen Infrastruktur getroffen und es schwer beschädigt.

Ukrainische Männer im wehrfähigen Alter, die keinen gültigen Reisepass besitzen, erhalten in Deutschland in der Regel keine Ersatzreiseausweise. In einer Umfrage der Nachrichtenagentur epd unter den zuständigen Ministerien bestätigten die Bundesländer, dass es wehrpflichtigen Männern zumutbar sei, zur Passbeschaffung in die Ukraine zu reisen und der Wehrpflicht nachzukommen.

"Die hessischen Ausländerbehörden wenden konsequent Bundesrecht an, indem sie ukrainischen Männern im wehrfähigen Alter grundsätzlich keine deutschen Ersatzreiseausweise ausstellen", heißt es etwa aus dem hessischen Innenministerium. Die Passhoheit liege bei den Heimatstaaten.

Ukrainische Freiwillige helfen bei der Evakuierung von Dorfbewohnern und ihren Haustieren in der nördlichen Grenzregion Sumy. Nach Angaben des örtlichen Gouverneurs Wolodymyr Artiukh werden 28 Dörfer in einer zehn Kilometer langen Zone entlang der Grenze zu Russland evakuiert. Nach Angaben der ukrainischen Polizei müssen 20.000 Menschen ihre Heimat verlassen.

Angesichts des ukrainischen Vorstoßes auf das russische Gebiet Kursk warnt die Internationale Atomenergie-Behörde IAEA vor möglichen Gefahren für das dortige Kernkraftwerk. Der IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi rief beide Seiten auf, sich an die Regeln für nukleare Sicherheit in Konfliktgebieten zu halten. Es werde von "signifikanten militärischen Aktivitäten" in der Region berichtet, sagte Grossi in Wien. "Zu diesem Zeitpunkt möchte ich an alle Seiten appellieren, sich maximal zurückzuhalten, um einen nuklearen Unfall mit potenziell ernsten Strahlungsfolgen zu vermeiden."

Russland hat laut russischen Medienberichten Anti-Terror-Maßnahmen in drei an die Ukraine angrenzenden Regionen eingeführt.

Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur RIA umfassen die Maßnahmen mögliche Umsiedlungen von Einwohnern, Verkehrsbeschränkungen in bestimmten Gebieten, verstärkte Sicherheitsvorkehrungen an sensiblen Orten sowie das Abhören von Telefonen und anderen Kommunikationsmitteln.

Nach Angaben örtlicher Behörden und des Nationalen Anti-Terror Komitees gelten die Anti-Terror-Regelungen für die Regionen Kursk, Belgorod und Brjansk, berichtet die Nachrichtenagentur.

Die USA stellen ein neues Hilfspaket im Wert von 125 Millionen Dollar bereit, das Stinger-Raketen, Artilleriemunition und Panzerabwehrsysteme umfassen soll. Das russische AKW Kurtschatow ist derzeit ohne Strom. Der Liveblog vom Freitag zum Nachlesen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 10. August 2024 um 10:32 Uhr.