Produktion in der Rowe-Gruppe

Debatte im Bundestag Was für flexiblere Arbeitszeiten spricht

Stand: 06.06.2024 12:58 Uhr

Um Familie und Beruf besser zu vereinbaren, braucht es flexiblere Arbeitszeiten. Der Bundestag debattiert heute über einen Vorschlag der Unionsfraktion. Doch wie kann der Spagat zwischen Flexibilität und Arbeitsschutz gelingen?

Wie flexibel der Arbeitstag aufgeteilt werden darf, darüber wird schon länger debattiert. Auch im deutschen Mittelstand spielt die Flexibilität der Arbeitszeit eine wichtige Rolle. Alexandra Kohlmann ist Geschäftsführerin im Familienbetrieb der Rowe-Gruppe merkt, wie sich die Präferenzen verschoben haben. "Ich versuche einen kurzen Draht zu der Kollegenschaft zu halten. Ich merke seit Jahren: Die Wünsche bezüglich Arbeitszeit haben sich deutlich verändert."

Das Unternehmen produziert Motorenöle und Öle für Getriebe oder hydraulische Anlagen für Industrie und Landwirtschaft. Es gehört zu den größten Schmierstoffherstellern Europas und hat 350 Mitarbeitende.

Starre Arbeitszeitgesetze

Das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf werde immer wichtiger, erzählt die Geschäftsführerin. "Nicht nur Mütter, auch Väter fragen immer häufiger bei uns nach. Es gibt für Kitas und Grundschulen keine flächendeckende Ganztagsbetreuung in der Region. Das stellt viele ab zwölf Uhr vor echte Probleme." Ältere Kolleginnen und Kollegen wiederum müssten sich verstärkt um pflegebedürftige Eltern kümmern, so Kohlmann.

Die Arbeitszeitgesetze seien insgesamt zu starr. "Durch die Erfahrungen während der Lockdowns haben wir doch im Homeoffice gesehen, dass die Arbeit auch über den Tag flexibel verteilt werden kann. Das ist aber aufgrund der Gesetze nicht mehr möglich", erzählt Kohlmann. Ihr Fazit: Die Gesetze seien teils nicht mehr zeitgemäß. 

Teilzeit ist nicht flexibel

Teilzeit ist aus der Sicht von Kohlmann keine Lösung. Die Arbeitnehmenden müssten dann Gehaltseinbußen hinnehmen, dem Unternehmen fehle Personal und das führe zu einer Arbeitsverdichtung für die übrige Belegschaft. "Wir verfügen bei flexibleren Arbeitszeiten über ein großes Potenzial, das derzeit über Regulierung verloren geht. Manchmal habe ich das Gefühl, die Politik glaube, man müsse Arbeitnehmende vor Arbeitgebenden schützen. Etwas mehr Vertrauen in uns wäre schön", so Kohlmann.

In Bereichen wie Schichtarbeit ist Kohlmann aber vorsichtig. Hier müsse ein besonderer Schutz weiter gewährleistet sein. "Wir wollen niemanden ausbeuten. Unsere Kollegen und Kolleginnen können auch eigenständig Entscheidungen in ihrem Lebensalltag treffen."

Wissenschaft bestätigt Wandel der Arbeitswelt

Oliver Stettes hört sich die Erfahrungen der Firma Rowe an und nickt immer wieder zustimmend. Er ist beim arbeitgebernahen Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln für Arbeitswelt und Tarifpolitik zuständig. "Die Menschen wünschen sich flexiblere Arbeitszeiten. Das ist ein Trend und hat seit Corona zugenommen", so Stettes. Zum Arbeitsschutz gebe es zahlreiche und teils komplizierte Regelungen.

Stettes fasst die Grundsätze zusammen: "Die Regel ist der Acht-Stunden-Tag - maximal sind zehn Stunden erlaubt. Pro Woche sind bis zu 48 Stunden möglich. Die Ruhezeiten zwischen zwei Arbeitseinsätzen von elf Stunden können unter bestimmten Voraussetzungen noch auf neun Stunden reduziert werden. Der Rest ist verhandelbar."

Zwischen Flexibilität und Arbeitsschutz

Diese Arbeitszeitregelungen stünden inzwischen doch den Wünschen vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entgegen. Stettes gibt ein Beispiel: "Jemand beginnt den Arbeitstag um sechs Uhr und checkt die ersten E-Mails bis sieben Uhr. Danach werden die Kinder in die Kita gebracht. Danach geht es mit der Arbeit weiter bis 14 Uhr. Am Nachmittag werden die Kinder betreut und am Abend gibt es nochmal zwei Stunden Arbeit - bis 23 Uhr. Das ginge laut Gesetz nicht, wenn es am nächsten Morgen wieder um sechs Uhr weitergehen soll."

Selbst wenn Arbeitnehmer und Unternehmen sich auf ein solches Modell verständigen würden, wäre es verboten, so Stettes. Auch bei der derzeit viel diskutierten Vier-Tage-Woche mit jeweils zehn Stunden könne es bei kurzfristig anfallenden Überstunden beim Arbeitsschutz und Ruhezeiten schnell zu Problemen mit dem Gesetz kommen, urteilt der Arbeitszeitexperte.

Mit der Jahresarbeitszeit sei Deutschland im internationalen Vergleich bereits am unteren Ende. Ein flexiblerer Rahmen würde auch den Unternehmen im Standortwettbewerb helfen. Stettes warnt aber vor einer pauschalen Neuregelung für alle Bereiche: "Schichtarbeiter etwa brauchen einen besonderen Schutz. Oder Beschäftigte, die nur zu bestimmten Zeiten arbeiten können. Hier greift der besondere Schutz des Gesetzes und das sollte auch so bleiben."   

Klare Fronten im Bundestag

Stephan Stracke ist Christdemokrat und Obmann im Ausschuss Arbeit und Soziales. "Die Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche soll bleiben. Aber die Arbeitszeit soll unter der Woche leichter verteilt werden können. Das gilt auch für den Arbeitstag selbst. Das ist die neue Lebenswirklichkeit vieler Menschen", so Stracke. Er verweist auf viele entsprechende Zuschriften zu dem Thema.

Bei den Ruhezeiten von elf Stunden solle es aber bleiben, so Stracke. Der europäische Rechtsrahmen sei hier eindeutig. "Wir warten seit zwei Jahren auf eine Gesetzesnovelle zur Arbeitszeitflexibilisierung der Ampel. Das hatte sie im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Gekommen ist bisher nichts", kritisiert der CDU-Mann.   

SPD: Höchstarbeitszeitgrenze soll bleiben

Martin Rosemann sieht das alles ganz anders. Er ist Sprecher für Arbeit und Soziales der SPD-Fraktion. "Der Antrag ist dürftig. Ich halte ihn auch für falsch. Wir haben gute Gründe bei einer täglichen Arbeitszeitbegrenzung zu bleiben. Es geht um Gesundheitsschutz", verteidigt Rosemann den Acht-Stunden-Tag und verweist auf Studien zur Arbeitsbelastung.

Zudem gebe es bereits zahlreiche Regelungen, die tägliche Arbeitszeit auszudehnen - über tarifliche Vereinbarungen. Eine Abkehr von der täglichen Höchstarbeitszeit würde vielmehr die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschweren, weil es für die Arbeitnehmer dann gar keine Verlässlichkeit mehr gebe. "Wie soll man da planen?", fragt Rosemann. Das führe zu einer Entgrenzung von Arbeit.

Auf die Frage, warum die Ampel bislang nicht, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, eine eigene Neuregelung vorgelegt habe, macht Rosemann klar: "Andere Gesetze hatten eine höhere Priorität und manches hat länger gedauert. Im Übrigen gibt es bereits im bestehenden Arbeitszeitgesetz viele Möglichkeiten der Flexibilität bei tariflichen Vereinbarungen." Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen hatte zu Jahresbeginn angekündigt, einen Rechtsanspruch auf flexibles Arbeiten zu prüfen. Konkrete Vorschläge gibt es dazu bislang aber nicht. Eine Anfrage von tagesschau.de beantwortet das Ministerium ausweichend. 

Künftig mehr oder weniger arbeiten?

Für Alexandra Kohlmann geht der Ansatz der Unionsfraktion zwar in die richtige Richtung, reicht aber nicht aus. "Wenn man hier aber weiter an der Mindestruhezeit von elf Stunden festhält, dann ist das zu kurz gedacht. Meines Erachtens bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes, um die notwendige Flexibilität zu schaffen, damit Arbeitnehmende ihren Beruf mit Privatem besser vereinen können."

Und auch Forscher Stettes ist skeptisch und sagt eine klare Entwicklung voraus: "Wir werden flexibler arbeiten müssen. Das wollen immer mehr Beschäftigte und die technischen Möglichkeiten dafür nehmen auch zu." Allerdings sieht er Deutschland bei der Gesamtarbeitszeit vor einem Dilemma. "Immer mehr Menschen haben den Wunsch, weniger zu arbeiten. Der demographische Wandel verschärft den Personalmangel. Um Fachkräfte zu bekommen und zu halten, müssen viele Firmen dem nachgeben", so Stettes. Aber um unseren Wohlstand zu halten, müssen wir eigentlich wieder deutlich mehr arbeiten."