Neuerliche Kursverluste Trister Rosenmontag an den Börsen
Die Hoffnungen auf einen baldigen Frieden waren verfrüht. Der anhaltende Ukraine-Krieg hat heute die Aktienanleger wieder in die Flucht getrieben. Damit endete einer der schlechtesten Börsenmonate seit langem.
Die Verunsicherung an den internationalen Aktienmärkten bleibt groß: Nach den deutlichen Kursverlusten in der vergangenen Woche ging es auch heute turbulent zu. Zeitweise sackte der DAX um über drei Prozent ab, bevor er sich wieder aufrappelte und das Minus eindämmte. Das deutsche Börsenbarometer schloss 0,7 Prozent schwächer. Von Rosenmontags-Stimmung war auf dem Parkett nichts zu spüren.
Im gesamten Februar brach der DAX um über sechs Prozent ein. Das war das größte Monatsminus seit 16 Monaten. Erst Spekulationen um eine rasche Zinswende und dann auch noch der Ukraine-Krieg setzten den Börsen weltweit zu.
Auch an der Wall Street ging der Februar teilweise mit Kursabschlägen zu Ende. Der Dow Jones fiel um 0,5 Prozent, nachdem er am Freitag noch auf Erholungskurs gegangen war. Der marktbreite S&P 500 büßte rund 0,2 Prozent ein. Dagegen schaffte die Technologiebörse Nasdaq. die späte Wende und drehte noch ins Plus. Sie ging um 0,3 Prozent höher aus dem Handel.
Anleger fürchten zunehmend die wirtschaftlichen Folgen von Russlands Invasion in der Ukraine und den verschärften Sanktionen. "Wir bleiben defensiv, da es von hier aus noch viel schlimmer werden könnte", sagte Peter Garnry, Aktienstratege bei der Saxo Bank. Vor allem Bank-Aktien flogen aus den Depots, nachdem westliche Staaten am Wochenende Finanz-Sanktionen gegen Russland verhängt haben. So werden russische Banken vom internationalen Zahlungssystem Swift ausgeschlossen.
Aktien der Citigroup, die unter den großen US-Kreditinstituten das größte Engagement in Russland hat, verloren rund vier Prozent. Die US-Bank warnte, dass Sanktionen und Exportkontrollen aufgrund der eskalierten Spannungen zwischen dem Westen und Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine das Geschäft der Citi beeinträchtigen könnten. Auch die Titel von JPMorgan, Goldman Sachs und Morgan Stanley gaben um zwei bis drei Prozent nach. Laut Experten könnten die neuen Sanktionen dem lukrativen russischen Investmentbanking-Geschäft von manchen US-Banken schaden.
Börsianer geben die Hoffnung auf eine Verhandlungslösung nicht auf. Vier Tage nach Beginn der russischen Invasion haben Unterhändler beider Seiten erste Gespräche über eine Waffenruhe geführt. Über Inhalte wurde zunächst nichts bekannt. Medienberichten zufolge ist eine zweite Runde in den kommenden Tagen geplant. Ziel sei ein unmittelbarer Waffenstillstand und der Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine, hatte das Büro des ukrainischen Präsidenten vor den Gesprächen erklärt.
Am Devisenmarkt hat der Euro nach schwachem Start Boden gutgemacht und wurde am Abend bei 1,1206 Dollar gehandelt. Am Vormittag hatte sich die Gemeinschaftswährung wieder dem Mehrmonatstief vom vergangenen Donnerstag angenähert, als der Euro infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine bis auf 1,1106 Dollar und damit den tiefsten Stand seit Mitte vergangenen Jahres gefallen war.
Gold bleibt in unsicheren (Kriegs-)Zeiten wie jetzt gefragt. Zeitweise verteuerte sich das Edelmetall um bis zu 2,2 Prozent auf 1928,32 Dollar je Feinunze. Auch andere sichere Häfen wie der Schweizer Franken und der japanische Yen wurden angesteuert.
Derweil befindet sich die russische Landeswährung Rubel nach den verstärkten Sanktionen des Westens in freiem Fall. Am Montagabend mussten für einen US-Dollar 104 Rubel gezahlt werden - etwa ein Viertel mehr als am Freitag. Da half auch nicht, dass die russische Zentralbank den Leitzins drastisch um 10,5 Prozentpunkte auf 20 Prozent erhöhte.
Die verschärften westlichen Sanktionen gegen Russland lösten derweil Panikverkäufe bei den Anleihen des Landes aus. So verloren die Papiere mit Laufzeiten bis 2024 und 2043 jeweils mehr als 50 Prozent an Wert. Im Gegenzug verdoppelten sich die Renditen auf über 17 beziehungsweise 20 Prozent.Die Moskauer Aktienbörse MOEX blieb heute geschlossen. Auch morgen soll sie dicht bleiben.
An den Rohstoffmärkten ging die Preisspirale dagegen wieder nach oben. Die Ölpreise zogen kräftig an. So kletterte der Preis für ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent um rund drei Prozent über die Marke von 100 Dollar, nachdem er am Freitag unter diesen Wert gefallen war. Zuletzt kostete Brent 100,45 Dollar. Am Freitag waren die Preise wegen der vagen Hoffnung auf Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine etwas unter Druck geraten.
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs setzt die Deutsche Börse den Handel mit russischen Wertpapieren aus. Dies gelte mit sofortiger Wirkung, teilte der Börsenbetreiber mit. Umgekehrt untersagte Russlands Zentralbank Wertpapierhändlern, russische Wertpapiere im Besitz von Ausländern zu verkaufen. Mit Kapitalspritzen und Fremdwährungsgeschäften sollen zudem heimische Geldinstitute gestützt werden.
Die Lufthansa hat angekündigt, dass die Airline im Zuge der Luftfahrt-Sanktionen gegen Russland alleine in dieser Woche 30 Passagierflüge zu russischen Zielen gestrichen hat. Russland hat inzwischen seinen Luftraum für Gesellschaften aus Deutschland und 35 weiteren Staaten gesperrt. Auf Verbindungen nach China, Japan und Korea müssen Maschinen nun südlich umfliegen.
Neben dem Tagesgewinner Delivery Hero waren im DAX heute vor allem Energieaktien gesucht. Die Titel von Siemens Energy zogen um fast vier Prozent an. Die Papiere von RWE gewannen 3,7 Prozent, die Titel von Eon 2,5 Prozent. Hintergrund ist die aktuelle Diskussion, wie der Ausfall russischer Gaslieferungen kompensiert werden könnte.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schließt angesichts der sich zuspitzenden Konfrontation des Westens mit Russland längere Laufzeiten von Kohle- und Atomkraftwerken in Deutschland nicht aus, was zumindest bei den AKWs technisch schwierig sein könnte. Die drei deutschen Energiekonzerne Eon, RWE und EnBW hatten am Samstag die Idee einer Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke zurückgewiesen.
Regelrechte Kurssprünge gab es bei Rüstungsaktien nach den jüngsten Beschlüssen der Regierung, den Verteidigungsetat aufzustocken. Im DAX waren die Papiere des Triebwerksbauers MTU stark gefragt. Im MDAX sprangen Aktien des Rüstungskonzerns Rheinmetall um fast 25 Prozent nach oben. Auch der Stahlkocher Thyssenkrupp und der Spezialist für Rüstungselektronik, Hensoldt, legten deutlich zu.
Zu den Kursgewinnern in der Krise zählen auch Cybersecurity-Aktien. So schossen am Freitag die Papiere von Secunet im SDAX um fast 17 Prozent nach oben, auch heute legten sie 20 Prozent zu. Secunet ist spezialisiert auf den Bedarf für Schutz vor Cyberattacken.
Aktien aus dem Bankensektor litten im Gegenzug stark unter dem Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-Zahlungssystem. Nachdem Deutschland, die USA und andere westliche Verbündete diesen beschlossen haben, sackten die Aktien der Deutschen Bank um fünf Prozent und die Titel der Commerzbank um über sieben Prozent ab. Auch andere europäische Bankaktien waren unter Druck, darunter die beiden größten Banken in der Eurozone, die französische BNP Paribas und die spanische Banco Santander.
"Der Ausschluss russischer Banken aus dem Zahlungssystem SWIFT bleibt nicht ohne wirtschaftliche Folgen für den europäischen Bankensektor", sagte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der Liechtensteiner VP Bank. Ihr Ausschluss aus dem internationalen Zahlungsverkehr bedeute, dass diese Finanzinstitute ihre Verbindlichkeiten gegenüber ihren europäischen Gläubigern nicht mehr begleichen können. In der EU sind die russischen Verbindlichkeiten allerdings überschaubar.
Die EZB-Bankenaufsicht hält derweil die Überlebensfähigkeit der europäischen Töchter der russischen Sberbank wegen der Auswirkungen der Finanzsanktionen für stark gefährdet. Die Zentralbank sei zum Urteil gelangt, dass die Sberbank Europe AG mit Hauptsitz in Wien sowie ihre beiden Töchter in Kroatien und in Slowenien, "ausfallen oder wahrscheinlich ausfallen" werden, hieß es in der Nacht zum Montag. Die EZB verweist auf einen erheblichen Abfluss von Einlagen.
Zu den Gewinnern im SDAX zählten Flatexdegiro mit einem Plus von über vier Prozent. Der Handelsboom an den Börsen in der Corona-Krise hat dem Online-Broker 2021 ein Rekordjahr beschert. Der Umsatz sprang um fast 60 Prozent auf knapp 418 Millionen Euro nach oben. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Sondereffekten legte um gut 55 Prozent auf gut 177 Millionen Euro zu. Das starke Geschäftswachstum verdankte Flatexdegiro dem Ansturm neuer Kunden, die auch eifrig handelten. Die Zahl der Kundenkonten lag Ende 2021 ebenfalls 55 Prozent höher als ein Jahr zuvor.
Der geplante Ausstieg aus dem russischen Rivalen Rosneft brockte BP den größten Kursrutsch seit drei Monaten ein. Die Aktien des britischen Ölkonzerns fielen am Montag in London zwischenzeitlich um mehr als sieben Prozent auf ein Zwei-Monats-Tief von 351 Pence. Wegen des Ukraine-Kriegs will das Unternehmen seine knapp 20-prozentige Beteiligung an der russischen Firma abstoßen. "Das ist eine schmerzhafte Trennung für BP", sagte Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. Rosneft habe im vergangenen Jahr schließlich 21 Prozent zum Konzerngewinn beigetragen. Darüber hinaus drohen BP durch den Verkauf nach eigenen Aussagen Abschreibungen im Volumen von bis zu 25 Milliarden Dollar.
Auch der niederländisch-britische Ölkonzern Shell trennt sich von seinem russischen Partner Gazprom. Er will seine Zusammenarbeit mit dem russischen Gasmonopolisten und damit verbundenen Unternehmen beenden. Betroffen davon ist unter anderem die Beteiligung an der Sachalin-II-Flüssiggasanlage. Außerdem werde die Kooperation am Pipeline-Projekt Nord Stream 2 beendet, verkündete Shell. "Wir sind schockiert über den Verlust von Menschenleben in der Ukraine", sagte Konzernchef Ben van Beurden. Er sprach von einem "sinnlosen Akt militärischer Aggression, der die europäische Sicherheit bedroht".
Österreichs größte Bank Erste Group sieht sich vom Krieg in der Ukraine nicht unmittelbar selbst betroffen. Das Geldhaus habe keine Töchter in Russland, der Ukraine oder Weißrussland und das Kreditengagement sei gegenüber anderen Ländern unwesentlich, erklärte die Erste Group. Das Institut geht davon aus, dass keine nennenswerte zusätzliche Risikovorsorge nötig wird. Im abgelaufenen Geschäftsjahr konnte die Erste Group ihren Gewinn unter dem Strich auf 1,92 Milliarden Euro mehr als verdoppeln. Die Anleger sind trotzdem skeptisch und schickten das Papier trotz des guten Ergebnisses in den Keller.
Die Aktien von Tesla zogen um rund sieben Prozent an. Das Genehmigungsverfahren für die Fabrik im brandenburgischen Grünheide ist dem Landesumweltministerium zufolge in der Endphase. Der "Tagesspiegel" schrieb, Ende dieser Woche solle die abschließende Genehmigung für das Werk erteilt werden. Am 22. oder 23. März sei dann eine große Eröffnungsfeier in der Fabrik geplant,. Zudem kündigte Panasonic an, dass die Massenproduktion einer neuen Lithium-Ionen-Batterie für Tesla vor Ende März 2024 in einem Werk in Japan beginnen werde.
Dagegen enttäuschte Zoom mit einem schwachen Ausblick. Der US-Videodienst stellte für das Fiskaljahr 2023 einen Umsatz zwischen 4,53 und 4,55 Milliarden Dollar in Aussicht. Analysten hatten im Schnitt mit 4,71 Milliarden Dollar gerechnet. Im abgelaufenen Quartal stieg der Umsatz um 21 Prozent auf 1,07 Milliarden Dollar und damit etwas mehr als erwartet. Zoom profitierte weiter vom Trend zum hybriden Arbeiten zwischen Büro und Homeoffice, kam aber nicht mehr an das starke Wachstum von Beginn der Coronapandemie heran. Die Zoom-Aktien stürzten nachbörslich um zwölf Prozent ab.
Der japanische Autobauer und Volkswagen-Rivale Toyota wird einem Medienbericht zufolge den Betrieb in all seinen Fabriken in Japan einstellen. Die Entscheidung erfolgt, nachdem der Zulieferer Kojima Press einem Hackangriff ausgesetzt war, wie die Zeitung "Nikkei" berichtet. Das Unternehmen prüfe noch den Stand der Arbeiten, sagte ein Toyota-Sprecher. Laut "Nikkei" würde der Produktionsstopp schätzungsweise mehr als 10.000 Fahrzeugen pro Tag in Japan betreffen.