Ein Kassenzettel liegt neben verschiedenen Lebensmitteln.
analyse

Veränderung der Kaufkraft War früher wirklich alles günstiger?

Stand: 16.01.2025 10:14 Uhr

Auch wenn die Inflation viele Menschen belastet: Die Kaufkraft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten positiv entwickelt. Auch in diesem Jahr dürfte es damit bergauf gehen.

Von Anne-Catherine Beck, ARD-Finanzredaktion

Viele Menschen müssen sich jede Form von Konsum gut überlegen, so manch einer dreht jeden Cent zweimal um, bevor er ausgegeben wird. Hinzu kommt die anhaltende Teuerung, die die Preise in die Höhe treibt. Und dennoch: Wenn man die blanken Zahlen betrachtet, bekommen die Menschen heute deutlich mehr für ihr Geld als früher.

Für den Kauf eines Schwarz-Weiß-Fernsehers musste man 1960 noch mehr als 339 Stunden arbeiten. Heute kann man sich einen Flachbild-Fernseher mit Internetverbindung und hochauflösendem Bildschirm im Schnitt bereits nach 24 Arbeitsstunden leisten. Ähnlich sieht es auch bei anderen technischen Geräten, Haushaltsgeräten, Bekleidung oder Lebensmitteln aus.

Technischer Fortschritt verbilligt Produkte

"Wenn wir ganz weit zurückgehen, haben wir einen enormen Kaufkraftanstieg. Im Vergleich zu 1960 hat sich die die Kaufkraft sogar verdreifacht. Ein Warenkorb, für den man damals noch eine Stunde arbeiten musste, ist heute bereits in 19 Minuten verdient", erklärt Christoph Schröder, Experte für Einkommenspolitik beim IW Köln.

Diese positive Entwicklung der Kaufkraft habe vor allem mit dem technischen Fortschritt und den gestiegenen Löhnen zu tun. In den Bereichen, in denen der technologische Fortschritt besonders groß war, gibt es demzufolge den stärksten Zuwachs an Kaufkraft. "Die Löhne konnten deshalb so stark steigen, weil wir einfach immer produktiver geworden sind. Vieles wird heute in größeren Mengen, wesentlich schneller und mit weniger Aufwand produziert als damals", erklärt Schröder.  

Bestimmte Faktoren schmälern die Kaufkraft

Es gibt nur wenige Beispiele, bei denen die Kaufkraft langfristig abgenommen hat. Dazu zählt etwa Fisch. "Der Fisch ist tatsächlich teurer geworden, was an der Überfischung liegt. Es gibt einfach immer weniger Fische, die man im Meer frei fangen kann. Dementsprechend muss man heute für einen Kabeljau etwas länger arbeiten, als man es 1960 musste", so Schröder.

Auch bei Dienstleistungen wie einem Friseurbesuch hat die Kaufkraft in der Regel abgenommen. Das liegt daran, dass die Produktivität dort kaum zugenommen hat, die Löhne und Verdienste hingegen gestiegen sind. Der Eindruck, dass früher alles besser und günstiger war, trifft demzufolge nur in wenigen Fällen zu. Oft können wir uns heute eher etwas leisten als in den 1960er-Jahren.

"Gefühlte" Inflation und Reallohnverlust

Dennoch sei das Gefühl, dass Vieles früher günstiger gewesen sei, durchaus berechtigt, erklärt Schröder. Denn oftmals weiche die persönliche Inflation stark von der allgemeinen Inflation ab. "Gerade Produkte, die man häufig kauft - wie das Brötchen, die Butter oder eben das Mittagessen in der Kantine - wirken viel stärker auf die gefühlte Inflation als Produkte, die man nur selten kauft, wie den Fernseher." Auch habe es in der Vergangenheit Jahre ohne Kaufkraftzuwachs gegeben. "Zwischen 2020 und 2022 hat die Inflation die Lohnzuwächse aufgefressen." 

Erst 2024 sind die Löhne im Schnitt wieder stärker gestiegen als die Preise. Während die Preise im Schnitt um 2,2 Prozent gestiegen sind, haben die Löhne nominal um 5,3 Prozent zugenommen. Daraus ergibt sich ein Reallohnzuwachs von etwas mehr als drei Prozent. Maßgeblich für diese Entwicklung waren die Inflationsausgleichsprämie sowie die beschlossenen Lohnsteigerungen und Einmalzahlungen.

Experten sagen Lohnsteigerungen voraus

Auch wenn es die steuerfreie Inflationsprämie nur bis Ende 2024 gab, dürften die Löhne auch in diesem Jahr zunehmen, prognostiziert Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts: "Wir erwarten Lohnsteigerungen zwischen durchschnittlich vier und fünf Prozent. Im Dienstleistungsbereich dürften sie sogar etwas höher sein."

Auch Chris-Oliver Schickentanz, Anlagestratege bei Capitell Vermögens-Management, rechnet mit steigenden Löhnen: "Vor allem im Dienstleistungssektor sind Arbeitnehmer knapp. Das heißt, dort müssen die Unternehmen teilweise auch um Mitarbeiter buhlen, indem sie höhere Löhne zahlen. Dementsprechend rechne ich dort mit stärkeren Lohnsteigerungen."

Steigende Kaufkraft kurbelt den Konsum an

Gleichzeitig könnten einige Produkte bald günstiger werden. Denn viele deutsche Hersteller fühlen sich gezwungen, die Preise zu senken, erklärt Schickentanz: "Die internationale Konkurrenz schläft nicht. 'Made in Germany' muss auch preislich mit der Konkurrenz aus China und aus Asien mithalten können. Das könnte einen dämpfenden Effekt auf die Preisentwicklung haben."

Für die Menschen in Deutschland sind das positive Aussichten. Denn steigen die Löhne stärker als die Preise, sollten die Menschen tatsächlich mehr Geld zur Verfügung haben und eher bereit sein, Investitionen zu tätigen. Fließt mehr Geld in den Konsum von Produkten oder Dienstleistungen, könnten wiederum Branchen wie der Bau und der Einzelhandel profitieren.

Wichtig sei allerdings, dass sich die Menschen auch wirklich auf Lohnsteigerungen verlassen können, betont Fuest. "Wenn die Menschen glauben, dass sie auch künftig gut verdienen und ihren Arbeitsplatz behalten, dann werden sie Geld ausgeben. Wenn nicht, werden sie eher sparen. Insofern brauchen wir wirklich mehr Vertrauen."

Was wird aus der Inflation?

Entscheidend ist in dem Zusammenhang allerdings auch, wie sich die Inflation in diesem Jahr entwickelt. Laut der aktuellen Prognose der Europäischen Kommission soll die Inflationsrate in Deutschland im Jahr 2025 bei rund 2,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr liegen. Allerdings könnten unvorhergesehene Entwicklungen wie Strafzölle oder ein starker Anstieg bei Versicherungsbeiträgen einen Strich durch die Rechnung machen.

Schickentanz geht daher von einem anderen Szenario aus: "Wir hatten ja lange Zeit eine eins vor dem Komma, was die Inflation angeht. Diese Zeiten sind, glaube ich, vorbei. Ich persönlich gehe er davon aus, dass wir in der nächsten Dekade Inflationsraten zwischen zwei und drei Prozent sehen werden." Sollte dieses Szenario eintreten, könnten die Wachstumsraten bei unserer Kaufkraft langfristig kleiner ausfallen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 07. Januar 2025 um 09:00 Uhr.