Container lagern im Hamburger Hafen.

Deutsche Wirtschaft 2025 Wirtschaftsweise halbieren Wachstumsprognose

Stand: 13.11.2024 16:15 Uhr

Die "Wirtschaftsweisen" haben ihre Wachstumsprognose für das kommende Jahr mehr als halbiert. Die deutsche Wirtschaft soll nur noch um 0,4 Prozent wachsen. Um sie wieder flott zu machen, fordern die Experten verschiedene Maßnahmen.

Kein Aufschwung in Sicht: Die sogenannten Wirtschaftsweisen rechnen nach einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in diesem Jahr auch 2025 nicht mit einem spürbaren Wachstum der deutschen Wirtschaft. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), der die Bundesregierung berät, erwartet nur ein Mini-Plus von 0,4 Prozent und senkt damit seine Prognose aus dem Frühjahr deutlich.

"Von konjunkturellen und strukturellen Problemen ausgebremst"

Die deutsche Volkswirtschaft befinde sich weiterhin in der Stagnation, teilten die fünf Wirtschaftsweisen in ihrem heute veröffentlichten Jahresgutachten mit. "Die anhaltende Wachstumsschwäche legt nahe, dass die deutsche Wirtschaft von konjunkturellen wie auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird", hieß es. Im Mai hatte der fünfköpfige Rat noch ein Wachstum von 0,9 Prozent im Jahr 2025 prognostiziert.

Nun betonte er, die deutsche Wirtschaft werde sich erst im Verlauf des kommenden Jahres leicht erholen. 2024 rechnet der SVR mit einem realen BIP-Rückgang um 0,1 Prozent. So seien Produktion und Wertschöpfung in der Industrie zurückgegangen. Zudem entwickelten sich den Angaben zufolge auch die Investitionen rückläufig. Gleichzeitig führe die Erholung der Weltwirtschaft nicht im bisher üblichen Maße zu einer Steigerung der deutschen Exporte.

Darüber hinaus komme der private Konsum nach wie vor nicht in Schwung. Obwohl die Reallöhne zuletzt deutlich stiegen, bleibe die Sparquote hoch. Das bedeutet: Viele Haushalte legen ihr Geld lieber auf die hohe Kante, als es auszugeben - trotz der im Jahresverlauf gesunkenen Inflationsrate. "Pessimistische Erwartungen über die weitere wirtschaftliche Entwicklung und eine Verlangsamung der Reallohnsteigerungen dürften dazu führen, dass die privaten Konsumausgaben auch im Jahr 2025 nur wenig steigen werden", so der SVR. Die Verbraucherpreise werden danach im kommenden Jahr um 2,1 Prozent steigen.

"Modernisierung unseres Landes jetzt entschlossen vorantreiben"

Auch die Bundesregierung hatte in ihrem Herbstgutachten im Oktober die Konjunkturprognose gesenkt. Sie rechnet für dieses Jahr mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent. Sie begründete das unter anderem mit der Unsicherheit bei Unternehmen und Bürgern, die sich mit Investitionen zurückhalten. Diese könnte nun nach dem Scheitern der Ampel und der Frage, wie es weitergeht, weiter steigen. Die Neuwahl des Bundestags ist im Februar geplant.

Für das kommende Jahr erwartet die Bundesregierung ein Wachstum von 1,1 Prozent. Dabei setzt sie aber auch auf eine geplante Wachstumsinitiative mit Steuererleichterungen, Arbeitsanreizen und Strompreis-Vergünstigungen. Ob dies zumindest in Teilen noch bis Jahresende umgesetzt wird, ist aber nach dem Scheitern der Koalition völlig offen. Kanzler Olaf Scholz sagte bei der Übergabe des Gutachtens der Wirtschaftsweisen, die Wachstumsinitiative sei sehr dringend notwendig.

"In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Versäumnisse in der Politik und in der Wirtschaft", sagte SVR-Vorsitzende Schnitzer. Umso wichtiger sei es, die Modernisierung unseres Landes jetzt entschlossen voranzutreiben." Dafür schlägt der Rat in seinem Jahresgutachten verschiedene Maßnahmen vor. So sollte der Staat etwa zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben priorisieren. Die Versäumnisse zeigten sich insbesondere bei den Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und Schulbildung, deren gesellschaftlicher Nutzen größtenteils erst in der Zukunft eintrete.

Rat fordert gesetzlich verankerte Mindestquoten bei Investitionen

"Diese werden gegenüber Ausgaben, die der derzeitigen Wählerschaft zugutekommen, von der Politik oft zurückgestellt", erklärte der Sachverständigenrat. Es brauche dafür einen Sonderfonds oder gesetzlich verankerte Mindestquoten. Die öffentlichen Ausgaben in den drei Bereichen seien seit Jahren zu gering, es bestehe ein großer Nachholbedarf. Sie müssten verbindlich erhöht und dann auch verstetigt werden. Zukünftige Generationen könnten auch durch zu niedrige Ausgaben und eine unzureichende Infrastruktur belastet werden, sagte der Wirtschaftsweise Achim Truger. "Die Schuldenbremse stellt die notwendige Priorisierung zukunftsorientierter Ausgaben nicht sicher."

Im Verkehrsbereich schlägt der Rat einen Fonds vor, dem dauerhaft Einnahmen aus dem Kernhaushalt übertragen werden - etwa Mauterlöse für Lkw oder perspektivisch auch Pkw. Kontinuierliche Einnahmen würden helfen, die nötigen Gelder für Schienen und Straßen zu haben. Dann brauche es noch eine Zweckbindung, damit Neubauten nicht zu oft den Vorrang vor Bestandssanierungen erhielten. Im Verteidigungsbereich könnte das Zwei-Prozent-Ziel der NATO die Orientierung sein.

Auch in der Bildung, besonders im frühkindlichen Bereich und in der Grundschule, böten sich gesetzlich fixierte Mindestquoten an, so die Experten. Mindestausgaben pro Schülerin und Schüler könnten der Startpunkt einer Reform sein. Es brauche dann aber angemessene Quoten auf Länderebene, die den Großteil in der Bildung leisten. Eine bundesweite Koordinierung wäre sinnvoll, es brauche aber länderspezifische Festlegungen, um regionale Unterschiede zu berücksichtigen.

Digitaler Finanzmarkt und Wohnungsmarkt weitere Themen

Darüber hinaus beschäftigte sich der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten mit der Digitalisierung des Finanzmarkts, wo ebenfalls Nachholbedarf bestehe. Deutschland liege hier im europäischen Vergleich nur im unteren Mittelfeld und verschenke Potenziale für Innovationen und Effizienzsteigerungen. Es sollten regulatorische Experimentierräume für neue Produkte und Geschäftsmodelle eingerichtet werden. Darüber hinaus könne auf Kundenwunsch eine einfachere Übertragung finanzieller Kundeninformationen zu alternativen Anbietern den Wettbewerb stärken. Der geplante digitale Euro könnte eine kostengünstige und sichere Alternative zu Kreditkarten und Bezahlverfahren bieten.

Ein weiteres Thema der Ökonominnen und Ökonomen ist der Wohnungsmarkt. In den vergangenen 15 Jahren seien die Preise stark angestiegen. Gerade in Ballungsräumen und wirtschaftlich starken ländlichen Regionen habe die Wohnraumnachfrage stark angezogen. Gleichzeitig seien dort zu wenig zusätzliche Wohnungen geschaffen worden. Die Knappheit des Wohnraums sei nicht nur ein soziales, sondern auch ein gesamtwirtschaftliches Problem, weil es den Zuzug von Arbeitskräften in produktive Regionen hemme, so die "Wirtschaftsweisen".

Daher sollten Kappungsgrenzen für zulässige Erhöhungen von Bestandsmieten in angespannten Wohnungsmärkten nicht mehr abgesenkt werden. Generell sollte eine restriktive Mietenregulierung nur temporär gelten und zwingend mit Maßnahmen zur Erweiterung des Wohnraumangebots einhergehen. Um die Anreize zu stärken, solche Maßnahmen zu ergreifen, sollte die Mietpreisbremse nach 2028 nicht mehr verlängert werden. Gleichzeitig sollten einkommensschwache Haushalte beim Zugang zum Wohnungsmarkt durch Wohngeld und Sozialwohnungen unterstützt werden.

Mit Informationen von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion.

Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin, tagesschau, 13.11.2024 00:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 13. November 2024 um 15:00 Uhr.