Gutachten der Wirtschaftsweisen Was der Konjunktur jetzt helfen könnte
Kurz nach dem Scheitern der Ampel und mitten in der Konjunkturflaute stellen die Wirtschaftsweisen ihr Jahresgutachten vor. Was hilft der Wirtschaft in der aktuellen Situation?
Während der Bundestag heute über die Regierungserklärung von Kanzler Scholz debattiert, stellen die sogenannten Wirtschaftsweisen ihr Jahresgutachten vor. Im Kern geht es um Empfehlungen zur Wirtschaftspolitik.
Dabei müssen sich die fünf Mitglieder des "Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" in der Regel auf eine gemeinsame Position einigen - was nicht immer gelingt.
Immer wieder gibt es Minderheitsvoten, die unter dem Titel "Eine andere Meinung" in den jeweiligen Jahresgutachten veröffentlicht werden. Hintergrund sind häufig unterschiedliche Denkrichtungen innerhalb der Ökonomie, die wiederum Pendants in der Politik haben.
Unterstützung für die schwächelnde Wirtschaft
Das zeigte sich zuletzt bei den wirtschaftspolitischen Vorschlägen der bisherigen Ampel-Partner. Zwar waren sich alle einig, dass die schwächelnde Wirtschaft Unterstützung braucht. Die Konzepte dafür sahen aber recht unterschiedlich aus - nicht nur beim Umgang mit der Schuldenbremse.
Während Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) für eine Investitionsprämie warb und Kanzler Olaf Scholz (SPD) Hilfen für die Autoindustrie durchsetzen wollte, plädierte Christian Lindner (FDP) mit seinem Wirtschaftspapier für Steuersenkungen.
"Klassische reine Lehre", analysiert Philippa Sigl-Glöckner, Ökonomin und Gründerin der SPD-nahen Denkfabrik "Dezernat Zukunft" das Lindner-Papier. Die Fokussierung auf Steuersenkungen für Unternehmen sowie Menschen "am oberen Ende der Einkommensverteilung" sei für sie erstaunlich gewesen: "Da haben wir eigentlich in den letzten Jahren empirisch gelernt, dass das nicht wahnsinnig effektiv darin ist, das Wachstum anzukurbeln."
Insbesondere in einer Zeit, in der in der Breite die Nachfrage fehle und Geschäftsmodelle gar nicht rentabel seien - für Unternehmen, die keine Gewinne machen, bringe es ja nichts, die Unternehmenssteuer zu senken.
Diese Kritik sei aber nicht als generelle Absage an eine Stärkung der Angebotsbedingungen zu verstehen, betont Sigl-Glöckner im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio: "Für mich ist gute Wirtschafts- und Finanzpolitik eine gute Koordination von Angebot und Nachfrage."
Man müsse pragmatisch vorgehen. Das gelte auch für die Finanzierung notwendiger Investitionen mit Hilfe von Schulden. Wenn sich Ökonomen aus unterschiedlichen Richtungen dazu einig seien, zeige das, "dass es jetzt nicht was mit Fundamentalpositionen zu tun hat, sondern einfach mit dem Zustand der deutschen Wirtschaft."
Angebots- vs. Nachfragepolitik
Das klingt nach einem klassischen Gegeneinander in der Wirtschaftstheorie. Vereinfacht gesagt versteht man unter Angebotspolitik günstige Rahmenbedingungen für die Unternehmen, unter Nachfragepolitik zusätzliche, meist schuldenfinanzierte, staatliche Ausgaben.
Wobei auch die Interessenlage immer eine wichtige Rolle spielt: Während Wirtschaftsverbände in der Regel für eine Stärkung der Angebotsseite plädieren, betonen Gewerkschaftsvertreter die Bedeutung der Nachfrage für die wirtschaftliche Entwicklung - nicht zuletzt bei den eigenen Tarifforderungen.
Allerdings hat das Gegeneinander von Angebots- und Nachfragepolitik in der Volkswirtschaftslehre an Bedeutung verloren. Das sieht nicht nur Philippa Sigl-Glöckner so, sondern auch Lars Feld, der ehemalige Vorsitzende des Sachverständigenrates: "Ich denke schon, dass wir im Mainstream der Ökonomie einen ziemlichen Pragmatismus haben und dass es situationsbedingt ist, was man letztlich empfiehlt." Während der Corona-Pandemie beispielsweise habe er für eine expansive Finanzpolitik mit höherer Verschuldung geworben, sagt Feld.
Zugleich betont Feld, den Christian Lindner in seiner Zeit als Finanzminister zu seinem persönlichen Berater gemacht hat, dass die Lage aktuell eine andere sei: "Wir haben gegenwärtig eine stagnative Wirtschaft mit Inflation und stellen fest, dass es gewaltige Angebotsprobleme gibt, dass die Kostensituation der Unternehmen deren Investitionen hemmt." Dann müsse man gerade an dieser Stelle ansetzen und die Kosten reduzieren, anstatt schuldenfinanziert neue Subventionen zu verteilen, so Feld, der als Kopf hinter dem Lindner-Papier gilt.
Marktversagen beim Klimaschutz?
Der Ökonom setzt sich damit auch von der "transformativen Angebotspolitik" ab, die Wirtschaftsminister Habeck propagiert - also staatliche Programme für Unternehmen, damit diese klimafreundlich produzieren.
Mit der Vorstellung, Investitionen über Subventionen oder auch das Ordnungsrecht in bestimmte Bereiche zu lenken, gerate der Staat in die Gefahr, sich ein Wissen anzumaßen, das er nicht hat. Die vergangenen Jahre hätten gezeigt, wie viele Fehler die Politik damit gemacht habe, so Feld im ARD-Interview. Mehrere mit staatlichen Geldern geförderte Fabrikprojekte sind zuletzt auf Eis gelegt worden, der geförderte Umstieg auf "grünen" Stahl droht trotz Milliardenhilfe zu scheitern.
Ganz ohne staatliche Eingriffe werde es bei der Dekarbonisierung aber nicht gehen, betont die sozialdemokratische Ökonomin Sigl-Glöckner. Klimaschutz lasse sich nicht allein mit dem Markt organisieren: "Wir laufen hier einfach in das praktische Problem rein, dass ganz viele Geschäftsmodelle heute nicht rentabel sind." Da könne sich der Staat nicht einfach raushalten, insbesondere auf dem Energiesektor, bei dem der Staat auch für die entsprechenden Netze sorgen müsse und damit Monopolist sei.
Als grundsätzliche Absage an die Vorteile des Marktes sei das aber nicht zu verstehen, betont Sigl-Glöckner. Der liberale Ökonom Feld wiederum gibt zu, dass es beim Klimaschutz eine gewisse Form von Marktversagen gibt - und damit gute Gründe für staatliche Eingriffe.
Der Unterschied zeigt sich seiner Einschätzung nach in den Instrumenten, mit denen die Politik agieren soll. In seiner eher angebotsorientierten Sicht plädiert Feld für die CO2-Abgabe: "Dann wird dort CO2 eingespart, wo es am günstigsten ist." Was dann wieder nah an der "technologieoffenen Angebotspolitik" ist, von der Christian Lindner in seinem Wirtschaftspapier gesprochen hat.