Gabelstapler stapelt Paletten in einer Lagerhalle
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Stagnierende Wirtschaft Muss Wachstum wirklich sein?

Stand: 02.12.2024 10:17 Uhr

Die deutsche Wirtschaft stagniert. Während die allermeisten Politiker und Ökonomen das ändern möchten, gibt es auch eine andere Sicht aufs Thema. Warum braucht das Land überhaupt Wirtschaftswachstum?

Der kritische Blick aufs Wirtschaftswachstum hat schon Einzug in den Duden gefunden: "Wachstumsfetischist, der: Vertreter des Wachstumsfetischismus." Welche Ansicht da vertreten wird, definiert der Duden in der Kategorie Bedeutung so: "Das wirtschaftliche Wachstum zum Fetisch erhebende Auffassung". In der Kategorie "Gebrauch" steht: "abwertend". Damit kehrt eine Debatte zurück, die bereits 1972 startete, als der "Club of Rome" einen Bericht über "Die Grenzen des Wachstums" vorlegte.

Gut 50 Jahre später argumentieren die Kunden des Klatschmohns in Gießen, einem der ältesten Bioläden Deutschlands, ganz ähnlich. Auch für Georg Rieck, Gründer und Inhaber des Bioladens, ist völlig klar: "Das ewige Wachstum geht einfach nicht." Das sei inzwischen eigentlich auch jedem bewusst, da Klima und Artenvielfalt dem Wachstum geopfert werden würden.

"Wohlstand beruht auf Wachstum"

Wer an der Frankfurter Goethe-Universität den Wirtschaftswissenschaftler Volker Wieland auf diese Sichtweise anspricht, erntet Kopfschütteln. Eine solche Meinung sei in etwa so, als würde man meinen: "Der Strom kommt aus der Steckdose."

Mit Unverständnis auf die Idee des Nicht-Wachstums reagieren auch Unternehmer wie Andreas Widl. Er ist Vorstandsvorsitzender der Samson AG in Frankfurt am Main, einem global agierenden Hersteller von Industrieventilen. "Unser aller Wohlstand beruht doch auf dem Wachstum der Vergangenheit", so Widl. Entsprechend ist für ihn ein Verzicht auf künftiges Wachstum überhaupt nicht denkbar.

Ganz im Gegenteil - er setzt auf Wachstum und investiert dafür fast 400 Millionen Euro in Offenbach. Dorthin wird das Unternehmen umziehen, weil der alten Standort in Frankfurt mittlerweile aus allen Nähten platzt. Um solche Investitionen stemmen zu können, brauche es nun mal Wachstum.

Raten immer weiter zurückgegangen

Das deutsche Wirtschaftswachstum hat sich über die Jahrzehnte immer weiter verlangsamt: In den 1950-Jahren gab es noch Wachstumsraten von acht Prozent und mehr, in den 1980er-Jahren noch rund zwei Prozent. In den vergangenen beiden Jahrzehnten waren es nur noch ein Prozent pro Jahr, und 2023 und 2024 gab es sogar einen leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung.

Diese Schwäche sei gefährlich, argumentiert der Chef des Mittelständlers Samson. "Besonders Großkonzerne investieren nun mal dort, wo Wachstum ist und in Zukunft zu erwarten ist." Da drohe eine Abwärtsspirale, die sich selbst verstärke.

Für alle spürbar: stagnierende Reallöhne

Auch Wirtschaftsexperte Wieland kann einer schrumpfenden Wirtschaft keinerlei positiven Aspekte abgewinnen. "Wenn nichts wächst, kann auch kein Zuwachs verteilt werden", so der frühere Wirtschaftsweise. Die Folge seien immer härtere Verteilungskämpfe: "Wenn der Staat in einer schrumpfenden Wirtschaft letztlich Verluste verteilen muss, wird es richtig bitter."

Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland beim Wachstum und vor allem bei den Wachstumsaussichten eher schlecht ab. Der Abstand zu den USA und anderen Industrieländern wird von Jahr zu Jahr größer.

Diese Schwäche schlägt dann durch auf die Entwicklung des Lebensstandards. So können sich die Menschen beispielsweise in den USA mehr leisten, weil die Reallöhne seit 2018 gestiegen sind. Dagegen stagnieren die deutschen Realeinkommen. "Wachstum ermöglicht, mehr Wohlstand in der Breite zu schaffen", so Wieland.

Es geht auch ohne Schaden für das Klima

Zugleich darf das Wachstum die Umwelt und Klima nicht immer weiter belasten. Die Entkopplung von Wachstum und klimaschädlichen Emissionen ist das große Ziel von "Grünem Wachstum". Da geht in Deutschland der Trend zumindest in die richtige Richtung. Denn seit der Wiedervereinigung 1990 ist die deutsche Wirtschaft um knapp die Hälfte gewachsen. Zugleich geht im selben Zeitraum der Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen um rund ein Drittel zurück. "Es geht also sehr wohl", sagt Wieland. "Wir können mit mehr Wachstum sogar auch das Klima besser schützen."

Doch mehr Wachstum ist in der aktuellen Lage in Deutschland nur Wunsch statt Realität. Es ist die zentrale Aufgabe für die neue Bundesregierung, für mehr Wachstum zu sorgen. Denn so unterschiedlich die Rezepte der Parteien dafür auch sind, herrscht im Ziel große Einigkeit: Mehr Wachstum ist besser als kein Wachstum.        

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 15. November 2024 um 06:13 Uhr.