Protest auf Gran Canaria
reportage

Proteste auf den Kanaren Gegen den Ausverkauf der eigenen Heimat

Stand: 23.04.2024 12:44 Uhr

Zehntausende Menschen haben am Wochenende auf den Kanaren gegen den "Ausverkauf" ihrer Inseln protestiert, mehrere Aktivisten sind im Hungerstreik. Jetzt fragen sich viele, was der Protest bewirken kann.

20 Grad mild, das Meer plätschert an die Felsen, Lounge-Musik und leises Stimmengewirr aus der nahen Strandbar. Um diese Jahreszeit ist noch Platz an der "Playa la Tejita" im Süden von Teneriffa.

Idylle pur, so scheint es. Wären da nicht diese Graffitis: "Tourist go home" prangt in Großbuchstaben auf einem Kabelkasten vor einer Baustelle: diverse große halbfertige Rohbauten, viel Beton und Stahl. Es ist ein Ort, an dem Sonnen- und Schattenseite des Tourismus zusammen fallen: die Schönheit der Natur und die Probleme, die immer mehr Hotel- und Apartmentbauten auf der Insel hervorrufen.

"Wir wollen Ökotourismus und nachhaltigen Tourismus, aber wir wollen keine Überbevölkerung", ruft ein Mann, als er unsere Kamera sieht. Er lebt selbst auf den Kanaren und ist solidarisch mit den Aktivisten, die gegen zu viel Tourismus auf den Inseln protestieren. Es ist DAS Gesprächsthema in diesen Tagen bei den Inselbewohnern.

Zehntausende protestieren gegen Massentourismus auf den Kanaren

Kristina Böker, ARD Madrid, tagesschau, 20.04.2024 20:00 Uhr

Aktivisten befürchten "Ausverkauf" der Kanaren

Victor Martín, Geografieprofessor und Pressesprecher der Bewegung "Canarias se agota" - gegen den "Ausverkauf der Kanaren" - erklärt, dass sich an dieser und einer weiteren Baustelle der Protest der Aktivisten entzündet hat. Hier gebe es Zweifel an der Baugenehmigung so nah am Wasser.

Die Aktivistinnen fordern einen Baustopp und ein Moratorium, bevor die Kanarischen Behörden weitere Projekte zulassen. Ein paar Buchten weiter entstehen um die 400 Luxusapartments, auf dem früheren riesigen Gelände einer Tomaten- und Bananen-Farm - mit freier Sicht aufs Meer.

"Wir wollen, dass dieses Gebiet für etwas anderes genutzt wird als für immer mehr Wohnungen und Hotels", sagt Aktivist Victor Martín, der Tourismus habe sich seit einem halben Jahrhundert immer mehr Flächen einverleibt.

Massentourismus lässt Steuerkassen klingeln

In der Ferne zu sehen: die Hochhäuser von "Las Americas", Zentrum des Pauschal- und Massentourismus auf Teneriffa. Hier klingeln die Kassen derer, die vom Tourismus leben. Und denen der Protest der Demonstrierenden zu scharf ist.

Der Tourismus ist laut Daten vom kanarischen Statistik-Institut der wichtigste Wirtschaftsfaktor auf den Inseln und steuerte 2022 rund 35 Prozent zum kanarischen BIP bei. Im Steuersäckel landeten daraus satte 3,4 Milliarden Euro.

Auf der Sonnenseite brummt die Tourismuswirtschaft, im Schatten sehen sich die, die davon nicht profitieren. Die Löhne auf den Kanaren sind die zweitniedrigsten Spaniens, die Wohnungsnot für die Protestbewegung eines der größten Probleme. Wohnraum wird vielfach über Plattformen an Touristen vermietet. Dadurch wird Wohnraum knapp und teuer. Zu teuer für die Kanarier.

Protest gegen zu viel Tourismus, nicht gegen Touristen

Spätnachmittags auf der Hafenpromenade in Puerto Santa Cruz im Norden Teneriffas flanieren viele deutsche Touristen. Für die Demonstrierenden zeigen die meisten Verständnis. So wie Christian Heintz aus Kiel, der mit Familie da ist.

Spanien habe allerdings in den 60er und 70er Jahren den Sauftourismus ein wenig angelockt, findet er, und habe dann jahrzehntelang davon gut gelebt. "Das jetzt einfach so über Nacht wieder loszuwerden, das wird nicht einfach".

Die deutschen Reisenden scheinen sich weiter Willkommen auf den Kanaren zu fühlen, allen Befürchtungen der Hoteliers zum Trotz. Die Aktivisten würden die Probleme der Inseln auf den Tourismus schieben, so der Präsident des Hotelverbandes auf Teneriffa Jorge Marichal, aber der sei eigentlich die Lösung.

Problematisch sei, dass die Bevölkerung der Kanaren in den vergangenen 25 Jahren um 30 Prozent gewachsen sei. "Aber es gibt nicht mehr Autobahnen, Schulen, Krankenhäuser und Wohnungen, all das ist nicht gewachsen."

Politik macht nach Demonstrationen Ankündigungen

Die einen klagen über zu wenig Infrastruktur, die anderen über zu viel Tourismus - und jetzt? Zum Wochenbeginn lobt der Präsident der Kanarischen Inseln, Fernando Clavijo, die friedlichen Proteste vom Wochenende und räumt ein, dass das Tourismusmodell überprüft und neu ausgerichtet werden müsse. Es werde Gespräche geben. Kritisch bewertet er die Forderung der Demonstrantinnen nach einem Moratorium für weitere Bauprojekte.

Augustín Santana-Talavera vom Institut für Tourismus an der Universität La Laguna auf Teneriffa ist skeptisch, was schnelle Lösungen angeht. Die Äußerungen der kanarischen Regierung gingen eher in die Richtung "wir arbeiten dran" und die Tourismuswirtschaft wolle offenbar nicht über die Löhne sprechen, sagt er gegenüber tagesschau.de. "Es könnte aber sein, dass die Idee einer Tourismus-Steuer aufgegriffen wird", er selbst fände es vor allem wichtig, die Ferienunterkünfte zu regulieren und zu kontrollieren.

Aktivist Victor Martín zieht nach den Demonstrationen am Wochenende ein positives Resumée für die Aktivisten. Sie fühlten sich in ihrem Kampf durch die vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestätigt. Der Hungerstreik gehe dennoch weiter.

Und die Touristen selbst? Werden wohl weiter die Sonnenseiten der Inseln genießen und sich von "Tourist go home"-Graffitis" nicht abschrecken lassen.

Franka Welz, ARD Madrid, tagesschau, 23.04.2024 12:02 Uhr