Wirtschaftsbeziehungen Wo die Abhängigkeit von China am größten ist
In den vergangenen Jahren sind Deutschlands Handelsbeziehungen mit China noch enger geworden. Die Folge sind ökonomische Abhängigkeiten, die viele Experten für gefährlich halten.
Viel war in den vergangenen Jahren von den Risiken der engen wirtschaftlichen Verflechtung Deutschlands mit China die Rede. Angesichts der zunehmenden geopolitischen Spannungen hat sich diese Diskussion zuletzt noch intensiviert. Tatsächlich hat die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von der Volksrepublik in den vergangenen Jahren noch weiter zugenommen.
Gemessen am gesamten Handelsvolumen, also Exporten und Importen zusammen, ist China schon seit 2016 zum wichtigsten Handelspartner Deutschlands aufgestiegen. Laut Statistischem Bundesamt erreichte der wechselseitige Warenaustausch im vergangenen Jahr fast 299 Milliarden Euro. Das war mehr als eine Verdoppelung binnen zehn Jahren. 2012 lag das Handelsvolumen noch bei 145 Milliarden Euro.
Betrachtet man die Exportseite, gingen zuletzt 9,8 Prozent der Gesamtausfuhren nach China, womit das Land zweitgrößter Abnehmer deutscher Waren hinter den USA ist.
Während der Handel mit China auch während der Corona-Pandemie fast stetig gewachsen ist, fällt das wachsende Handelsdefizit auf, das sich zuletzt auf einen Rekordwert von etwa 85 Milliarden Euro ausgeweitet hat. Mit Blick auf den notorischen Handelsbilanzüberschuss der deutschen Volkswirtschaft ist dieses Defizit insgesamt betrachtet nicht schädlich. Es zeigt aber, dass Deutschland zuletzt stärker denn je auf Importe aus der Volksrepublik gesetzt hat, und die Abhängigkeiten auf der Importseite noch größer sind als auf der Exportseite.
Autobranche extrem abhängig vom chinesischen Markt
Vor allem dank der Nachfrage aus China sind Automobile das wichtigste Exportgut Deutschlands. Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugteile machten 2021 über ein Viertel der Ausfuhren in die Volksrepublik aus. Mit weitem Abstand folgen elektronische Bauteile und weitere Maschinen.
Die Verwundbarkeit des deutschen Automobil- und Maschinenbaus liegt auf der Hand. Sollte es zu nachhaltigen Störungen des China-Handels kommen, wären die Folgen für die Gewinnentwicklung und Beschäftigung in diesen Schlüsselbranchen enorm. Dabei bereitet schon die wachsende inländische Konkurrenz den deutschen Herstellern zunehmend Sorgen. Gerade im Zukunftsfeld E-Mobilität sind deutsche Hersteller hier ins Hintertreffen geraten.
Hohe Abhängigkeit bei elektronischen Geräten
Aber besonders die Importseite der deutschen Handelsbilanz zeigt, dass China vom Globalisierungstrend der vergangenen Jahre mit seiner Internationalisierung der Zulieferbeziehungen erheblich profitieren konnte. Alleine der Wert der aus China eingeführten Computer und sonstigen Datenverarbeitungsgeräte überschreitet schon den der deutschen Automobilexporte.
Die zunehmenden Sicherheitsbedenken insbesondere bei Netzwerktechnologien lassen sich an diesen Zahlen bisher noch nicht ablesen. Gemessen am Warenwert kamen laut Statistischem Bundesamt im ersten Quartal 2023 rund 86 Prozent der importierten Notebooks und Tablets und rund 68 Prozent der Smartphones und Telefone aus China.
Während Ausfälle bei chinesischen Spielzeug- oder Möbelimporten vergleichsweise einfach zu ersetzen wären, stellt die Substitution der in erheblichen Zahlen eingeführten Elektrogeräte und elektronischen Bauteile deutsche Unternehmen vor erhebliche Probleme. Dabei sind nicht allein die Kosten ein wesentlicher Faktor, sondern auch die benötigten Volumina.
Riskante Abhängigkeit bei Rohstoffen
Ein zunehmend kritisches Feld, das China seit Jahren strategisch bestellt, sind Rohstoffe und rohstoffbasierte Bauteile für die großen Zukunftsfelder E-Mobilität und erneuerbare Energien. Bei den für den Bau von Hightech-Komponenten etwa im Bereich erneuerbarer Energien unverzichtbaren seltenen Erden lag die Importabhängigkeit zuletzt bei 92 Prozent.
Ebenso kritisch schätzen Experten die Lage bei Lithium ein, das insbesondere für Batterien bei Elektrofahrzeugen benötigt wird. Im globalen Rennen um das begehrte Leichtmetall hat China klar die Nase vorn. Chinesische Unternehmen investieren Milliarden in Ländern Lateinamerikas oder Afrikas, um sich Vorkommen zu sichern. Bis 2025 könnte China nach Einschätzung von Experten rund ein Drittel der weltweiten Lithium-Versorgung kontrollieren. Ende März hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gewarnt, die EU beziehe ihr Lithium zu 97 Prozent aus China. Zudem kamen im ersten Quartal rund 39 Prozent aller in Deutschland benötigten Lithium-Ionen-Akkus aus China.
"Die Abhängigkeit von China beim Lithium ist ein großes Risiko für deutsche Unternehmen", so Wirtschaftsforscher Tobias Heidland vom Kieler IfW. "Sollte es zu größeren Spannungen kommen, könnten sie den Zugang zu entscheidenden Zwischenprodukten verlieren."
"De-risking" statt Entkoppelung?
Was aber kann getan werden, um die Abhängigkeit vom Exportweltmeister zu verringern? Klar ist, dass eine "Entkoppelung", von der zuletzt häufiger zu hören war, kaum realistisch ist und im Interesse keines Beteiligten liegt. Schon die jüngst vollzogene Kappung wesentlicher Handelsbeziehungen mit Russland lässt ahnen, welche Probleme und Kosten mit ähnlichen Schritten gegenüber China verbunden wären. Laut einer Studie des Münchener ifo-Instituts würde ein "Reshoring", das heißt eine Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland, zu einem Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von rund 9,7 Prozent führen. China würde dagegen nur einen Verlust von 0,17 Prozent erleiden.
Ein pragmatischerer Ansatz, der von der Politik wie auch Teilen der Wirtschaft verfolgt wird, besteht in der Verringerung der Risiken. Statt einer Entkoppelung sei vielmehr ein "De-risking" nötig, um Abhängigkeiten zu reduzieren, sagte zuletzt der Präsident des deutschen Industrieverbands BDI, Siegfried Russwurm. "Die Unternehmen sind intensiv dabei, ihre Absatz- und Beschaffungsmärkte strategisch zu diversifizieren und neue Partnerschaften aufzubauen."
Ob solche Initiativen die Risiken wirklich nachhaltig verringern können, bleibt aber umstritten. Der chinesische Absatzmarkt und die dort zu erwartenden Gewinne erschienen "schlichtweg zu attraktiv", um eine Abkehr zu erwägen, heißt es etwa in einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.