Eine Gruppe Bergsteiger auf einem Gletscher

Klimawandel in den Bergen Wie gefährlich werden die Alpen?

Stand: 31.08.2024 06:00 Uhr

Im Gebirge ist der Klimawandel längst angekommen: Immer mehr Starkwetterereignisse, tauender Permafrost. Experten sagen, Bergsteiger sollten sich mehr denn je auf ihre Tour vorbereiten.

Von Moritz Stadler, BR

Kurz nach acht Uhr, die Morgensonne steht hinter dem Gipfelkreuz der Zugspitze, darunter erstrecken sich in verschiedenen Blautönen die Berge der Alpen bis nach Italien. Hier soll es Probleme geben? Eine abwegige Vorstellung. Doch schon während der Seilbahnfahrt auf das unterhalb des Gipfels gelegene Hochplateau fällt der Blick auf den Schneefernerkopf, an dessen Hängen bis vor zwei Jahren zwei Gletscher lagen. Nun ist es noch einer, der in der hintersten Ecke des Tals in der Morgensonne schwitzt. Dorthin wird der Bergführer Alexander Baier gleich mit einer Gruppe aufbrechen.

Alpenpanorama

Auch wenn der Ausblick idyllisch ist, gibt es große Probleme in den Alpen.

"Abschiedsbesuch am nördlichen Schneeferner" nennen sie das hier. Ungefähr sieben Jahre geben Wissenschaftler dem Gletscher noch. Sinnbildlich für das, was in den Alpen momentan geschieht: Denn, auch wenn der Ausblick idyllisch ist, es gibt hier riesige Probleme, die auch im Flachland Menschen verunsichern.

Zahl der tödlichen Bergunfälle steigt

Es hat sich etwas verändert und diesen Sommer zeigt sich das besonders deutlich, berichten übereinstimmend jene Menschen, die sich regelmäßig in den Bergen aufhalten: Bergwacht, Bergführer, Geologen und Alpenverein. Starkregen, besonders heftige Gewitter und das Tauen im Hochgebirge nehmen zu und auch die Zahl der tödlichen Bergunfälle steigt.

So kamen laut dem bayerischen Innen- und Sportminister Joachim Herrmann (CSU) in diesem Jahr bereits mindestens 35 Menschen in den bayerischen Bergen ums Leben. Im vergangenen Jahr waren es im gleichen Zeitraum 21 Personen, im gesamten Jahr 2023 wurden 41 Todesfälle gemeldet. Ein Schwerpunkt: Die Zugspitzregion, wo dieses Jahr bereits sechs Menschen starben.

Extremwetter gefährden Bergsteiger

Werden die Berge in Folge des Klimawandels also gefährlicher? Zwar steigen die Zahlen sicher auch, weil insgesamt mehr Menschen in den Bergen unterwegs sind, aber es ist natürlich logisch, sagt auch der Tiroler Landesgeologe Thomas Figl dem BR. Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit speichern, es entstehen mehr und heftigere Gewitter, die noch dazu weniger schnell ziehen als früher. Dadurch fallen lokal riesige Mengen Regen, die auch Schlamm- und Gerölllawinen auslösen können. Im Juli starb ein Wanderer im Allgäu durch einen Felssturz während eines Gewitters. Im Hochgebirge kommen weitere Probleme hinzu.

Wände tauen auf, die Jahrhunderte lang gefroren waren

Alexander Baier ist mit der Gruppe am Geröllfeld unterhalb des Gletschers angekommen. Bis hier ging das Eis noch vor ein bis zwei Jahren, erzählt er. Jetzt ist es einige Meter entfernt, und man hört schon das Tauwasser ins Tal rauschen. Das, was hier gut sichtbar auf dem Berg passiert, geschieht so gut wie unsichtbar auch im Berg: Wände, die seit Jahrhunderten gefroren waren, tauen auf. Die Eisschichten zwischen Felsbrocken, der Permafrost, lösen sich auf.

Es ist, als würde aus einer Ziegelwand der Mörtel schwinden. "Googelt mal Bernina Felssturz", sagt Bergführt Baier der Gruppe. Da könne man sehen, was tauender Permafrost im Hochgebirge bedeutet. Im April war am Piz Bernina, einem Viertausender an der Grenze zwischen Schweizer und italienischen Alpen, ein Teil des Gipfelaufbaus abgebrochen. "So ein Gebiet müssen wir für mindestens ein Jahrzehnt meiden", sagt der Bergführer.

Während er das erzählt, steht die Gruppe unterhalb einer kahlen Steilwand: Was passiert eigentlich, wenn die plötzlich abbricht, ist das hier sicher? Darum sei man ja nicht alleine auf dem Gletscher, sondern mit einem Bergführer, sagt Baier. Er wisse, wo Gefahr droht, und lotse die Gruppe drumherum. Trotz Klimawandel - unkalkulierbar sei es nicht in den Bergen.

Der Unterschied zwischen Risiko und Gefahr

Das sieht auch Klaus Schädler so. Er war bis Mai 2024 Geschäftsführer der Bergwacht Bayern und besteht auf die Feinheiten der deutschen Sprache, wenn es um Gefahr im Gebirge geht: "Es wird nicht gefährlicher, die Risiken nehmen zu", sagt er. Gefahr sei etwas Relatives, für jeden Mensch unterschiedlich. Er selbst hätte zum Beispiel eine Expedition auf den Mount Everest nicht überleben können, Reinhold Messner dagegen zwei Mal.

In den vergleichsweise überschaubaren Alpen gelte dasselbe Prinzip: Durch den Klimawandel nehme die Summe der Risiken zu, aber "wenn ich mit den Risiken umgehen kann, dann wird es nicht gefährlicher, dann weiß ich halt, ich muss früher umdrehen." Gefährlich sei es dagegen für diejenigen, die ohne Vorbereitungen auf den Berg gehen.

In Sneakern an der Gletscherspalte

Die Gruppe von Alexander Baier ist inzwischen oben am Gletscher angekommen. Hier wartet ein Highlight: eine Gletscherspalte. Einem nach dem anderen reicht der Bergführer die Hand, um sicher über den etwa dreißig Meter tiefen Riss im Eis zu kommen.

Bergsteiger überqueren eine Gletscherspalte.

30 Meter ist die Gletscherspalte tief.

Alle Teilnehmer tragen eine Art überziehbarer Schneeketten an ihren Wanderschuhen. Die sogenannten "Grödel" graben sich ins Eis und sorgen für einen stabilen Stand. Dass es so etwas gibt, wie man es anlegt, wofür man es braucht - diese Dinge lernt man am besten auf geführten Touren, sagt auch der Deutsche Alpenverein.

Als die Gruppe auf dem Rückweg ist, trifft sie an der Gletscherspalte auf eine Familie, die offenbar von der Seilbahn über einen Seitenweg auf den Gletscher gelaufen ist. Der Vater will gerade seine Kinder über die Spalte heben. Alle tragen Straßenschuhe, die Kinder Sneaker. Vielen scheint es einfach unvorstellbar, dass nur wenige hundert Meter neben einer Seilbahn, eine halbe Stunde vom Parkplatz entfernt, wirklich tödliche Gefahren lauern.

Da könnte der Klimawandel mit seinen Gefahren sogar einen positiven Effekt haben: Er könnte allzu sorglose Menschen aufrütteln. Denn Sorgen, sagen die erfahrenen Bergsteiger, sind hier in der Höhe etwas Gutes: Sie verhindern Leichtsinn und retten dadurch Leben.