Erderwärmung Lohnt sich das Festhalten am 1,5-Grad-Ziel?
Maximal 1,5 Grad Erderwärmung - darauf arbeiten die Staaten bei den Klimakonferenzen offiziell hin. Doch die 1,5 Grad sind beinahe erreicht. Braucht es also ein neues Ziel? Und wie kann man dafür noch motivieren?
37,5 oder 38 Grad, das ist in einem Menschenkörper schon ein enormer Unterschied zwischen gesund und fiebrig. So ähnlich lässt sich das auch auf die Umwelt übertragen, sagt Klimaforscher Nico Wunderling, der an der Goethe-Universität Frankfurt arbeitet. Wenn die Erde mehr als 1,5 Grad wärmer wird befürchtet er "doppelt so viel Dürreperioden, zweimal so viel Extremwetterereignisse".
Scheitern des 1,5-Grad-Ziels als Katalysator
Je mehr die 1,5 Grad längerfristig überschritten werden, desto mehr werde das Einfluss auf die sogenannten Kippelemente haben. Wenn sie sich verändern, dann könnte sich das Klima auf der Erde schlagartig verändern, sie wirken dann wie ein Beschleuniger für den Klimawandel.
Als Beispiele nennen Forscher das grönländische Eisschild. Wird es auf der Erde langfristig zwischen 1,7 und 2,3 Grad wärmer, fängt es an zu schmelzen. Der Meeresspiegel würde um sieben Meter ansteigen. Andere Kippelemente sind der Amazonas-Regenwald, der bei hoher Temperatur abzusterben droht, oder die Meeresströmungen, die sich verlangsamen.
Laut EU-Klimawandeldienst Copernicus könnte das aktuelle Jahr bereits 1,55 Grad wärmer sein als im vorindustriellen Mittel. Das liegt aber zusätzlich auch am Wetterphänomen El Nino.
Weniger abstrakte Zahlen
Wie können Politiker angesichts dieser schlechten Nachrichten noch motiviert werden, die Erderwärmung zu begrenzen? Thomas Martens, Motivationsforscher aus Hamburg, meint, dass die Diskussion um Grad-Ziele und Kipppunkte oft viel zu abstrakt sei - für Politiker, aber auch für Bürger und Bürgerinnen. "Es ist extrem schwierig, dies mit persönlichen Handlungen zu verknüpfen", sagt er.
"Ich glaube, dass wir als Klimawissenschaftlerinnen und Klimawissenschaftler weniger von tatsächlich abstrakten Zahlen sprechen könnten, sondern ins Narrativ gehen - erzählen, was es bedeutet, wenn wir bei 1,5 landen", sagt der Klimafolgenforscher Wunderling. "Welche Veränderungen in Extremereignissen haben wir dann zu erwarten? Welche langwierigen Veränderungen haben wir zu erwarten und gibt es vielleicht sogar Regionen, die dann nicht mehr an das Klima angepasst sind?" Das hätten die Fluten in Ostspanien gezeigt oder der Hurricane Helene in den USA.
Klimatologin Friederike Otto bezeichnet die 1,5 Grad als politischen Kompromiss, keine physikalische Grenze. Jedes Zehntelgrad mehr bedeute auch mehr Menschen, die sterben, "mehr Menschen, die ihre Lebensgrundlage verlieren".
Positive Vorbilder statt apokalyptischer Szenarien
Die Erderwärmung tötet - so könnte man es auch formulieren. Helfen nur noch drastische Szenarien, um Menschen ins Handeln zu bringen?
Bei wenigen Leuten würden diese apokalyptischen Szenarien helfen, sagt Christian Gutsche. Er ist Klimakommunikations-Trainer aus Bremen. Doch "die meisten Menschen lähmen diese Szenarien einfach nur". Stattdessen würden positive Vorbilder helfen, wenn man skizziert, wie man in Zukunft leben wolle. "Eine Stadt der Zukunft sieht vielleicht ein Stück weit so aus wie Kopenhagen."
Die dänische Hauptstadt gilt nicht nur als hip und cool, sie Stadt will bis 2025 klimaneutral werden, gilt als fahrradfreundlich und bietet viele Parks und und Grünflächen.
Schon auf einem besseren Kurs
Außerdem müsse man auch auf das schauen, was bereits geschafft wurde, sagt der Kommunikationstrainer und Physiker: "Vor zehn, 15 Jahren waren wir auf einem Kurs in eine fünf Grad heißere Welt. Auf diesem Kurs sind wir nicht mehr."
Physikalisch ist es noch möglich, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Das Fachjournal Nature Climate Change hat errechnet: Falls die Menschheit in den nächsten Jahren nicht mehr als 247 Milliarden Tonnen CO2 ausstößt, bestehe eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad steigt. Die Menschheit stößt im Mittel 40 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr aus. Das wäre also in sechs Jahren erreicht.
Wie ein angetauter Eiswürfel
Sollte die Welt eine solche "CO2-Vollbremsung" hinlegen und Staaten in wenigen Jahren aus den fossilen Brennstoffen aussteigen, könnten Kipp-Reaktionen vermieden werden. Selbst wenn die 1,5 Grad kurzzeitig überschritten werden.
Man könne sich das wie bei einem Eiswürfel vorstellen, den man aus dem Gefrierfach nimmt und der anfängt zu tauen, erklärt Klimaforscher Wunderling: "Solange wir das kurz genug machen, sagen wir mal bei 1,5 Grad Celsius und dann den Eiswürfel wieder zurücklegen, dann ist die Hoffnung auch noch nicht verloren, dass wir die Kippelemente in einem gesunden Zustand halten."
Aus diesem Grund sind für Wunderling die 1,5 Grad auch nicht nur ein symbolischer, sondern ein sehr konkreter Wert, um den Klimawandel zu begrenzen.