"Eritrea-Festivals" Woran sich die Wut entzündet
In der Diaspora gibt es immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen regierungstreuen und oppositionellen Eritreern. Sogenannte Unabhängigkeitsfeste sollen dem Staat Devisen bringen - genau das wollen einige Landsleute verhindern.
Heftige Tumulte, verletzte Polizisten, Eritreer, die ihre Landsleute angehen: Nach Ausschreitungen am vergangenen Wochenende hat die Stadt Stuttgart ein geplantes Eritrea-Festival absagt. Zuvor war es auch in Gießen und Stockholm zu Randalen gekommen. Dass die Eritreer im Exil einander so unversöhnlich gegenüberstehen, liegt an ihren unvereinbaren Positionen gegenüber der Regierung.
Vor 30 Jahren erkämpfte das Land am Horn von Afrika in einem jahrzehntelangem Krieg die Unabhängigkeit von Äthiopien. Seither regiert Präsident Isayas Afewerki in einer Ein-Parteien-Diktatur das Land.
Seine Anhänger feiern den inzwischen 77-Jährigen, der die sogenannte Eritreische Befreiungsfront anführte, als Freiheitskämpfer. Seine Gegner werfen ihm vor, er habe die Kämpfer für ein unabhängiges Eritrea mit seiner repressiven Politik verraten.
Eritrea ist eines der ärmsten Länder weltweit. Es ist landwirtschaftlich geprägt. Neben den politischen Verhältnissen leiden die knapp vier Millionen Bürger auch unter der anhaltenden Dürre. Die meisten Eritreer sind auf Hilfe von ihren in der Diaspora lebenden Angehörigen angewiesen.
Festivals bringen wichtige Devisen
Auch die Regierung finanziert sich zu einem großen Teil aus Überweisungen der Auslandseritreer. Die sogenannte Diasporasteuer beträgt zwei Prozent des Einkommens. Viele zahlen auch, wenn sie Gegner der Regierung sind - aus Angst, ihre Verwandten, die noch in der Heimat sind, könnten sonst darunter leiden.
Für das abgeschottete Land bringen die auf den Eritrea-Festivals in Deutschland gesammelten Spenden wichtige Devisen ins Land. Die Veranstalter sind Eritreer, die schon während des Unabhängigkeitskrieges in den 1990er-Jahren geflohen sind. Sie stehen auf der Seite der eritreischen Regierung.
Die Protestierenden dagegen sind genau vor diesem Regime geflohen. Und viele von ihnen fühlen sich auch in Europa noch verfolgt und bespitzelt. Oder sie fürchten um ihre Angehörigen, die noch in Eritrea sind. Sie wollen daher verhindern, dass diese Regierung noch in irgendeiner Form unterstützt wird.
Allgemeine Wehrpflicht und Zwangsarbeit
International ist Eritrea weitgehend abgeschottet. Es gibt weder ein Parlament noch unabhängige Gerichte oder zivilgesellschaftliche Organisationen. Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen von 2023 stuft Eritrea auf Platz 174 von 180 ein.
Wer gegen die Regierung ist und für Demokratie kämpft, verschwindet oft für unbestimmte Zeit in geheimen Gefängnissen - ohne Prozess oder Anklage. Die bekannte schwedisch-eritreische Aktivistin Vanessa Tsehaye etwa berichtete im März vor dem UN-Menschenrechtsrat vom Schicksal ihres Onkels Seyoum, der seit mehr als 20 Jahren inhaftiert ist.
Außerdem herrscht eine strenge Wehrpflicht ab 18 für Männer und Frauen. Dabei geht es nicht nur um den Militärdienst, sondern auch um Zwangsarbeit - wie in der Landwirtschaft oder im Straßenbau. Die Bevölkerung ist gewissermaßen auf unbestimmte Zeit generalmobilisiert.
Wer sich weigert, setzt sich und seine Familie Repressalien aus, wie der UN Menschenrechtsrat berichtet. Die hohe Militarisierung rechtfertigt der Präsident mit der angeblichen ständigen Gefahr eines Krieges mit Äthiopien. Vor dieser Dienstpflicht fliehen viele Menschen ins Ausland - und auch vor der Rekrutierung für bewaffnete Konflikte.
Präsident sucht Nähe zu Russland und China
Denn Eritrea ist auch am Krieg um die Kontrolle in der äthiopischen Region Tigray beteiligt, in dem Schätzungen zufolge bislang Hunderttausende Menschen gestorben sind. Eritrea schickte Truppen, um im Nachbarland an der Seite der äthiopischen Zentralregierung die regional herrschende Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) zu bekämpfen.
Auch nach dem Friedensabkommen von Ende 2022 weigert sich Präsident Isayas Afewerki bis heute, seine Truppen abzuziehen, die für viele Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden. Denn die TPLF, die während des Unabhängigkeitskriegs in Äthiopien an der Macht war, ist für ihn bis heute ein erbitterter Feind, den er beschuldigt, "Söldner Washingtons" zu sein, die eine westliche Hegemonie am Horn von Afrika aufrechterhielten.
Bei einem seltenen internationalen Auftritt auf dem Afrika-Klimagipfel in Nairobi vor wenigen Wochen sagte Isayas Afewerki: Er dränge jeden, sich nicht von den Milliarden Dollars verleiten zu lassen, die von sogenannten Wohltätern versprochen würden, und sich von der Abhängigkeit des Westens zu lösen.
Isayas Afewerki und Wladimir Putin auf dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum.
Stattdessen sucht Eritrea zunehmend die Nähe Russlands und Chinas - und stilisiert den Konflikt in Tigray somit auch zum Grabenkampf gegen den Westen. Dass die Deutsch-Eritreische Gesellschaft diesbezüglich die Meinung des Präsidenten teilt, kann man auf der Internetseite des eritreischen Informationsministeriums nachlesen.
Die Aktivistin Vanessa Tsehaye ist erst 27 Jahre alt, aber hat wenig Hoffnung auf Veränderung: Sie frage sich, ob sie zu ihren Lebzeiten noch ein freies Eritrea erleben werde.