Deutsch-chinesische Beziehungen "China hofft, Deutschland für sich zu nutzen"
China will Deutschland im Konflikt mit den USA auf die eigene Seite ziehen, sagt der Chinaexperte Mayer-Kuckuk. Um wieder dialogfähig zu sein, seien die jetzigen Regierungskonsultationen trotzdem wichtig.
tagesschau24: Deutschland betrachtet China als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen. Das sorgt in Peking für Verärgerung. Würden Sie sagen, das belastet die Konsultationen?
Finn Mayer-Kuckuk: Nein, diese Konsultationen sind ein Anlass, wieder zusammenzukommen und genau solche Differenzen zu überwinden. Man kann erkennen, dass die kritischsten Themen bewusst ausgeklammert wurden, um überhaupt wieder Dialogkanäle zu öffnen. Und das ist gerade in diesen schwierigen Zeiten auch sehr wichtig.
"Man muss mit China zusammenarbeiten"
tagesschau24: Ist es gut, dass diese Regierungskonsultationen stattfinden, oder sind diese mit einem Land wie China vielleicht nicht angemessen?
Mayer-Kuckuk: Das ist absolut angemessen. China ist, ob wir das wollen oder nicht, der wichtigste Partner für die deutsche Wirtschaft. Von einer Abkopplung oder einer Verringerung der Abhängigkeiten ist noch nichts zu sehen. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat gerade heute Zahlen veröffentlicht, die eher eine steigende Abhängigkeit zeigen.
Und das bedeutet, man muss mit China zusammenarbeiten. Auch in Fragen wie Klimaschutz und allem anderen, was den ganzen Planeten betrifft, kommen wir nicht um dieses Fünftel der Weltbevölkerung herum. Und ein Umsteuern von den China-Verbindungen Deutschlands dauert ungefähr so lange, wie es gedauert hat, die Verflechtungen zu schaffen, also Jahrzehnte.
Es ist auch wichtig, dass die Regierungen überhaupt Ansprechpartner haben. Auf beiden Seiten sind neue Leute im Amt. Bundeskanzler Olaf Scholz selbst, der schon unter der vorigen Regierung Finanzminister war, ist die einzige Konstante.
In China gab es seitdem eine Regierungsumbildung, einen neuen Premier, ganz neue Minister. Auf der deutschen Seite ist jetzt die Ampelkoalition an der Regierung. Man kannte sich noch überhaupt nicht. Es gab keine Visitenkarten der hohen Beamten auf beiden Seiten. Man wusste nicht, wer anzurufen ist. Und diese Konsultationen sind jetzt wichtig, um das Eis nach längerer Zeit der doch sehr eingefrorenen Beziehungen wieder zu brechen.
Keine Gespräche mit Verteidigungs- und Außenministern
tagesschau24: Aber es ist trotzdem auffällig, dass einige Regierungsmitglieder beider Seiten nicht teilnehmen.
Mayer-Kuckuk: Ja, das hat sicherlich auch etwas mit diesem eher Harmonie-orientierten Ansatz zu tun. Zum Beispiel ist der chinesische Verteidigungsminister Wei Fenghe nicht gekommen. Es wäre schwierig gewesen, ein vernünftiges Gespräch zu führen.
China unterstützt ja implizit Russland in seinem Krieg gegen die Ukraine. Nicht offiziell, da verhält sich China neutral. Aber wer nicht die Worte anschaut, sondern die Handlungen, der sieht schon sehr viel Unterstützung. China handelt intensiv mit Russland. Viele Waren, die im Westen nicht mehr nach Russland gehen, werden jetzt über China an die Russen geliefert.
All dies hat Deutschland und die westlichen Verbündeten insgesamt sehr verärgert - und sicherlich mehr noch als die schon sehr lange dauernden Menschenrechtsverletzungen zu der jüngsten Eiszeit beigetragen. Da wäre gerade ein Militärdialog natürlich sehr, sehr schwierig gewesen. Vielleicht wollte man diese Töne jetzt gerade nicht, wo es wieder darum geht, überhaupt Gespräche anzuknüpfen.
Ebenfalls nicht gekommen ist Chinas Außenminister Qin Gang. Dieser hat allerdings eine exzellente Ausrede. Bis gestern Abend wurde er noch in Peking gebraucht, weil der amerikanische Außenminister Antony Blinken zu Gesprächen da war.
Allerdings wird auch vermutet, dass Qin keine große Lust auf die Gespräche hatte. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock war im April in Peking und hatte die Menschenrechtslage dort - genau wie sie es der deutschen Öffentlichkeit versprochen hatte - wirklich sehr intensiv angesprochen.
Und das hat Qin Gang als zu viel empfunden. Er hat gesagt, Deutschland dürfe China nicht reinreden. China selbst entscheide, wie es seine inneren Angelegenheiten regelt. Und vielleicht ist diese Absage auch ein bisschen Teil dieser Gemengelage.
"Im epischen Kampf mit den USA"
tagesschau24: Wie gesagt: China wird jetzt von Deutschland als systemischer Rivale betrachtet. Wie betrachtet denn eigentlich umgekehrt China Deutschland?
Mayer-Kuckuk: Deutschland ist für China sehr wichtig. Das chinesische Bild der Außenpolitik ist: Man befindet sich in einem epischen Kampf - dem epischen Kampf des 21. Jahrhunderts - mit den USA. Und zwar vor allem mit den USA. Die USA sind quasi der Dreh- und Angelpunkt.
Gegen die USA sieht man sich nicht alleine. Es gibt Partner, zum Beispiel entlang des Handelsprojekts Neue Seidenstraße - wie Pakistan und Kasachstan - die tendenziell mit China stimmen und sozusagen zum chinesischen Block gehören. Und natürlich Russland jetzt, das sich ganz klar zu China positioniert hat.
Aber es gibt Länder, die vielleicht mal so, mal so entscheiden, und die man ein bisschen auf die eigene Seite ziehen kann. Oder die man zumindest daran hindern kann, mit den USA einen festen, stabilen Block einzugehen und die USA in allen Fragen zu unterstützen.
Und als solches Land wird Deutschland gesehen. Zumal es in Deutschland ja auch immer wieder Vorbehalte gegenüber der amerikanischen Politik gibt. Deutschland wird ein bisschen als wankelmütiger Staat gesehen - das ist jedenfalls die Hoffnung. Gegen diese Wahrnehmung wiederum wehrt sich die Bundesregierung und betont immer wieder, dass die westlichen Verbündeten und die USA Deutschland näher stehen.
Aber es gibt, wie gesagt, die sehr guten Handelsbeziehungen. Zum Beispiel haben heute Morgen alle Firmenchefs der wichtigsten deutschen Unternehmen den chinesischen Premierminister Li Qiang getroffen, sodass ein kompliziertes Bild entsteht, in dem China doch hofft, die Deutschen für sich nutzen zu können.
Deutschland als Keil zwischen Europa und den USA?
tagesschau24: Ist Deutschland eine Art Erfüllungsgehilfe für Chinas Interessen und lässt sich als Keil nutzen, der zwischen Europa und die USA getrieben werden soll?
Mayer-Kuckuk: Das hätte man gerne. Doch das wird gerade unter der Ampelkoalition mit den Grünen und der FDP nicht gehen, die sich sehr China-kritisch positioniert haben und von denen auch immer wieder zu hören ist, dass der Bündnispartner USA für Deutschland im Vordergrund steht.
Dazwischen will man keinen Keil treiben lassen. Genau so wenig ist es gelungen, zu viel Kritik aus Deutschland an dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron auszulösen. Dieser war ja auch in China und hat genau das chinesische Spiel gespielt, indem er gesagt hat, Europa könne sich ja in der Mitte positionieren. Da kamen aus Berlin sehr eindeutige Aussagen: Im Zweifelsfall spielen wir im Team USA.
Das Gespräch führte Gerrit Derkowski, tagesschau24. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung leicht angepasst.