Israelische Soldaten im Gazastreifen.

Krieg im Gazastreifen Amnesty International wirft Israel Völkermord vor

Stand: 28.11.2024 21:43 Uhr

In einem noch nicht veröffentlichten Bericht wirft Amnesty International Israel Völkermord an der Bevölkerung des Gazastreifens vor. Aber kann Israel Absicht zum Genozid nachgewiesen werden?

"Israels Genozid gegen die Palästinenser in Gaza" - so lautet der Titel eines Berichts von Amnesty International, der dem ARD-Studio Tel Aviv zugespielt wurde. Darin kommt die Menschenrechtsorganisation zu dem Schluss, Israel begehe einen Völkermord gemäß der UN-Völkermordskonvention: So habe Israel absichtlich die Lebensgrundlagen der Menschen in Gaza zerstört. Der Bericht verweist dabei etwa auf die Zerstörung lebenswichtiger Infrastruktur.

Zwei Drittel aller Gebäude im Gazastreifen wurden laut UN beschädigt oder zerstört, fast 70 Prozent aller Todesopfer sind demnach Frauen und Kinder. Darüber hinaus hätten Evakuierungsanordnungen zu Zwangsvertreibung von 90 Prozent der Bevölkerung geführt. Außerdem habe Israel die Einfuhr und Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen be- und verhindert.

Gab es die Absicht zum Völkermord?

Yuval Shany, Völkerrechtsexperte an der Hebrew University in Jerusalem sagt: "Viele Zivilisten wurden getötet, Besitz weitgehend zerstört, das könnte unter Teile der Völkermordskonvention fallen. Die Hauptfrage ist allerdings, wenn es um die Anwendung der Konvention geht, ob es eine Absicht zum Völkermord gab." 

Die Absicht sieht Amnesty International unter anderem in Aussagen der Regierung und des Militärs. Zum Beispiel von Ex-Verteidigungsminister Yoav Gallant gegenüber Soldaten am 10. Oktober 2023: "Keine Kompromisse! Gaza wird nicht zu dem zurückkehren, was es war, die Hamas wird nicht mehr existieren. Zerstört alles."

Ein Oberst sagte im israelischen Kanal 14: "Das wird Brachland, hier werden sie nicht mehr leben können." Und ein Soldat forderte etwa folgendes in einem Video auf Instagram: "Wir müssen Gaza zerstören, ein für alle mal - und Gaza in Strände und Fußballplätze verwandeln - in einen Ort, der uns gehört."

Reicht Fahrlässigkeit für den Vorwurf des Völkermords?

Amnesty International argumentiert außerdem: Auch wenn Israel fahrlässig handle, hohe zivile Opferzahlen beim Kampf gegen die Hamas in Kauf nehme, sei das ein Beweis für die Absicht zum Völkermord.

Die Zivilbevölkerung nicht ausreichend zu schützen, könne ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein - aber für die Anwendung der Völkermordskonvention sei das nicht genug, sagt Völkerrechtsexperte Shany.

Er bezweifelt auch, ob die bisher bekannten Aussagen von Politikern und Militärs ausreichen, um Völkermord nachzuweisen. Allerdings verbiete die Völkermordskonvention auch Aufhetzung zum Völkermord. "Und die Statements führender Politiker könnten so ausgelegt werden", so der Jurist.

Gerichte werden entscheiden

Die israelische Regierung äußert sich auf Anfrage bislang nicht zu den Vorwürfen. Sie rechtfertigt die Angriffe damit, dass sich Hamas-Terroristen in zivilen Gebäuden versteckten. Ob es sich juristisch um einen Völkermord handelt, wird der Internationale Gerichtshof entscheiden.

Der Internationale Strafgerichtshof hatte Haftbefehle gegen Israels Premier Benjamin Netanyahu und Ex-Verteidigungsminister Gallant erhoben. Der Vorwurf hier: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Dagegen hat Israel Berufung eingelegt.

Amnesty International will sich vor Veröffentlichung des Berichts zum Völkermord-Vorwurf nicht äußern. Die Organisation plant außerdem einen weiteren Bericht zu den Verbrechen der Terrororganisation Hamas beim Überfall auf Israel am 7. Oktober vor einem Jahr.