Anhänger von Yoon Suk Yeol demonstrieren nahe der Präsidentenresidenz
analyse

Staatskrise Gerät Südkoreas Demokratie ins Wanken?

Stand: 06.01.2025 06:38 Uhr

Kurzzeitiges Kriegsrecht, ein suspendierter Präsident, Massendemonstrationen: Das politische Chaos in Südkorea offenbart eine tiefe Kluft in der Gesellschaft, die bis in die Zeit der Diktatur zurückreicht.

Eine Analyse von Jörg Endriss, ARD Peking

Südkorea zeigt gerne sein modernes Gesicht: K-Pop hat den Westen erobert, Serien wie "Squid Game" sind weltweit erfolgreich und als Hersteller von Hightech-Chips und Smartphones haben sich die dortigen Konzerne ohnehin einen Namen gemacht.

Südkorea als stabile Demokratie im ostpazifischen Raum - das hätte bis vor Kurzem kaum jemand infrage gestellt. Das Land ist ein wichtiger geopolitischer Partner der USA, aber auch Europas, in einer Nachbarschaft mit Staaten wie Nordkorea, China und Russland. Umso überraschender ist für viele Beobachter die heftige Staatskrise, die mit immer neuen Wendungen kein Ende zu nehmen scheint.

Präsidentengarde verhinderte Festnahme

Am Freitag wollten Ermittler einen Haftbefehl gegen den suspendierten Präsidenten Yoon Suk Yeol vollstrecken - und scheiterten an dessen Präsidentengarde. Yoon hat immer noch zahlreiche Unterstützer, obwohl er Anfang Dezember das Kriegsrecht verhängt und Soldaten ins Parlament geschickt hatte. Medien berichten aus Unterlagen der Ermittler, nach denen Yoon befohlen haben soll, notfalls auch Waffengewalt einzusetzen. Es kam anders. Abgeordnete bahnten sich den Weg ins Parlament und beendeten mit einer Abstimmung nach wenigen Stunden das Kriegsrecht.

Teile von Yoons Regierungspartei halten immer noch zu ihm, trotz dieses Bruchs mit den Grundfesten demokratischer Konventionen. "Die politische Landschaft in Südkorea ist tief gespalten", sagt Lam Peng Er, Politikwissenschaftler am Korea-Zentrum der Nationalen Universität Singapur.

Das Problem habe es in Südkorea schon vor Yoon gegeben, aber unter dessen Regierung habe es sich noch verschärft. "Es gibt eine Kultur der politischen Eliten, auf Konfrontation zu setzen und Rache an dem politischen Gegner zu nehmen. Da gibt es kaum Raum für Kompromisse und Kooperation."

Politische Fronten sind verhärtet

Die tiefe Kluft hatte sich bereits im vergangenen April gezeigt. Die linksliberale Opposition unter Führung des vormals unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Lee Jae Myung hatte die Mehrheit im Parlament übernommen und die Regierungsarbeit des rechtskonservativen Yoon faktisch blockiert. Den Präsidenten und seine Frau überzog sie mit Vorwürfen. Diese Blockade habe er lösen wollen - so begründete Yoon im Nachhinein die Ausrufung des Kriegsrechts.

Teile seiner Unterstützer, befeuert von rechtsextremen YouTubern, sprechen nun davon, die Parlamentswahl damals sei ohnehin manipuliert worden. Beweise dafür haben sie nicht. Schilder mit "Stop the Steal" halten Yoon-Anhänger auf Kundgebungen dennoch hoch: "Weg mit der gestohlenen Wahl" - ein Slogan, den auch Trump-Unterstützer nach dessen verlorener Wahl am Ende seiner ersten Amtszeit verwendeten.

Der Trump-Kampagne fühlen sich Yoon-Anhänger offenbar verbunden. Ein älterer Pro-Yoon-Demonstrant, der mit weiteren Unterstützern vor der Präsidentenresidenz ausharrt, sagte Journalisten, er hoffe, dass sich Trump in Südkorea einschalten und Yoon helfen werde.

Keine Zäsur nach der Diktatur

Die unversöhnlichen Fronten in der politischen Landschaft Südkoreas sieht der Politologe Hannes Mosler vom Ostasieninstitut der Universität Duisburg-Essen unter anderem in der Zeit der Diktatur begründet. Es habe zwar 1987 die formale Wende zur Demokratie gegeben, aber nie eine richtige Zäsur und eine wirkliche Aufarbeitung.

"Deshalb haben seit Jahrzehnten Rechtskonservative eine Unterstützerbasis von 20 bis 30 Prozent, obwohl sie sich in der Tradition von Diktatoren sehen", so Mosler. Zu dem Narrativ gehöre, dass die Diktatur für einen Wirtschaftsboom gesorgt habe und Nordkorea in die Schranken gewiesen worden sei. Vor allem in der älteren Generation, die teils von Altersarmut geprägt ist, verfange das.

Die südkoreanische Regierung droht durch die Krise weiter gelähmt zu werden. Ein erster Interimspräsident wurde bereits vom Parlament wieder abgesetzt. Die Opposition warf ihm vor, die Aufklärung zu behindern. Der jetzige Übergangspräsident Choi Sang Mok ging ein Stück weit auf die Opposition zu. Ob er allerdings die Forderung erfüllt, die Verhaftung seines Parteikollegen Yoon voranzutreiben, ist offen. Die Opposition im Parlament könnte dann auch ihn absetzen.

Was bedeutet die Krise für Südkoreas Demokratie?

Neben dem Verfahren wegen eines Staatsstreichs entscheidet das Verfassungsgericht bis spätestens Juni, ob Yoon endgültig von seinem Posten entfernt wird. Derzeit gibt es Anzeichen, dass die Richter schneller ein Urteil fällen könnten - doch Yoon verweigert bislang jede Kooperation. Das Parlament hatte das Amtsenthebungsverfahren gegen Yoon eingeleitet, nachdem er das Kriegsrecht ausgerufen hatte.

Ostasienwissenschaftler Mosler sieht trotz der Konflikte auch eine gewisse Stabilität der Demokratie in Südkorea: Immerhin gebe es keine blutigen Auseinandersetzungen, sondern Streit um Kompetenzen zwischen Institutionen und Behörden. Und es werde um die Auslegung von Gesetzen gefeilscht. Es bestehe aber die Gefahr, dass ein Grundkonsens über demokratische Regeln ins Wanken gerate.

Politikwissenschaftler Lam setzt vor allem Hoffnung in die jüngere Generation, die jetzt gegen Yoon auf die Straße geht. "Wichtig wäre, dass eine neue Generation von Politikern die Spaltung überwindet und dieses komplette Misstrauen zwischen den politischen Lagern."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 05. Januar 2025 um 23:40 Uhr.