Menschen stehen vor einem Musikgeschäft in Damaskus

Syriens Musiker nach dem Sturz Kleine Freiheiten und große Existenzängste

Stand: 02.01.2025 03:47 Uhr

Syriens Musiker leben in ungewissen Zeiten: Sie geben keine Konzerte, niemand bezahlt sie für ihre Arbeit. Nun hoffen sie, dass sie die machthabenden Islamisten von ihrer Kunst begeistern können. 

"Ich habe dieses Lied Hope genannt, Hoffnung", sagt der junge Komponist Arwad Azzawi. Es stehe für seine Gefühlslage jetzt nach dem Sturz des Assad-Regimes, sagt er im Saal der Musikhochschule in Damaskus. Das Regime hat ihm so viel genommen - seine Freiheit und seine Mutter: "Sie war Schauspielerin und hat 2011 gegen das Regime protestiert - 2017 ist sie gestorben." 

Arwads Mutter, Fadwa Suleiman, war eine der prominentesten Gegnerinnen des Regimes von Bashar al-Assad. 2012 ist sie aus Syrien geflohen, fünf Jahre später im Pariser Exil an Krebs gestorben. Ihr Sohn verwandelt seine Gefühle in Musik, momentan überwiegt bei ihm die Hoffnung.  

Für die Islamisten ist die Opernwelt Neuland

Direkt neben der Musikhochschule steht das Opernhaus von Damaskus. Dirigent Missak Baghboudarian ist erst vor wenigen Monaten zum Leiter der Oper ernannt worden. Mit Musik hat sein Job in diesen Tagen aber wenig zu tun. In der Nacht, als Diktator Assad aus Syrien geflüchtet ist, wurden die Türen des Opernhauses aufgebrochen und teure Gemälde und Computer gestohlen.  

Von wem genau, das wisse er nicht, sagt Baghboudarian. Genauso wenig, mit welchem Geld er für die Schäden aufkommen soll. Die noch größere Frage für ihn ist aber: wann können seine Musiker endlich wieder auftreten? Deshalb steht er in Verhandlungen mit den neuen Machthabern.

Bei den Gesprächen wurde ihm deutlich: für die Islamisten ist die Opernwelt Neuland. "Ich würde schon sagen, sie waren überrascht. Die kommen aus Idlib und in Idlib gibt es keine Oper. Ich weiß nicht, ob sie Musik kannten, wie wir sie hier spielen - sinfonische Konzerte, arabische und traditionelle Musik. Hier treten auch Tanzgruppen auf. Die Situation ist schon anders als in Idlib."  

Wer kümmert sich um die Kultur?

Baghboudarian spricht nicht schlecht über die neuen Herrscher. Er habe durchaus Verständnis dafür, dass Kultur beim Staatsaufbau nicht an erster Stelle stehe. Aber für ein Problem ist es schon für ihn, dass es noch keinen Kulturminister gibt und damit auch keine Klarheit über ein Budget, mit dem er seine Musiker bezahlen kann.  

Auch vor dem Umbruch sei die Bezahlung schon miserabel gewesen, sagt Geiger André: "Wir hatten keine Sponsoren, wir hatten kein Geld, keine neuen Instrumente. Normalerweise müsste ich einmal im Monat die Saiten meiner Geige austauschen. Aber wenn ich das gemacht hätte, wäre mein ganzes Gehalt dabei draufgegangen - nur um meine Geige funktionsfähig zu halten." 

Zukunftsmusik

Die Musiker von Damaskus plagen Existenzängste. Ihre Zukunft hängt von Männern ab, die lange Waffen und Bärte tragen und mit ihrer Welt bislang nur selten in Kontakt getreten sind. Und doch hoffen sie am Neuaufbau des Staates mitwirken zu können. Denn ein Staat ohne Kultur ist für sie unvorstellbar - oder wie es der Hornist Mohammad Azzawi formuliert: "Jede militärische Macht kann einen Staat aufbauen . Aber ein wahrer Staat steht auf dem Fundament der Kultur. Seit Beginn der Menschheit, bis zu ihrem Ende." 

Das letzte Konzert haben die Musiker der Damaszener Oper im November gespielt. Wann das nächste sein wird, wissen sie noch nicht. So bleibt es ihnen nur sich alte Aufnahmen vorzuspielen - mit Azzawi an der Duduk, der armenischen Flöte und Dirigent Baghboudarian am Klavier.  Für das gerade angebrochene Jahr vereint sie vor allem ein großer Wunsch: wieder Musik zu spielen.