Afghanistan Die Angst, vergessen zu werden
Immer mehr Verbote für Frauen treffen Afghanistan hart. Die Bevölkerung lebt in großer Armut. Jede neue Maßnahme der Taliban verschlimmert ihre Lage. Die Menschen sorgen sich, dass das Ausland sich von ihnen abwendet.
Hamza Hakimi sitzt in seinem beheizten Büro in Afghanistans Hauptstadt Kabul. "In meiner Wohnung habe ich zurzeit maximal fünf bis sechs Stunden Strom pro Tag. Dort ist es bitterkalt", sagt Hakimi, der Professor für Recht und Politikwissenschaften an der Salam University in Kabul ist. Für die Allermeisten besteht keine Option, ins Warme zu flüchten. Bei nächtlichen Temperaturen rund um den Gefrierpunkt kämpfen viele Menschen täglich ums Überleben.
"Die Leute haben kaum noch Geld, um sich lebensnotwendige Güter zu kaufen", erzählt Hakimi. Das gelte für Heizmaterialen wie Kohle und Holz genau wie für Essen. "An jeder Bäckerei in Kabul stehen Menschenmassen. Sie betteln, um eine Scheibe Brot zu bekommen."
Viele kleinere Läden mussten in den letzten Monaten schließen. Geschäftsbesitzer berichten von Umsatzeinbußen von bis zu 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Fast ein ganzes Land unter der Armutsgrenze
Laut einer UN-Studie leben zurzeit bis zu 97 Prozent der Menschen in Afghanistan unterhalb der Armutsgrenze. Dafür gibt es vielerlei Gründe. Zum einen treffen die internationalen Sanktionen das Land hart.
Ein weiteres großes Problem liegt im Agrarsektor. Etwa zwei Drittel der Menschen leben von der Landwirtschaft. In den vergangenen zwei Jahren herrschte große Trockenheit. Zudem wurde jahrzehntelang nicht ausreichend in Infrastruktur investiert.
"Viele viele Anlagen sind veraltet. Wir haben keine ordentlichen Kühlkammern", beschreibt Hakimi. Das hat drastische Folgen.
Ein Beispiel, das Hakimi nennt: Afghanische Bauern würden ihre geernteten Zwiebeln oft für ein bis zwei Cent das Kilo verkaufen und ins Ausland exportieren. Die Zwiebeln würden dann anderswo gelagert werden, lediglich um sie im späteren Verlauf des Jahres wieder für das bis zu hundertfache des Preises wieder zu importieren. "Ein Modell, das langfristig zum Scheitern verurteilt ist", so Hakimi.
Es könnte noch schlimmer kommen
In den vergangenen Jahrzehnten wäre es auch von der internationalen Gemeinschaft verpasst worden, das Land auf eine eigenständige Zukunft vorzubereiten. Unter den Taliban habe sich die Situation dann noch einmal gravierend verschlechtert. In vielen Familien waren Frauen die Alleinverdiener.
Unter den Taliban dürfen zahlreiche von ihnen nicht mehr arbeiten. Den Menschen wird damit ihre Lebensgrundlage genommen. Nun sind Millionen auf Hilfslieferungen angewiesen.
Hilfslieferungen, die in Zukunft deutlich weniger werden könnten. Das Dekret, das es Frauen verbietet, ihrer Arbeit in NGOs nachzugehen, stellt die Hilfsorganisationen vor große Probleme.
"Um Frauen und Kinder zu versorgen, brauchen wir weibliche Angestellte. Wenn wir die nicht haben, können wir uns nicht um Frauen und Kinder kümmern", sagt David Wright von Save the Children International. "Der neue Erlass bedeutet also, dass wir unseren Job nicht machen können, wenn wir unsere Mitarbeiterinnen nicht losschicken können."
"Andersdenken ist keine Option"
Nicht alles, was die Taliban gemacht haben, sei schlecht, sagt Hakimi. Der Krieg sei vorerst vorbei. Die Menschen in Afghanistan könnten wieder in andere Provinzen reisen und auch die Korruption sei deutlich weniger geworden.
Doch ihre von Ideologie geprägte Politik würde gleichzeitig große Probleme bringen. "Noch immer gibt es keine Verfassung, keine gültigen Gesetze, keine allgemein gültigen Menschenrechte", erzählt Hakimi. "Anders zu denken, ist keine Option, eine echte Meinungsfreiheit existiert damit nicht."
Er sorgt sich, was passiert, wenn diese Politik fortgesetzt wird. "Ich habe Angst, dass wir noch weiter isoliert werden. Und dass unser Land irgendwann in Vergessenheit gerät", sagt er. Doch er wolle die Hoffnung nicht aufgeben und weiter um sein Land kämpfen. "Wir müssen es schaffen, den Diskurs in die Gesellschaft zu bringen. Wir sind ein starkes Land, eine starke Gesellschaft", so Hakimi. Und eine starke Gesellschaft würde auf Dauer nur eine politische Gruppierung dulden, die von der Mehrheit der Bevölkerung auch akzeptiert sei.