Unruhen in Frankreich Bürgermeister rufen zu Zusammenhalt auf
Die Bürgermeister Frankreichs hatten zu Solidaritätskundgebungen vor allen Rathäusern aufgerufen. Der Bürgermeister von L’Hay-les-Roses, Jeanbrun, wurde lange beklatscht. Seine Familie war angegriffen worden.
Vor Frankreichs Rathäusern hat sich die Zivilgesellschaft am Montag Mut angesungen - mit der Marseillaise, der Nationalhymne. Denn Bürgermeister und Bürgermeisterinnen waren Zielscheibe der Randalierenden in den vergangenen Nächten, besonders der Bürgermeister von L’Hay-les-Roses, Vincent Jeanbrun.
Viele Amtskollegen besuchten ihn am Nachmittag, nachdem sein Haus kürzlich von Randalierern angegriffen, seine Frau und Kinder nur mit Mühe, gebrochenem Schienbein und blutender Platzwunde fliehen konnten. Vincent Jeanbrun wird lange beklatscht. Er trägt mit anderen ein Banner durch die Straßen: "Gemeinsam für die Republik" steht drauf.
Nach den Angriffen auf Kitas, Postämter, Apotheken sagt Jeanbrun: "In Wirklichkeit ist unsere Demokratie selbst attackiert worden und jedes ihrer Symbole." "Es reicht", ruft die bislang schweigende Mehrheit. So hatte es sich der Bürgermeister gewünscht, der in seiner Stadt beliebt und mit vielen per du ist. Die Amtsträger hatten ihre Schärpe umgelegt. Bleu-blanc-rouge. Blau-weiß-rot.
Gerechtigkeit und Ende der Gewalt gefordert
Auch Patrick Jarry, der Oberbürgermeister von Nanterre, wo sich vergangene Woche die tödliche Polizeikontrolle abgespielt hatte und der 17-jährige Nahel erschossen worden war. "Gestern Nacht gab es sehr wenige Zwischenfälle in Nanterre. Wir rufen alle Einwohner in ihrer Diversität auf, auf diesem Wege weiterzugehen. Wir wollen Gerechtigkeit für Nahel und dass die Aufrufe seiner Großmutter, Gewalt und Zerstörung zu beenden, erhört und respektiert werden."
Drei Kilometer die Seine stromaufwärts - vorbei an einem ausgebrannten Busgerippe hin zum mit Hortensien bepflanzten Rathaus von Colombes. Dort herrschte in den letzten Tagen Ausgangssperre. Serge ist einer von etwa 200 Menschen, die zum Rathaus gekommen sind: "Um meine Solidarität zu bezeugen für alle Menschen in unserem Land. Wir lehnen diese Aggressionen, Plünderungen und Verwüstungen ab. Das ist durch nichts gerechtfertigt", sagt er.
Colombes Bürgermeister Patrick Chaimovitch hat einen Plan: "Wir werden auf die Einwohner in den benachteiligten Vierteln zugehen. Ein Drittel unserer Bevölkerung wohnt in Sozialwohnungen. Sie haben schlimme Nächte erlebt und Angst. Einige Eltern haben ihre Kinder nicht im Griff. Wir müssen allen zuhören."
Mittel für Vereinsarbeit fehlen
Er bemängelt, dass der Staat Mittel für die Vereinsarbeit zusammenstreiche. Ihnen stehe das Wasser bis zum Halse. Sein Stellvertreter Abou Mala sagt zu den Randalierern: "Kompliziert ist, dass sich die Jugendlichen nicht zugehörig fühlen, obwohl sie Franzosen sind. Vielleicht weil wir sie nicht einladen. Ein Teil der Bevölkerung fühlt sich zurückgestoßen. Und die Verzweiflung bricht sich in Ausschreitungen Bahn. Ich glaube nicht, dass das eine gute Lösung ist."
Gut fünf Millionen Menschen leben in Frankreich in benachteiligten Vierteln, das sind fast acht Prozent der Bevölkerung. Die Arbeitslosigkeit ist dort mehr als doppelt so hoch als im Durchschnitt. Laut Menschenrechtsbeauftragtem ist die Wahrscheinlichkeit für Personen, die als Schwarz oder Arabisch wahrgenommen werden, 20-mal höher, von der Polizei kontrolliert zu werden.
Die Zahl der Nichtwähler ist in den Vierteln besonders hoch, die Einkommen liegen besonders niedrig, der Drogenhandel aber grassiert. All das, obwohl allein zwischen 2004 und 2020 offiziell rund zwölf Milliarden Euro in die Erneuerung der Viertel gesteckt worden sind. Bis 2030 will die Regierung noch einmal genau so viel investieren.
Verein engagiert sich gegen Polizeigewalt
Die extreme Rechte sieht die Probleme nicht in der Vorstadtpolitik, sondern in der Einwanderung. Rund ein Viertel der Bevölkerung dieser Quartiere ist nicht in Frankreich geboren.
Assa Traoré hat selbst kongolesische Wurzeln. Die junge Frau sieht das Problem woanders. Sie kämpft mit ihrem Verein "Gerechtigkeit für Adama" gegen Polizeigewalt. Gegründet hat sie ihn, weil ihr Bruder vor sieben Jahren nach einer Festnahme in einer Gendarmerie-Kaserne im Pariser Umland starb.
Sie sagte dem ARD-Studio Paris: "Der Europäische Gerichtshof hat Frankreich mehrmals verurteilt für Ausweiskontrollen aufgrund von Hautfarbe und wegen Diskriminierung. Der Rassismus spiegelt sich in der Zahl der Festnahmen und der Zahl der Toten wieder. Es sind systematisch People of Color, die sterben. Das bedeutet, es ist den Polizisten bewusst, was sie tun, auf wen sie schießen, wen sie absichtlich töten. Solange Frankreich sich nicht eingesteht, dass es Rassismus in seiner Polizei gibt, wird es weiterhin Tote wie meinen Bruder Adama und wie Nahel und so viele andere geben."