Friedliche Proteste in Großbritannien Ein Wendepunkt nach Hass und Gewalt?
Die britische Polizei hatte mit einer Krawallnacht gerechnet - doch dazu kam es nicht. Auf die Straßen gingen Tausende, die sich friedlich gegen Hass, Rassismus und Gewalt stellten. Ein Wendepunkt?
Erwartet worden waren Ausschreitungen, Randale wie in den vergangenen Tagen. Doch in der vergangenen Nacht erlebte Großbritannien vor allem, wie Tausende friedlich auf die Straßen gingen und friedlich demonstrierten gegen Hass und gegen die Gewalt, die zuletzt sichtbar war. Eine Protestierende im Londoner Stadtteil Walthamstow sagte: "Ich habe mich für mein Land geschämt in den vergangenen Tagen. Es ist Zeit, das wir aufstehen."
Auf den Plakaten, die in Sheffield, Brighton, Birmingham, London und andernorts hochgehalten wurden, stand "Schluss mit dem Hass" und "Flüchtlinge willkommen".
Kaum Rückhalt für Randalierer
Diese Demonstrationen hatte niemand auf dem Zettel - sind sie der Wendepunkt der Ausschreitungen im Vereinigten Königreich? Dafür spricht, dass der Rückhalt für die Randalierer in der Bevölkerung eher gering ist und dies nun sichtbar geworden ist. In einer Umfrage für das Meinungsforschungsinstitut YouGov sagten sieben Prozent der Befragten, dass sie die Forderungen der Randalierer unterstützen. 85 Prozent antworteten, die Krawalle seien falsch.
Die friedlichen Gegenproteste fallen zusammen mit zwei anderen wichtigen Entwicklungen. Die Polizei hat ein massives Aufgebot auf den Straßen gehabt. Die Einsatzkräfte waren offenbar auch genau dort positioniert, wo Randale stattfinden sollten. Möglicherweise verhinderte das größere Ansammlungen gewaltbereiter Randalierer.
Schnelle Urteile gegen Gewalttäter
Dazu kommt, dass ein Gericht in Liverpool gestern drei Männer verurteilte, denen die Anklage Gewalttaten vorgeworfen hatte. Die Strafen fielen deutlich aus, bis zu drei Jahre Haft. Ein Sprecher der Justiz sagte, dies sei die Spitze des Eisbergs. Weitere Verurteilungen würden folgen. Insgesamt hatte es in den vergangenen Tagen 400 Festnahmen gegeben. Premierminister Keir Starmer hatte Gewalttätern gedroht, sie würden die volle Kraft der Justiz zu spüren bekommen.
Interessant ist auch das Echo der friedlichen Demos in den Medien. Die Daily Mail titelte heute: "Die Anti-Hass-Demonstranten treten den Schlägern entgegen". Das ist deswegen bemerkenswert, weil die Zeitung regelmäßig gegen Einwanderung und die Migrationspolitik der Regierung Position bezog und als deutlich rechts angesiedelte Stimme wahrgenommen werden kann.
Migrationspolitik bleibt ein Thema
Für Starmer könnte also erst einmal Ruhe auf den Straßen einkehren. Doch die Herausforderungen bleiben: Viele Britinnen und Briten sind mit der Migrationspolitik unzufrieden. Bei den Wahlen war die Flüchtlingspolitik eines der wichtigsten Themen. Die Konservative Regierung hatte viel versprochen und konnte nur wenig halten. Rufe wie "Stop the boats" klangen mehr nach der Forderung von Protestlern als nach einer seriösen politischen Agenda. Das sogenannte Ruanda-Modell stoppte ein Gericht, die Flüge hoben nie ab, die Kosten waren enorm.
Die Tory-Regierung versäumte auch, die Asylverfahren schnell durchzuführen. Deswegen mussten mehr als 36.000 Geflüchtete in Hotels untergebracht werden. In den zwölf Monaten bis März 2024 betrugen die Kosten für diese Art der Unterbringung 3,7 Milliarden Euro - was in der Debatte immer wieder angeführt wurde.
Labour versucht es mit Realpolitik
Premier Starmer kündigte an, die Verfahren zu beschleunigen. Außerdem versprach er, mit den Ländern der Europäischen Union stärker zu kooperieren, um Schleuser-Netzwerke zu zerschlagen. Das alles sind Maßnahmen, die Zeit brauchen und nicht schnell umsetzbar sind. In der Sache unterscheidet sich die Politik von Labour auch wenig von der der Konservativen Partei. Aber der Weg ist ein gänzlich anderer: Statt des Populismus, der die Proteste der vergangenen Tage mit befördert hat, versucht Labour es mit Realpolitik.