Polizisten stehen zwischen Autos und Menschensammlungen umgeben von Rauch.
Kontext

Southport in Großbritannien Falschmeldungen sollen Krawalle angeheizt haben

Stand: 31.07.2024 16:20 Uhr

Nach Angaben der Polizei sind die Ausschreitungen in Southport nach einem Messerangriff durch Falschmeldungen angeheizt worden. Dahinter steckt offenbar ein Netzwerk aus dem rechten Spektrum, das schnell mobilisiert hat.

Von Laura Bisch, ARD-faktenfinder

Einige Straßen der Stadt Southport im Nordwesten Englands glichen am Morgen einem Trümmerfeld, nachdem Randalierer nahe einer Moschee mit Ziegelsteinen, Mülleimern und Straßenschildern auf Polizisten losgegangen waren. Die schweren Krawalle, die nach einer friedlichen Mahnwache Tausender Menschen für die Opfer eines Messerangriffs bei einem Tanzevent für Kinder am Montag ausbrachen, wurden nach Polizeiangaben von Gerüchten und Falschmeldungen über die Identität des mutmaßlichen Täters geschürt.

Der 17-Jährige soll drei Mädchen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren erstochen und acht weitere Kinder sowie zwei Erwachsene teils schwer verletzt haben. Das Motiv ist noch unklar.

Tatverdächtiger war wohl kein Geflüchteter

So schrieb der umstrittene Influencer Andrew Tate etwa auf X, vormals Twitter, der mutmaßliche Täter habe kleine Mädchen ermordet und komme "direkt von einem Boot". Damit spielt Tate auf Geflüchtete an, die mit Booten nach Großbritannien kommen. Außerdem machte sich Tate in mehreren Postings auf der Plattform über die Herkunft des Mannes lustig, indem er schrieb: Der Mann "kommt aus Cardiff".

Die zuständige Polizei hatte zuvor in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, der 17-jährige Festgenommene sei in Großbritannien geboren worden. Zudem hatte die Polizei darum gebeten, keine Spekulationen über die Tat zu verbreiten. "Manche benutzen das, um Gewalt und Unordnung in unsere Straßen zu bringen", hieß es von der Polizei weiter. Die BBC berichtete, der Teenager sei Sohn ruandischer Eltern und lebe seit mehr als zehn Jahren in der Region Southport.

Kritik ging auch in Richtung des rechtspopulistischen Abgeordneten Nigel Farage, der einst den Brexit maßgeblich vorangetrieben hatte. Der Chef der Partei Reform UK hatte in einem bei X hochgeladenen Video spekuliert, dass die Behörden die "Wahrheit vor uns zurückhalten" - und sich damit ebenfalls Spekulationen zur Herkunft des mutmaßlichen Täters angeschlossen.

Falscher arabisch klingender Name

Im Internet kursierten zudem Berichte, bei dem Tatverdächtigen handele es sich um einen muslimischen Asylbewerber mit arabisch klingendem Namen, der bereits vom britischen Geheimdienst beobachtet worden sei. Auch ein russisches Staatsmedium verbreitete das. Beides bestätigte die Polizei in ihrer Stellungnahme nicht.

Bekannt ist bislang, dass die Polizei von einem Einzeltäter ausgeht und die Tat nicht als Terrorismus einstuft. Und zu noch einem Aspekt äußerte sich die Polizei: Viele Menschen, die an den Ausschreitungen am Dienstagabend beteiligt waren, seien möglicherweise Unterstützer der sogenannten English Defence League, kurz EDL.

Nach Angaben der Behörden waren die meisten Randalierer Mitglieder der rechtsextremen Gruppe und eigens nach Southport gereist. "Das waren Schlägertypen, die mit dem Zug gekommen sind, das waren keine Leute aus Southport", sagte der örtliche Parlamentsabgeordnete Patrick Hurley dem Sender BBC Radio 4. Sie hätten die Bluttat für ihre eigenen politischen Zwecke missbraucht und "dieselben Ersthelfer und dieselben Polizisten" angegriffen, die am Montag den mutmaßlichen Täter gestoppt hätten.

Massenmobilisierung verschiedener Netzwerke

Die Hass- und Extremismus-Expertin Hannah Rose verbucht die Krawalle in Southport nicht als Folge eines Befehls der EDL, wie die Polizei suggeriere. Sie sieht darin eher eine "Massenmobilisierung verschiedener antiislamischer und antimigrantischer Netzwerke". Rose ist eine auf die Themenfelder Hass und Extremismus spezialisierte Analystin beim Institute for Strategic Dialogue (ISD), wo sie unter anderem zu Rechtsextremismus und Antisemitismus im Internet forscht.

Außerdem schrieb Rose auf Anfrage des ARD-faktenfinders: "Der Protest wurde auch von Mitgliedern der Patriotic Alternative (PA), einer weißen nationalistischen Gruppe, unterstützt." Obwohl die EDL seit einigen Jahren nicht mehr offiziell aktiv sei, seien ihre Narrative nach wie vor bei einer breiteren, dezentralisierten Unterstützerbasis beliebt, zu der auch ein Netzwerk von Telegram-Chats gehöre.

Die EDL wurde nach Angabe von Rose 2009 als rechtsradikale, antimuslimische Straßenbewegung gegründet. "Sie war bis zu ihrem Niedergang im Jahr 2011 sehr aktiv bei der Organisation von Protesten, die oft gewalttätig wurden", schreibt die Expertin. Die EDL vertritt demnach die Ansicht, dass die "britische Lebensart" von muslimischen und migrantischen Gemeinschaften angegriffen wird, die sich ihrer Meinung nach nicht in die britische Kultur integrieren können.

Rechtsradikale in Großbritannien können mobilisieren

Die Ausschreitungen in Southport zeigen laut Rose, "dass die britische radikale Rechte immer noch in der Lage ist, schnell und gewaltsam zu mobilisieren". Die Angriffe auf die örtliche Moschee und die antimuslimischen Beschimpfungen stünden sinnbildlich für die zunehmende antimuslimische Stimmung, die zum Teil mit dem Konflikt in Israel und Gaza zusammenhängt.

"Bei den Ausschreitungen handelt es sich nicht um einen strategischen und organisierten Angriff, sondern vielmehr um einen breiteren Ausdruck von Unzufriedenheit und Gewaltbereitschaft, der durch die sozialen Medien angeheizt wurde", schreibt Rose weiter.

Dabei beobachtet die Expertin eine zunehmende Mobilisierung aus dem extrem rechten Spektrum in den vergangenen Monaten - ein Beispiel dafür seien die gewalttätigen Ausschreitungen Ende 2023 beim Marsch zum Jahrestag des Waffenstillstands im Ersten Weltkrieg gewesen. Eine Rückkehr zur Blütezeit der EDL bedeutet das laut Rose aber nicht.

Gewalt jederzeit möglich

Die rechtsradikale Szene im Vereinten Königreich besteht laut Rose weniger aus formellen Gruppen als vielmehr aus Netzwerken von Einzelpersonen, die sich lose in verschiedenen rassistischen Online-Ökosystemen engagieren. Tommy Robinson - der eigentlich Stephen Yaxley-Lennon heißt und die EDL gegründet hat - habe auf Telegram mehr als 100.000 Abonnenten, führt Rose weiter aus. Der Kanal werde genutzt, um antimuslimische und antimigrantische Narrative zu verbreiten.

Die Ausschreitungen in Southport seien eine deutliche Erinnerung an den unter der Oberfläche brodelnden antimuslimischen und migrationsfeindlichen Hass und daran, "wie ein giftiger Cocktail aus Fehlinformationen und der Verstärkung durch soziale Medienplattformen jederzeit zu Gewalt führen kann".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 31. Juli 2024 um 16:00 Uhr.