Nach landesweiten Unruhen Frankreich streitet über die richtigen Antworten
Nach einer Woche der Randale ringt Frankreich um Antworten. Während Staatschef Macron den Schulterschluss mit Bürgermeistern sucht, wird im Parlament erbittert über die richtigen Maßnahmen gestritten.
Es sind die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen selbst, die mit ihren Handyaufnahmen die ersten Bilder aus dem prächtigen Saal im Elysée-Palast nach draußen zu den wartenden Journalisten befördern.
Darauf: Macron - im Hemd und mit Mikro in der Hand - der versichert: "Man muss vorsichtig sein, aber ich denke der Höhepunkt der Krawalle liegt hinter uns. Wir wollen alle, dass jetzt die republikanische Ordnung wiederhergestellt wird. Das ist die erste Priorität. Und dann möchte ich gemeinsam mit Ihnen eine tiefschürfende Antwort finden."
Eine Antwort auf 240 beschädigte Schulen, Kindergärten und Bibliotheken, auf 1000 zerstörte Geschäfte, Dutzende ausgebrannte Busse und Tausende angezündete Autos. Eine Antwort aber auch auf Frustration, Wut und das Gefühl, ausgegrenzt zu sein.
"Nicht die ewig gleichen Rezepte"
Macron sagt: "Wir werden nicht die ewig gleichen Rezepte hervorkramen können, um eine angemessene Antwort zu finden. Selbst wenn das Schlimmste vorbei sein sollte - ich will nicht so tun, als sei das nur eine Klammer der Geschichte. Wir müssen gemeinsam Antworten finden, die auf der Höhe der Ereignisse sind."
Die landesweite massive Polizeipräsenz solle weiter beibehalten werden, da sie abschreckend wirke, so Macron. Wenn dies nicht ausreiche, sollten die Sicherheitskräfte offensiv vorgehen.
Das Treffen ist auch eine Form des mea culpa. Denn Macron hatte die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen zu Beginn seiner ersten Amtszeit aufgefordert, an Vorschlägen zur Entwicklung der schwierigen Viertel mitzuarbeiten. Er hat diese Vorschläge dann aber sang- und klanglos in der Schublade verschwinden lassen.
Jetzt also will der Präsident eine langfristige Strategie finden. Zunächst aber verspricht er ein Gesetz zum schnellen Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur. So sollten öffentliche Gebäude, Verkehrsmittel, aber auch Bänke, Fahrradständer oder Überwachungskameras schnell wieder in Stand gesetzt werden. Dafür werde der Staat Geld bereitstellen.
Einige Bürgermeister und Bürgermeisterinnen zeigten sich enttäuscht von dem Treffen mit Macron. Es habe einer Gruppentherapie geglichen.
Borne will Eltern strenger in die Pflicht nehmen
Nur einen Kilometer Luftlinie vom Elysée-Palast entfernt auf der anderen Seite der Seine ringen derweil die Mitglieder der Nationalversammlung um die kurzfristigen Maßnahmen.
Premierministerin Elisabeth Borne kündigt an, man werde die Eltern der Randalierer zur Verantwortung ziehen - selbst wenn es sich nur um geringfügige Vergehen ihrer Kinder handele. "Es wird Bußgelder geben und verpflichtende Kurse, damit sie lernen, ihrer Verantwortung nachzukommen, zu der sie gesetzlich verpflichtet sind."
Was einige der Bürgermeister als "Schnickschnack" bezeichnen, bekommt Applaus von rechts. Und der Konservative Olivier Marleix von den Republikanern würde noch weiter gehen: "Die Zeit der Entschuldigung und der Straflosigkeit ist vorbei. Unser Strafgesetzbuch sieht Gefängnisstrafen und hohe Geldbußen für Eltern vor. Wenn man seine 14- bis 15-jährigen Kinder in einer Nacht des Aufruhrs nach draußen lässt, dann verletzt man seine Aufsichtspflicht. So steht es im Gesetz, wenden Sie es an!"
Empörung von links. Die Debatte über Strafen sei die völlig falsche Baustelle. Mathilde Panot, Fraktionschefin der linken LFI fordert die Regierung auf, sich mit der Frage zu befassen, was die Polizei darf und was nicht.
Sie sagt: "Nur eine politische Antwort kann das Land befrieden. Ruhe kann man nicht verordnen. Stellen Sie sich der Situation! Werden Sie das Gesetz wieder rückgängig machen, das es erlaubt, in Verkehrskontrollen zu töten? Werden Sie eine Wahrheitskommission einsetzen, um Fälle von Polizeigewalt transparent aufzuarbeiten?"
Leidenschaftliche Diskussionen
Über Stunden geht es am Nachmittag hoch her. Mikael Taverne vom extrem rechten Rassemblement National (RN) fordert, die ausländischen Krawallmacher auszuweisen.
Innenminister Gerald Darmanin reagiert leidenschaftlich: "90 Prozent der Festgenommenen sind Franzosen und keine Ausländer. Es geht hier ganz einfach um kriminelle Jugendliche und nicht um Ausländer. Hier in diesem Saal stammen viele - so wie ich - aus Familien die eingewandert sind. Und wir lieben unser Land. Und wir wollen weder Hass auf Polizisten, noch Hass auf Ausländer. Wir wollen die Liebe zur Republik!"
Taverne vom RN ergreift in der aufgeheizten Stimmung noch einmal das Mikrofon und ruft: "Die Einzige, die eine Antwort auf das Problem der Sicherheit in diesem Land liefern kann, ist Marine Le Pen! Das, was in diesem Land wirklich nottut, ist ein Regierungswechsel!"
Auch eine Woche nach dem Tod von Nahel durch den Schuss des Polizisten kommt Frankreich nicht zur Ruhe. Die Randale ebbt ab, aber der politische Aufruhr im Parlament ist in vollem Gange.