Ministerpräsidentenwahl in Spanien Nur eine Zwischenetappe für Feijóo?
Nach der Parlamentswahl kommt es heute im spanischen Parlament zu einem ersten Versuch, einen Ministerpräsidenten zu wählen. Die Aussichten für den Konservativen Feijóo sind zwar schlecht. Doch womöglich spekuliert er schon mit Neuwahlen.
Sonntagmittag, Sonnenschein, aber nicht zu heiß - beste Voraussetzungen für eine gut besuchte Demonstration in der spanischen Hauptstadt. Aber mit 40.000 Demonstrierenden hatten nicht mal die Veranstalter gerechnet.
Die Partido Popular (PP), die konservative Partei Spaniens, macht gegen den bisherigen und noch geschäftsführenden Ministerpräsidenten Pedro Sánchez von den Sozialisten mobil - schon bevor ihr Kandidat Alberto Núñez Feijóo bei der heutigen Wahl zum Ministerpräsidenten im spanischen Parlament scheitern könnte. "Pedro, traidor, vendes la nación" -"Pedro, Verräter, Du verkaufst das Land" steht auf ihren Plakaten.
Sánchez in heikler Position
Sánchez, der weiter auf einen Verbleib im Amt hofft, hat zwar wie Feijoo auch keine Mehrheit im Parlament. Aber will sich mit den Stimmen der katalanischen Separatisten-Parteien wählen lassen. Die stellen aber mit dem Separatistenführer Carles Puigdemont Bedingungen: Sie wollen zum Beispiel eine Amnestie für die Katalanen, die 2017 das illegale Unabhängigkeitsreferendum organisiert hatten.
Sánchez scheint damit zu liebäugeln - dagegen richtet sich der lautstarke Protest der Konservativen. Unter dem Motto "Für die Gleichheit aller Spanier" marschieren sie in spanische Flaggen gehüllt durch Madrids Straßen, lautstark brüllend "Puigdemont ins Gefängnis, Nein zur Amnestie". Und gleichzeitig wollten die PP-Anhänger Feijóo vor der Parlamentsdebatte, die der Abstimmung an diesem Mittwoch voranging, stärken.
Ana López Ortega, Politikwissenschaftlerin an der Universität Valencia meint, die Forderung nach einer Amnestie habe Feijóo die Möglichkeit gegeben, der Diskussion eine Richtung zu geben, schon bevor das Parlament überhaupt über ihn abstimmt.
So könnten die Konservativen schon frühzeitig in der öffentlichen Meinung verankern, "dass eine Amnestie ein Unding ist, dass diese Regierung illegitim ist und dass die Demokratie zerbrechen wird, wenn Sánchez einen Pakt mit den Unabhängigkeitsbefürwortern schließt".
Schwierige Mehrheitsfindung
Im spanischen Parlament begann Feijóo seine Bewerbungsrede dann auch mit dem Thema Amnestie: "Ich bin es ihnen allen schuldig, allen die auf den Straßen von Madrid für Gleichheit gekämpft haben." Eine Amnestie im Rahmen der Verfassung sei "weder rechtlich noch ethisch akzeptabel".
Aber auch nach Feijóos Rede im Parlament gelten seine Chancen, gewählt zu werden, als verschwindend gering. In der ersten Abstimmung bräuchte er die absolute Mehrheit. Zwar will die ultrarechte Partei Vox an seiner Seite stehen. Aber selbst mit deren Stimmen und denen zweier weiterer Abgeordneter von Regionalparteien würden dem Konservativen vier Stimmen fehlen, um Ministerpräsident zu werden.
Wenn Feijóo heute im ersten Anlauf scheitert, reicht am Freitag in einer erneuten Abstimmung die einfache Mehrheit, aber auch die dürfte er verpassen. Die Kandidatur sei "zum Scheitern verurteilt", hieß es im spanischen Fernsehsender RTVE.
Nächste Runde: Vorteil Sánchez?
Wenn Feijóo scheitert, ist nach dem spanischen Regularium nochmal der König am Zug: Der dürfte dann den bei der Wahl Zweitplatzierten mit der Regierungsbildung beauftragen - den geschäftsführenden Ministerpräsidenten Sánchez. Dieser hat den Vorteil, dass das linke Lager im Parlament mehr Stimmen hat. Aber dazu gehören eben auch die katalanischen Separatisten.
Sánchez trat am Sonntag, als in Madrid gegen ihn demonstriert wurde, passenderweise bei einer Parteiveranstaltung in Katalonien auf und gab sich siegesgewiss: "Es tut mir leid", rief er den Konservativen unter Applaus ironisch zu, "es wird eine sozialistische Regierung geben".
Auch die Sozialisten haben Zweifel
Und doch sind auch innerhalb seiner Partei nicht alle glücklich über die möglichen Zugeständnisse an die Separatisten. Der frühere spanische Ministerpräsident Felipe González hält eine Amnestie für "komplett verfassungswidrig". Die Sozialisten dürften sich nicht erpressen lassen "geschweige denn von Minderheiten, die vom Aussterben bedroht sind".
Im Hintergrund dieser Minderheiten spinnt einer die Fäden, der im Rest der Welt fast schon in Vergessenheit geraten war: der Separatistenführer Carles Puigdemont. Der frühere katalanische Regionalpräsident hatte nach dem gescheiterten illegalen Unabhängigkeitsreferendum das Land verlassen und lebt seitdem nahe Brüssel.
In Spanien liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor. Die geforderte Amnestie würde ihm den Weg zurück in sein Heimatland ebnen.
Spekuliert Feijóo auf eine zweite Chance?
Aber noch ist all das Spekulation. Feijóo ist noch nicht gescheitert, Sánchez noch nicht vom König beauftragt, sein Pakt mit den Separatisten noch nicht besiegelt.
Und trotzdem spielt das "Was wäre, wenn?" schon heute eine große Rolle, auch für den konservativen Feijóo. Politikwissenschaftlerin Ortega ist sich sicher, dass Feijóo mit einer zweiten Chance rechnet. "Er hat im Kalkül, dass es sein kann, dass Puigdemont sich nicht mit Sánchez einigen kann. Deshalb hat sich Feijoo von Anfang an deutlich positioniert, denn er weiß, dass der Schlüssel zum Erfolg, wenn neu gewählt werden muss, mehr Sitze im Parlament sind."
Wenn auch Sánchez scheitert, müssen die Spanier im Januar erneut wählen. Die aus deutscher Sicht naheliegende Lösung, nämlich eine große Koalition, gilt in Spanien als "no go". Und so dürfte das spanische Volk 2024 zum sechsten Mal innerhalb von gut acht Jahren an die Urnen gehen.