Selenskyj vor NATO-Gipfel "Ich will nicht zum Spaß nach Vilnius fahren"
Bevor sich am Dienstag die NATO-Staaten in Litauen treffen, fordert der ukrainische Präsident Selenskyj erneut konkrete Sicherheitsgarantien. Eine formelle Einladung in die NATO, wie sie sich die Ukraine wünscht, wird es aber voraussichtlich nicht geben.
Kurz vor dem NATO-Gipfel in Litauen hat sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nochmals mit der Bitte nach klaren Sicherheitsgarantien an die NATO-Staaten gewandt. Nur unter dieser Bedingung sei das Treffen in der Hauptstadt Vilnius sinnvoll, sagte er im Interview mit dem US-Sender ABC.
"Wir möchten, dass alle Entscheidungen während des Gipfels getroffen werden", so Selenskyj. "Ich will nicht zum Spaß nach Vilnius fahren, wenn die Entscheidung schon vorher gefallen ist."
Der NATO-Gipfel in Vilnius beginnt am Dienstag. Ein zentraler Punkt der Gespräche wird die weitere Unterstützung der Ukraine sein. Es soll auch darum gehen, welche Sicherheitsgarantien die NATO dem Land nach dem Ende des russischen Angriffskriegs geben kann. Die Ukraine hatte zuvor eine formelle Einladung in die NATO gewünscht - dazu wird es aber voraussichtlich nicht kommen.
Kirby: Ukraine muss Reformen umsetzen
US-Präsident Joe Biden hatte am Samstag im Interview mit ABC gesagt, er glaube nicht, dass die Ukraine für eine NATO-Mitgliedschaft bereit ist. "Ich denke nicht, dass es Einigkeit in der NATO darüber gibt, ob man die Ukraine jetzt, mitten im Krieg, in die NATO-Familie aufnehmen soll oder nicht", so Biden.
Die Ukraine müsse noch einige Reformen umsetzen, um der NATO beitreten zu können, sagte der Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses, John Kirby, ebenfalls bei ABC. Zudem befinde sich das Land im Krieg. Der Fokus der NATO müsse daher sein, sicherzustellen, dass die Ukraine in ihrem Abwehrkampf erfolgreich sei und Zeit und Raum habe, um an den Reformen zu arbeiten.
Die NATO-Staaten würden bei ihrem Gipfel deutlich machen, dass sie das Land weiterhin geschlossen im Kampf gegen Russland unterstützen und "dass die NATO schließlich in der Zukunft der Ukraine liegen wird", so Kirby.
Makeiev: Keine Zweideutigkeit mehr
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, sagte der Nachrichtenagentur dpa, die NATO dürfe keine Zweideutigkeit mehr zulassen - auch wenn der Beitritt der Ukraine noch nicht heute oder morgen geschehen könne. "Auf dem Gipfel in Vilnius erwarten wir eine klare und deutliche Einladung und Wegweisung zum NATO-Beitritt", so Makeiev.
Die Fehler vom NATO-Gipfel in Bukarest 2008 dürften nicht wiederholt werden, sagte der Botschafter. Damals hatte sich vor allem Deutschland unter der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen eine schnelle Aufnahme der Ukraine in das Bündnis gestemmt. "Wäre die Ukraine 2014 bereits NATO-Mitglied gewesen, hätte es die Krim-Annexion, den Krieg im Donbass und jetzt den russischen großangelegten Angriffskrieg sicherlich nicht gegeben", sagte Makeiev.
Hoffnung auf weitere Waffenlieferungen
Der Botschafter bekräftigte zudem erneut seine Hoffnung auf weitere Waffenlieferungen aus Deutschland. Die russischen Streitkräfte hätten ihre militärische Infrastruktur weit über 100 Kilometer hinter die Frontlinie verlegt, sagte er der dpa. "Um diese Logistik zu brechen, brauchen wir die Waffen mit entsprechender Reichweite."
Die ukrainische Regierung stehe mit der Bundesregierung im engem Austausch über Taurus-Marschflugkörper aus Deutschland, so Makeiev. Großbritannien habe bereits ihre Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow geliefert.
Die Ukraine hatte bereits im Mai die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern mit einer Reichweite bis zu 500 Kilometern bei der Bundesregierung beantragt. Die Bundesregierung will sie bisher nicht bereitstellen, weil damit auch russisches Territorium erreicht werden kann.
Hofreiter fordert weniger Zurückhaltung
Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter forderte Bundeskanzler Olaf Scholz auf, seine Zurückhaltung aufzugeben. "Es ist wichtig, dass Scholz beim NATO-Gipfel ein Zeichen mit Blick auf die Waffenlieferungen setzt - insbesondere aufgrund der schwierigen Lage an der Front", sagte er. "Wenn die Briten Marschflugkörper liefern, sehe ich keinen Grund, warum Deutschland das nicht auch kann." Hofreiter forderte auch, dass sich Deutschland an der von Dänemark und den Niederlanden geführten Allianz zur Lieferung von F-16-Kampfjets an die Ukraine beteiligt - mit Ausbildung und Logistik.
Botschafter Makeiev betonte, dass dies für ihn keine Priorität habe. "Wenn unsere deutschen Partner uns auch in der Kampfjet-Allianz unterstützen könnten, würden wir das gerne näher besprechen", sagte er. "Aber zuerst ist es uns wichtig, dass die bereits zugesagten deutschen Waffen bei uns ankommen, bevor wir jetzt eine neue Diskussion eröffnen."