Präsidentschaftswahl in Georgien "Der einzige Ausweg ist eine politische Lösung"
Ihr Land befinde sich in einer Sackgasse, erklärt die noch amtierende Präsidentin Georgiens, Surabischwili, im Interview. Sie sieht keinen Grund, ihr Amt an einen Nachfolger abzugeben. Auch, wenn der heute gewählt wird.
tagesschau.de: Der Ex-Fußballstar Michail Kawelaschwili soll Ihnen als Staatsoberhaupt nachfolgen. Er ist der einzige Kandidat. Aber auch Sie hätten für eine zweite Amtszeit kandidieren können. Das haben Sie nicht getan - warum nicht?
Salome Surabischwili: Nein, ich muss nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren. Das Parlament, das jetzt den Präsidenten wählt, ist aus vielen Gründen nicht legitim. Die letzte Parlamentswahl wurden dem georgischen Volk gestohlen.
Betrachten Sie allein die Konstituierung des Parlaments: Sie verstößt gegen die Verfassung. Als Staatspräsidentin hätte ich die Abgeordneten einberufen müssen. Das hat aber der Parlamentspräsident getan. Und in der ersten Sitzung hat der Premier, der ja gar kein Mandat hat, die Entscheidung getroffen, den Kurs des Landes zu ändern: Er lässt die EU-Integration ruhen.
Damit verstößt er gegen Wort und Geist unserer Verfassung. Dagegen geht unsere Bevölkerung nun auf die Straße. Und die Menschen fordern eine Neuwahl. Niemand fühlt sich mehr von der Regierung vertreten, weil die Wahl manipuliert war. Und erst recht wird sich niemand von einem Präsidenten vertreten fühlen, der von diesem Parlament gewählt wird.
"Einziger Ausweg ist eine politische Lösung"
tagesschau.de: Sie haben bereits angedeutet, dass die Regierungspartei "Georgischer Traum" an den offiziell verkündeten Wahlergebnissen festhält. Sie Ihrerseits und die Opposition halten daran fest, dass es Unregelmäßigkeiten bei der Parlamentswahl gab. Wie kann Georgien aus dieser Sackgasse herauskommen?
Surabischwili: In großem Umfang wurde Wahlbetrug dokumentiert. Das Verfassungsgericht hätte das bestätigen können, wenn es unabhängig wäre. Vorgelegt habe ich dem Gericht zum Beispiel, dass die verwendeten Geräte bei der elektronischen Wahl nicht das Wahlgeheimnis gewahrt haben.
Der einzige Ausweg aus der Sackgasse ist eine politische Lösung. Es müsste eine Neuwahl geben, damit die Menschen darauf vertrauen können, dass ihre Stimme gehört und respektiert wird.
"Russische Methoden"
tagesschau.de: Sie haben es selbst schon erwähnt: Es sind Tausende, manchmal Zehntausende Menschen auf den Straßen, um zu demonstrieren. Was wir aber auch sehen, ist die Gewalt gegen Demonstrierende. Was sind das für Methoden?
Surabischwili: Russische! Hier sehen wir wirklich den russischen Einfluss. Wir haben ihn schon bei der Parlamentswahl gesehen. Das Regime hier ist russisch, auch wegen der Art der Repression, wegen des Einsatzes von Schlägerbanden.
Die können jede Form von Gewalt anwenden. Selbst zwischen einer Verhaftung und der Einlieferung in die Haftanstalt sind sie noch gewalttätig gegen Demonstranten. Ein Pflichtverteidiger hat dagegen öffentlich protestiert und sogar von Folter gesprochen. Das sind sehr russische Methoden.
"Niemand sollte das Ergebnis anerkennen"
tagesschau.de: Die Gewalt ist inakzeptabel, das hat auch die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärt. Außerdem erwägen die Außenminister der EU, wenn sie sich nächste Woche in Brüssel treffen, Maßnahmen gegen die georgische Regierungspartei zu ergreifen. Wie sollten diese Sanktionen Ihrer Meinung nach aussehen?
Surabischwili: Ich finde, niemand sollte das Ergebnis der Parlamentswahl oder die Volksvertretung, die aus der Wahl hervorgegangen ist, anerkennen. Aber wir wissen, dass es mit 27 EU-Staaten sehr schwer ist, sich auf gemeinsame Sanktionen zu einigen. Ungarn würde sie zum Beispiel blockieren. Denn Ungarn hat das Regime hier anerkannt. Wenn es aber nicht möglich ist, Einigkeit unter den 27 EU-Mitgliedstaaten herzustellen, sollten die EU-Mitglieder einzeln handeln.
So oder so muss es eine sehr starke Haltung gegenüber dem Regime hier geben: einem Regime, das gewalttätig ist und dem Volk die Wahl gestohlen hat. Das Regime führt das Land weg von der Demokratie hin zu einem System russischen Typs.
tagesschau.de: Was genau hätte Georgien von einer EU-Mitgliedschaft?
Surabischwili: Nur wer Mitglied der Europäischen Union ist, bleibt außerhalb der direkten Reichweite Russlands. Wenn es etwas gibt, das Russland nicht zu überwinden wagt, ist es die Grenze zu den EU-Ländern. Russland müsste anerkennen, dass wir nicht sein Hinterhof sind, sondern ein unabhängiges, souveränes und demokratisches Land.
"Ich werde die einzige legitimierte Institution bleiben"
tagesschau.de: Wird die Polizei Sie am 29. Dezember, wenn Ihre Amtszeit offiziell enden soll, aus dem Palast tragen müssen?
Surabischwili: Das hängt davon ab, wo ich gerade sein werde. Ich habe immer wieder erklärt, dass ich die Legitimität behalte, die die politischen Parteien der Opposition und auch die Demonstranten auf der Straße anerkennen. Ich werde die einzige legitimierte Institution bleiben - und sozusagen die Kontinuität des Staates darstellen.
tagesschau.de: Das heißt, Sie wollen hier - im Palast - bleiben?
Surabischwili: Das werden Sie sehen.
Das Gespräch führten Silke Diettrich und Björn Blaschke, ARD Moskau, zurzeit Tiflis