Humanitäre Lage im Sudan Nicht wissen, wohin
Der Machtkampf im Sudan geht weiter, eine Waffenruhe ist nicht in Sicht. Mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht. Die Bevölkerung ist traumatisiert und dringend auf Hilfe angewiesen. Doch die läuft nur schleppend an.
Pechschwarze Rauchwolken steigen über Khartum in den Himmel. Schüsse sind zu hören. Noch immer gehen die Kämpfe im Sudan weiter. Noch immer gibt es kaum eine Atempause für die vielen verzweifelten Bewohner der sudanesischen Hauptstadt. Der Journalist Mohamed El Tayeb berichtet im arabischen Nachrichtensender Sky News Arabiya von der Situation vor Ort: "Die humanitäre Krise verschlimmert sich von Tag zu Tag. Einige Stadtteile klagen über Wasser und Stromausfälle, und das Bargeld wird knapp. Die Menschen sitzen immer noch in ihren Häusern fest und verlassen sie nur mit äußerster Vorsicht."
800.000 Binnenflüchtlinge im Sudan
Und viele verlassen ihre Häuser nur, um zu fliehen. Mehr als 800.000 Menschen sind mittlerweile innerhalb des Sudans auf der Flucht, melden die Vereinten Nationen. Über 220.000 haben das Land bereits verlassen. Sie stranden in den Nachbarländern, im Tschad, im Südsudan oder in Ägypten.
Eine von ihnen ist Sanaa. Die junge Mutter sitzt mit ihren beiden Töchtern in einem kargen Raum in Ägyptens Hauptstadt Kairo. Ein Bett, einen kleinen Tisch, einen Stuhl, einen Ventilator- mehr haben sie nicht. Auf dem Handy verfolgt Sanaa die Nachrichten aus ihrer Heimat. Ihre kleine Tochter, vielleicht fünf Jahre alt, kauert neben ihr und wischt der Mutter behutsam die Tränen aus dem Gesicht.
Die Erinnerungen kommen immer wieder hoch, sagt die Mutter der Nachrichtenagentur Reuters. Ihre Töchter seien traumatisiert. "Neben unserem Haus schlugen zahlreiche Raketen ein. Überall in unserer Nachbarschaft wurde gekämpft. Die Schüsse hörten nicht mehr auf. Das Gebäude wackelte. Wir hatten solche Angst. Meine Töchter haben das alles erlebt. Sie haben so schlimme Szenen gesehen. Meine Kleine schreit immer noch nachts und fragt weinend: 'Warum sind diese Leute gekommen? Um uns zu töten?'"
Sie könne sie kaum beruhigen, sagt Sanaa. "Wenn ein Flugzeug über uns fliegt, rennt sie weg und schreit: 'Mama, die werden uns bombardieren'. Ich muss ihr dann erklären, dass das nur ein normales Flugzeug ist und uns nicht töten wird."
Flüchtlinge campieren im Freien, wissen nicht, wohin
Sie sind jetzt in Sicherheit. Doch die Mehrheit der Vertriebenen steckt im Sudan fest, weiß nicht mehr wohin. Viele Binnenflüchtlinge schlagen sich zu der Küstenstadt Port Sudan im Osten des Landes durch. Die Stadt gilt als einigermaßen sicher. Hunderte Familien campieren im Freien. Mit Tüchern und Planen haben sie unter Büschen versucht, ein Lager aufzuschlagen. Sie kochen auf dem offenen Feuer. Auch Rim sucht hier Schutz. Die Mutter ist verzweifelt.
Wir kommen aus dem Krieg, haben unsere Männer verloren. Unsere Häuser sind zerstört. Selbst wenn wir zurück könnten, wo sollen wir hin? Wir haben Kinder und sitzen hier in der Hitze fest. Bitte helft uns! Helft diesen Kindern! Hier sind Schwangere und alte und kranke Frauen. Und ihre Gesundheit verschlechtert sich.
Waffenstillstand ist nötig für humanitäre Hilfe
Nicht weit von den Flüchtlingen entfernt, in einem Hotel in Port Sudan, sitzt der deutsche UN-Sondergesandte für den Sudan, Volker Perthes. Er sieht das Elend jeden Tag. Auch er und sein Team mussten Khartum aufgrund der heftigen Kämpfe verlassen. Jetzt versucht Perthes, vom Hotelzimmer aus improvisierend, den UN-Betrieb am Laufen zu halten.
"Das ist manchmal schwierig, weil wir kein Internet haben oder weil es keine regulären Telefonverbindungen gibt. Aber wir sind in ständigem Kontakt. Ich bin persönlich auch in ständigem Kontakt mit den Kriegsparteien", sagt Perthes. Die Herausforderung sei es, die Hilfe zu den Menschen in den Kampfzone zu bringen. Dafür sei ein sicherer Waffenstillstand nötig.
Die Kritik, die UN kämen oft zu langsam, leisteten zu spät und zu wenig Hilfe, will Perthes nicht gelten lassen. "Es ist immer leicht zu sagen, dass die Vereinten Nationen zu spät kommen. Viele von den Vorräten, die wir im Land gehabt haben, die zur Verfügung gestanden hätten, um zum Beispiel Krankenhäuser zu versorgen, sind geplündert worden. Was es für uns ganz, ganz schwierig macht, Hilfe schnell und effektiv zu leisten", sagt der UN-Sondergesandte.
Militärchef und Stellvertreter kämpfen um Macht
Im Sudan kämpft die Armee des Militärchefs und de facto-Präsidenten Abdel Fattah Burhan gegen die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) von seinem langjährigen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti. Zur Eskalation kam es, weil die Miliz in die nationale Armee integriert werden sollte. Ein Machtverlust, den Hemeti nicht hinnehmen wollte.
"Am Tag zuvor habe ich persönlich lange Unterhaltungen gehabt mit den Führern beider Seiten. Wir haben immer wieder gesagt, dass ein Land, was zwei oder drei Armeen hat, nicht stabil sein kann. Es gibt immer Möglichkeiten, einen Krieg zu beenden, und alle Kriege enden irgendwann", sagt Perthes.
"Wir sind jetzt in einer Phase, wo die beiden Kriegsparteien erkannt haben, dass es nicht so leicht ist, einen Sieg über die andere Seite zu erreichen und dass selbst ein militärischer Sieg dazu führen könnte, dass sie das Land verlieren oder einen großen Teil der Infrastruktur des Landes und der Bevölkerung."
Hoffnung auf Waffenruhe
Perthes hofft jetzt auf weitere Verhandlungen für eine Waffenruhe. Für den deutschen UN-Sondergesandten steht fest: Er will bleiben und im Sudan vermitteln, solange es geht.
Wenn ich keine Hoffnung hätte, dass der Krieg sich beenden ließe und dass der Sudan eine bessere Zukunft hätte, dann wäre ich in der Tat nicht hier. Aber ich bin hier, weil ich sicher bin, dass dieser Krieg enden muss und dass er enden kann.
Es ist ein Optimismus, der ihnen vielleicht Mut machen soll: Rim, Sanaa und den vielen anderen Flüchtlingen aus dem Sudan, die nur eines hoffen: dass sie bald in ihre Heimat zurück können, in ihr Zuhause - falls davon nach den Kämpfen überhaupt noch etwas übrig geblieben ist.