Angriff in Teheran Hamas meldet Tötung ihres Anführers Hanija
Der militant-islamistischen Hamas zufolge ist ihr politischer Anführer, Ismail Hanija, getötet worden. Hanija sei bei einem Luftangriff auf sein Haus in Teheran ums Leben gekommen. Die Hamas macht Israel verantwortlich.
Der Auslandschef der militant-islamistischen Hamas, Ismail Hanija, ist nach Angaben der Terrormiliz bei einem Luftangriff in der iranischen Hauptstadt Teheran getötet worden. Er sei infolge einer Attacke auf seine Residenz ums Leben gekommen, teilte die Hamas mit. Die Hamas machte Israel verantwortlich, Analysten im iranischen Staatsfernsehen ebenfalls.
Von israelischer Seite gibt es dafür bislang keine Bestätigung. Israel hatte angekündigt, Hanija und andere Hamas-Führer nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober töten zu wollen. Die israelische Zeitung Haaretz berichtet unter Berufung auf Medienberichte aus Saudi-Arabien, das Gebäude, in dem sich Hanija aufgehalten habe, sei um zwei Uhr morgens von einem Marschflugkörper getroffen worden.
Laut ARD-Korrespondent Markus Rosch ist das Haus offenbar Eigentum der Iranischen Revolutionsgarden. In Anbetracht dessen handele es sich um "eine Eskalation des ohnehin schwelenden Konflikts." Laut iranischen Staatsmedien, auf die sich die Nachrichtenagentur Reuters bezieht, handelte es sich um eine Residenz für Kriegsveteranen im Norden Teherans.
Die Nachricht von Hanijas Tötung folgte wenige Stunden nach einem israelischen Luftangriff auf einen Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut. Dabei wurde nach Angaben der israelischen Armee Fuad Schukr getötet, ein ranghoher Kommandeur der Schiitenmiliz Hisbollah. Die Hisbollah ist mit der Hamas im Gazastreifen verbündet, beide sind wiederum verbündet mit Israels Erzfeind Iran. Mehrere Funktionäre der Hamas kündigten in arabischen Medien Vergeltung für Hanijas Tod an.
Iranische Revolutionsgarden untersuchen Vorfall
Seit dem Terrorüberfall der Hamas und anderer Gruppen auf Israel am 7. Oktober greift die Hisbollah aus Solidarität mit der Hamas Ziele im Norden Israels an. Ihre Angriffe will sie erst einstellen, wenn es in Gaza zu einem Waffenstillstand kommt. Nach Angaben der iranischen Revolutionsgarden (IRGC) kam außer Hanija auch einer seiner Leibwächter ums Leben. Ursache und das Ausmaß des Vorfalls würden untersucht, die Ergebnisse später bekannt gegeben, teilte Irans Elitestreitmacht mit.
Hanija habe vor seinem Tod an der Zeremonie zur Vereidigung des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian teilgenommen, teilte die Hamas auf ihrem Telegram-Kanal mit. Peseschkian war im Parlament in Teheran vereidigt worden und nimmt somit offiziell die Amtsgeschäfte als neunter Präsident der Islamischen Republik auf.
An der Vereidigungszeremonie nahmen nach iranischen Angaben hochrangige Vertreter aus 86 Ländern teil. Die meisten westlichen Länder hatten Peseschkian weder zum Wahlsieg gratuliert noch standen ihre Vertreter auf der Gästeliste des Parlaments. Ebenfalls gestern war Hanija mit dem geistigen Oberhaupt des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, zusammengekommen.
Der Tod Hanijas stärke das Band zwischen dem Land und den Palästinensern, teilte das iranische Außenministerium mit. Sein Blut werde niemals vergeblich vergossen sein, sagte Außenamtssprecher Nasser Kanaani staatlichen iranischen Medien zufolge. "Hanijas Märtyrertum in Teheran wird die tiefe und unzerbrechliche Bindung zwischen Teheran, Palästina und dem Widerstand stärken", so Kanaani.
Politische Gruppen rufen zu Generalstreik auf
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte den Fall in einer Stellungnahme als "feigen Akt". Der Leiter der palästinensischen Autonomiebehörde sprach von einer "gefährlichen Entwicklung". Der Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Hussein Al-Scheik, schrieb auf X, seine Organisation verurteile "den Mord an dem nationalen Führer" Hanija. Er sprach von der Notwendigkeit der Einigung der verschiedenen palästinensischen Gruppen und Fraktionen.
Ein Bündnis der verschiedenen politischen Gruppen im Westjordanland rief der Nachrichtenagentur dpa zufolge als Reaktion auf den Tod Hanijas zu einem Generalstreik auf. Außerdem solle an Kontrollpunkten die Konfrontation mit israelischen Soldaten gesucht werden, hieß es. Ob es sich dabei um Demonstrationen oder Angriffe handeln sollte, blieb unklar.
Die Türkei warf Israel vor, den Krieg in der Region ausweiten zu wollen. Es habe sich erneut gezeigt, dass die Regierung von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu keine Absicht habe, den Frieden zu erreichen, teilte das türkische Außenministerium mit. Russlands stellvertretender Außenminister Michail Bogdanow sprach von einem "absolut inakzeptablen politischen Mord, der zu einer weiteren Eskalation der Spannungen führen wird", zitierte die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA.
Zentraler Ansprechpartner bei Verhandlungen
Hanija hatte den Gazastreifen im Jahr 2019 verlassen und sich nach Katar ins Exil begeben. Im Gazastreifen wird die Hamas von Jihia al-Sinwar angeführt, dem Planer des Terrorangriffs vom 7. Oktober.
Bei einem israelischen Luftangriff waren im April drei Söhne und vier Enkelkinder Hanijas getötet worden. Dieser erklärte damals in einem Interview des katarischen Nachrichtensenders Al-Dschasira, die Tötungen würden seine Organisation nicht dazu bringen, in den Waffenruhe-Verhandlungen mit Israel ihre Positionen abzumildern.
Der Tod des 62-Jährigen dürfte die Bemühungen um eine Vereinbarung zur Freilassung der israelischen Geiseln sowie zu einer Waffenruhe im Gazastreifen erheblich erschweren. Hanija galt als zentraler Ansprechpartner bei den indirekten Verhandlungen mit den USA, Ägypten, Katar und Israel.
Mit Informationen von Markus Rusch, Christian Buttkereit und Clemens Verenkotte, ARD-Studios Istanbul und Tel Aviv