Von Verletzungen bis Feinstaub Welche Folgen hat das Böllern wirklich?
Feinstaub, ängstliche Tiere, volle Krankenhäuser: Jedes Jahr wird zum Jahreswechsel über die Auswirkungen von Feuerwerkskörpern diskutiert. Aber wie gravierend sind die Folgen des Böllerns wirklich?
Lange Schlangen schon vor Ladenöffnung, dann tumultartige Szenen beim Verkauf: Die Bilder und Videos vom Verkaufsstart von Feuerwerkskörpern in einigen deutschen Supermärkten lassen erahnen, dass auch dieses Jahr wieder ordentlich geböllert wird zu Silvester. Der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) rechnet gegenüber dem Vorjahr mit 15 Prozent mehr Ware in den Läden.
Während einige es kaum erwarten können, werden an anderen Stellen die Forderungen nach einem Böllerverbot wieder lauter - zum Beispiel von der Bundesärztekammer. Denn für die Rettungskräfte bedeutet Silvester vor allem viel Arbeit. "Für einen schönen Jahreswechsel braucht es kein Schwarzpulver", sagte der Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt. Es sei an der Zeit, neue Silvestertraditionen zu begründen, um friedlich und sicher ins neue Jahr zu starten.
Jedes Jahr flammt die Debatte um ein Böllerverbot wieder neu auf - mit Verweisen auf die Verletzungen, die Feinstaubbelastung oder auch die Folgen für die Tierwelt. Aber was ist an den einzelnen Punkten dran?
Dreimal mehr Schwerstverletzte an Silvester
"Die deutschen Krankenhäuser sind in der Silvesternacht durch feuerwerksbedingte Verletzungen besonders belastet", heißt es von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). In Zahlen ausgedrückt bedeutet das laut der DKG: Im Durchschnitt wurden 2023 in deutschen Krankenhäusern täglich 26,5 Patienten stationär mit Verletzungen aufgenommen, die der Klassifikation zugerechnet werden, die auch typische Feuerwerksunfälle wie amputierte Finger oder Augenverletzungen beinhaltet. Am Neujahrstag waren es jedoch 100 - also mehr als drei Mal so viel.
Dass dieser Anstieg hauptsächlich auf die Böllerei zurückzuführen ist, hat unter anderem der Jahreswechsel von 2020 auf 2021 gezeigt, als ein Verkaufsverbot von Pyrotechnik aufgrund der Corona-Pandemie herrschte. So wurden am 1. Januar 2021 lediglich 32 Patienten mit einer Verletzung der Klassifikation in einem Krankenhaus aufgenommen und damit kaum mehr als im Durchschnitt des Jahres.
Hinzu kommen einer Untersuchung des "Deutschen Ärzteblatts" jährlich etwa 8.000 Menschen, die zu Silvester Schädigungen des Innenohrs durch Feuerwerkskörper erleiden.
Unter den Opfern von Feuerwerksunfällen befinden sich vor allem Männer: Nach Angaben des Unfallkrankenhauses in Berlin sind 97 Prozent der Schwerverletzten durch Feuerwerk männlich.
Feinstaubbelastung deutlich erhöht
Doch nicht nur akute Verletzungen werden von Feuerwerksgegnern angemahnt, auch die Feinstaubbelastung wird oft als Argument genannt. Denn eine unmittelbare Folge des Abbrennens von Feuerwerkskörpern an Silvester ist zudem die Freisetzung von Feinstaub.
Nach Angaben des Umweltbundesamts werden jährlich etwa 1.500 Tonnen Feinstaub (PM10) rund um den Jahreswechsel durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern freigesetzt - und damit innerhalb kürzester Zeit knapp ein Prozent der jährlich insgesamt freigesetzten Feinstaubmenge PM10 in Deutschland. Vor allem in Großstädten seien PM10-Stundenwerte von 1.000 µg/m³ an Silvester keine Seltenheit - im Vergleich liegt die mittlere PM10-Konzentration in deutschen Städten etwa bei 15 µg/m³.
Für die EU-Mitgliedsländer gelten mit Blick auf Feinstaubbelastung folgende Grenzwerte für PM10: Im Tagesmittelwert darf an maximal 35 Tagen im Jahr die Marke von 50 μg/m³ überschritten werden, der Jahresmittelwert darf nicht über 40 μg/m³ liegen. Bei PM2,5 darf der Jahresmittelwert nicht 20 μg/m³ überschreiten. PM1 wird noch nicht routinemäßigen erfasst und hat daher auch keine eigenen Grenzwerte.
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat 2019 in einer Stellungnahme für die damalige Bundesregierung unter anderem die gesundheitlichen Gefahren von Feinstaub analysiert. Dort wird zwischen kurzfristiger und langfristiger Feinstaubbelastung unterschieden. "Bei kurzfristiger Belastung kommt es zu einem Anstieg der täglichen Sterberate um 0,4 Prozent bis 1,0 Prozent pro Anstieg der täglichen PM10-Belastung um zehn Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m³). Außerdem werden mehr Menschen wegen Asthmaanfällen, Herzinfarkten, Herzinsuffizienz oder Schlaganfällen ins Krankenhaus eingewiesen."
Vor allem für vorerkrankte Menschen wie Asthmatiker kann bereits eine kurzzeitig hohe Feinstaubbelastung gefährlich werden. Denn über die Luft kann Feinstaub in die Lunge gelangen - und zwar umso tiefer, je kleiner die Partikel sind.
Wetter spielt eine wichtige Rolle
Wie schnell die Feinstaubbelastung nach dem Silvesterfeuerwerk wieder abschwächt, hängt vor allem von den Wetterverhältnissen ab, sagt Achim Dittler, Leiter der Arbeitsgruppe Gas-Partikel-Systeme am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Auch das Umweltbundesamt weist darauf hin. Günstig seien etwa Wind und Regen. Bei einer Hochdruckwetterlage hingegen könne sich der Feinstaub bis zu einigen Tagen in der Luft halten.
Aus Sicht von Dittler ist jedoch der Anteil der Feinstaubbelastung durchs Feuerwerk mit Blick auf das gesamte Jahr zu vernachlässigen. "Lokal oder regional kann die Belastung an ein, zwei Tagen sehr hoch sein", sagt er. "Im Vergleich jedoch zu dem, was Menschen in Wohngebieten an viel mehr Tagen im Jahr zum Beispiel durch Holzöfen ausgesetzt sind, spielt die Belastung durch Feuerwerkskörper eine untergeordnete Rolle."
In den beiden Jahren mit dem Böller-Verkaufsverbot 2020 und 2021 sind die Feinstaubemissionen zum Jahreswechsel deutlich zurückgegangen: Nach Angaben des Umweltbundesamts entsprachen sie etwa einem durchschnittlichen Tag. Für weitere Luftschadstoffe wie Stickstoffdioxid oder Ozon würden die Messstationen generell keine signifikanten Auffälligkeiten durch das Abbrennen von Feuerwerkskörper zeigen. Auch die CO2-Emissionen aus Feuerwerkskörpern sind nach Schätzungen des Umweltbundesamtes nur von geringer Bedeutung - ihr Anteil an den jährlichen Treibhausgasemissionen im Land liegt bei 0,00013 Prozent (1.150 Tonnen).
Feuerwerk sorgt bei Tieren für Stress
Doch nicht nur Menschen können durch Feuerwerkskörper zu Schaden kommen. Auch für die Tierwelt bedeuten vor allem die lauten Knallgeräusche Stress. Bei Haustieren ist es laut Experten daher wichtig, sie an Silvester nicht alleine zu lassen und die Fenster zu schließen. Notfalls könne nach Absprache mit einem Tierarzt auch ein Beruhigungsmittel helfen.
Bei Wildtieren ist das alles nicht möglich. Bei Tieren, die sich in der Winterruhe befinden oder Winterschlaf halten, besteht nach Ansicht von Veterinärmedizinern daher die Gefahr, dass sie geweckt werden oder aufschrecken. Dadurch könne ihr Stoffwechsel angeregt werden und der Energieverbrauch steigen - und das beim geringeren Nahrungsangebot im Winter. Bei Vögeln könne Feuerwerk dazu führen, dass sie aufschrecken und versuchen zu fliehen.
Wildgänse essen nach Silvester mehr
Auch längerfristig hat das Feuerwerk an Silvester Auswirkungen für Wildtiere. Einer internationalen Studie unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz und des Niederländischen Instituts für Ökologie zufolge fraßen Wildgänse auch viele Tage nach Silvester bis zu zehn Prozent länger und bewegten sich tagsüber deutlich weniger. Die Studienautoren vermuten, dass dies mit dem hohen Energieverbrauch zusammenhängt, da die Vögel in der Silvesternacht ihre Nachtruhe deutlich verkürzen und zudem höher und weiter fliegen als üblich.
Eine Studie aus dem Jahr 2015 kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Böllern an Silvester zu erheblichen Verhaltensänderungen bei Wildvögeln führen kann.
Und auch Nutztiere wie Kühe reagieren vor allem auf den Lärm, so Experten Das könne dazu führen, dass die Futteraufnahme und sie Wiederkauaktivität vermindert wird. Kurzfristige Lärmbelastung könne zudem Panikreaktionen auslösen.