Stimmabgabe zur Europawahl in einem Wahllokal Frankfurt
faktenfinder

Angebliche Wahlmanipulation Wenig Einsprüche gegen Europawahl

Stand: 14.08.2024 12:51 Uhr

In rechtsextremen und verschwörungsideologischen Kreisen wurden zur Europawahl zahlreiche Belege für angebliche Wahlmanipulation verbreitet. Die offizielle Zahl der Einsprüche ist jedoch sehr gering.

Von Laura Bisch und Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Strukturierte Wahlmanipulation witterten Nutzer in den sozialen Netzwerken noch am 9. Juni, dem Tag der Europawahl in Deutschland. Vor allem die AfD sei davon betroffen, hieß es in einschlägigen Kreisen. Vermeintliche Beweise wurden vielfach geteilt - erwiesen sich bei genauerem Hinsehen jedoch meistens als falsch. Und auch gut zwei Monate nach der Wahl zeigt sich: Von den Vorwürfen ist nicht viel übrig geblieben.

Denn wie eine Anfrage des ARD-faktenfinders zeigt, sind gerade einmal 66 Einsprüche bis zum Ablauf der Frist am 9. August beim Wahlprüfungssausschuss des Bundestags eingegangen. Das sind gut ein Drittel weniger Einsprüche als bei der Europawahl im Jahr 2019 (100) und auch deutlich weniger als bei der Europawahl 2014 (109). Nur in den Jahren davor wurden noch weniger Einsprüche eingereicht als bei der diesjährigen Europawahl.

Auch im Vergleich zu vorangegangenen Bundestagswahlen ist die Zahl der Einsprüche gering. So wurden bei der Bundestagswahl 2021 vor allem wegen der Vorfälle in Berlin insgesamt 2160 Einsprüche eingelegt, bei der Bundestagswahl im Jahr 2017 waren es 275 Einsprüche.

"Anzahl der Einsprüche äußerst gering"

Anzeichen für eine strukturierte Wahlmanipulation, wie es in rechtsextremen und verschwörungsideologischen Kreisen behauptet wurde, gibt es somit nicht. Bereits kurz nach der Europawahl hatte Bundeswahlleiterin Ruth Brand auf Anfrage des ARD-faktenfinders geschrieben, die Kampagne auf der Plattform X sei eine Falschinformation. Es seien keine "Auffälligkeiten hinsichtlich der eingesetzten Wahlvorstände bekannt".

Auch von der Pressestelle des Bundestags heißt es, dass sich zum jetzigen Zeitpunkt keine Besonderheiten abzeichnen.

"Angesichts von über 40 Millionen abgegebenen Stimmen ist die Anzahl der Einsprüche äußerst gering", sagt Julia Partheymüller, Senior Scientist am Institut für Staatswissenschaft und Mitglied des Vienna Center for Electoral Research (VieCER). "Dies spiegelt wider, dass Wahlen in Deutschland im internationalen Vergleich sehr gut organisiert sind und in der Regel so gut wie reibungslos ablaufen." Im internationalen Ranking liegt Deutschland laut dem Electoral Integrity Global Report 2024 auf Platz vier in Europa und gehört zu den Ländern mit der höchsten elektoralen Integrität.

"Zwar treten gelegentlich administrative Pannen und kleinere Fehler auf - zum Beispiel die Teil-Wahlwiederholung in Berlin - doch insgesamt funktioniert die deutsche Wahladministration sehr zuverlässig und vertrauenswürdig", so Partheymüller.

Populisten weltweit wittern Wahlbetrug

Dass es dennoch so viele Falschbehauptungen zu angeblicher Wahlmanipulation gibt, sieht Partheymüller als Folge politischer Entwicklungen in Deutschland und auch weltweit. "Obwohl Wahlen in Deutschland von internationalen Experten insgesamt als qualitativ hochwertig eingestuft werden, nehmen in den letzten Jahren auch hierzulande, wie auch in den USA, Gerüchte über angebliche Wahlmanipulationen zu."

Dies habe jedoch eher mit der generell zunehmenden Systemskepsis und dem Aufstieg des Populismus zu tun als mit tatsächlichen Problemen in der Wahladministration. "Viele der Vorwürfe erhärten sich bei näherer Prüfung in der Regel nicht", sagt Partheymüller.

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hatte bereits vor der US-Wahl 2016 von massenhaftem Wahlbetrug im Sinne seiner damaligen Konkurrentin Hilary Clinton gesprochen. Nach der verlorenen Wahl 2020 befeuerte Trump dann die Verschwörungserzählung der angeblich gestohlenen Wahlen.

Auch der inzwischen abgewählte Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, wendete die Strategie an. In Brasilien führte das permanente Anzweifeln des Wahlvorgangs dazu, dass seine Anhänger gegen das Ergebnis protestierten. Beweise für seine Behauptung hat Bolsonaro nicht vorgelegt.

Wahleinsprüche werden geprüft

Was genau aus den 66 Wahleinsprüchen wird, ist zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht entschieden. Derzeit finde die Vorprüfung der Wahleinsprüche statt, teilt die Pressestelle des Bundestags mit. "Im Rahmen der Vorprüfung wird grundsätzlich geprüft, ob ein Einspruch form- und fristgerecht eingelegt ist und ggf. Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen ist."

Ein solcher Termin werde nur dann anberaumt, wenn die Vorprüfung ergibt, dass davon eine weitere Förderung des Verfahrens zu erwarten sei. Hierüber entscheide der Wahlprüfungssausschuss. "Zudem werden im Rahmen der Vorprüfung zur Aufklärung von Sachverhalten Auskünfte von den Wahlbehörden auf Landes- und Bundesebene eingeholt."

"Falls notwendig, können Maßnahmen ergriffen werden, um die Integrität und Rechtmäßigkeit der Wahl sicherzustellen", sagt Partheymüller. "Nach seiner Prüfung kann der Ausschuss dem Bundestag Empfehlungen aussprechen, wie weiter verfahren werden soll, beispielsweise ob eine Nachwahl erforderlich ist oder wie das Verfahren in Zukunft verbessert werden könnte, damit sich ähnliche Probleme nicht wiederholen." So musste in Berlin wegen zahlreicher Pannen bei der Bundestagswahl 2021 die Wahl teilweise wiederholt werden.