Rund 40 Tage bis zur Wahl Die heiße Phase des Wahlkampfs beginnt
Personell und inhaltlich sind die meisten Parteien spätestens nach dem Wochenende sortiert, Wahlplakate sind im Druck. Köpfe und Themen für die Bundestagswahl stehen fest - eine Standortbestimmung.
Die letzten 40 Tage bis zur Bundestagswahl brechen an. Für die Parteien und ihre Kandidaten heißt das: Die heiße Phase des Wahlkampfs beginnt. Am Wochenende hielten SPD, AfD und BSW ihre Parteitage ab. Kurz zuvor waren erst die CSU, dann die CDU in Klausur gegangen, die FDP stellte sich beim Dreikönigstreffen auf. Die Grünen sortierten ihr Personal schon Mitte November für den Wahlkampf. Die Linkspartei zieht nächstes Wochenende nach. Kanzlerkandidaten und -kandidatinnen, Wahlslogans, inhaltliche Schwerpunkte - wo stehen die Parteien?
Die SPD
Die Kanzlerpartei kämpft darum, auch nach dem 23. Februar noch Kanzlerpartei zu sein. Umfragen zufolge sieht das rund 40 Tage vor der Wahl nicht allzu gut aus, doch von den Zahlen der Demoskopen wollen sich Olaf Scholz und seine Partei explizit nicht verunsichern lassen. Sie setzen auf eine Aufholjagd, wie sie ja auch 2021 schon geklappt hat. Beim Parteitag in Berlin fiel der Startschuss für die "Mission Wunder". Mit nur fünf Gegenstimmen kürten die Genossen Olaf Scholz in nicht-geheimer Wahl erneut zum Kanzlerkandidaten, die Debatte um einen vielleicht geeigneteren Ersatzkandidaten spielte keine Rolle mehr.
Inhaltlich setzt die SPD auf bekannte Klassiker. Ein höherer Mindestlohn, sichere Renten, Steuerentlastungen für die "normalen Leute" - nachzurechnen auf einem Bierdeckel. Überhaupt verspricht die SPD eine Politik für die "ganz normalen Leute", in Abgrenzung zur Union, der sie eine Politik für Millionäre und Milliardäre vorwirft. "Wir brauchen mehr Solidarität", sagte Scholz in den tagesthemen. Außenpolitisch warb der SPD-Politiker für seinen Kurs der Besonnenheit.
Doch die SPD zieht mit Ballast in den Wahlkampf: Nach drei Jahren als Chef der Ampelkoalition ist das Vertrauen in die Führungsqualitäten eines Olaf Scholz extrem gering. Das belegen auch die Daten des DeutschlandTrends.
Die Union
Die Union hat mit CDU-Chef einen Kanzlerkandidaten, der vor vielen Jahren auch schon mal Konzepte auf Bierdeckel schrieb. Friedrich Merz soll die Union zurück ins Kanzleramt führen, es wäre sein erstes Regierungsamt in seiner langen politischen Karriere. Umfragen sehen die Union seit Wochen klar vorn - aber recht unverändert bei rund 30 Prozent. Die Zugkraft, die Merz zugetraut wird, ist mäßig. Auf einen "Kandidatenfaktor" können CDU und CSU daher kaum bauen.
Umso mehr Bedeutung sollen die Inhalte bekommen. Einen umfassenden "Politikwechsel" will die Union erreichen: Steuersenkungen für Unternehmen und Bürger in Milliardenhöhe, Abschaffung des Bürgergelds, eine drastisch verschärfte Migrationspolitik. Ihr Wirtschaftskonzept trägt den Titel "Agenda 2030" - nicht zufällig in Anlehnung an die "Agenda 2010" von SPD-Kanzler Gerhard Schröder. In den tagesthemen sprach Merz von einer "gemeinsamen Kraftanstrengung in diesem Land", die nötig sei, damit es wieder aufwärts gehe.
Die Themen Wirtschaft und Migration rangieren laut DeutschlandTrend auch im Problembewusstsein der Menschen in Deutschland ganz oben.
Die CSU führt bereits seit Wochen von Bayern aus ihren eigenen Wahlkampf. Vor allem trommelt Parteichef Markus Söder gegen die Grünen und engt damit den Spielraum von Kanzlerkandidat Merz für Schwarz-Grün nach der Wahl ein. Beim gemeinsamen Wahlkampfauftakt in Kloster Seeon zelebrierten Söder und Merz aber ihre Geschlossenheit, zumal Merz eine neue Distanz zu den Grünen und insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck erkennen ließ. Auf einen Koalitionswahlkampf will sich der CDU-Chef keinesfalls einlassen. Neben Schwarz-Grün bleibt auch eine Neuauflage von Schwarz-Rot eine Option.
Die Grünen
Musste er 2021 noch Annalena Baerbock den Vortritt lassen, ist nun der Weg frei für Robert Habeck als Spitzen- und Kanzlerkandidat der Grünen. Seine Wahl fand im Zuge der personellen Neuaufstellung der Führungsebene der Partei Mitte November statt, seitdem sind die Grünen um "Team Habeck" eigentlich im Wahlkampfmodus - oder am Küchentisch. Hier hat er sich bereits zu mehreren Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürger am Küchentisch getroffen. Es gehe ums Zuhören alltäglicher Sorgen, sagte Habeck.
Beim Wahlkampfauftakt in Lübeck und zuletzt auch im Bericht aus Berlin teilte er gegen die politischen Mitbewerber aus, insbesondere die Union und Markus Söder. "Maulheldentum" warf er ihm vor, die Union würde die Menschen "vergackeiern", da sie Steuererleichterungen verspreche, die nicht durchgerechnet seien. Zugleich warnte Habeck auch vor "Auschließeritis". Die demokratischen Parteien müssten bündnisfähig bleiben, sagte er auch mit Blick auf Österreich.
Ihr Wahlprogramm wollen die Grünen erst bei einem Parteitag am 26. Januar in Berlin beschließen. Inhaltlich fällt auf: Über Klimaschutz spricht die Partei inzwischen stets in einem Atemzug mit Bezahlbarkeit. Die Grünen bekennen sich zur Ukraine-Unterstützung und zur Stärkung der Verteidigung. Habeck will, dass Deutschland 3,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts pro Jahr in die Verteidigung stecken soll - deutlich mehr als die in der NATO vereinbarten zwei Prozent. Aus dem Entwurf für das Wahlprogramm geht zudem hervor, dass die Grünen Renten und Krankenkassen stabilisieren wollen.
In Umfragen stehen die Grünen bei 14 oder 15 Prozent, etwa gleichauf mit der SPD. Unter den allesamt unbeliebten Kanzlerkandidaten gehört Habeck laut DeutschlandTrend zum beliebtesten.
Die FDP
Die FDP verzichtet auf einen Kanzlerkandidaten. Die Liberalen um Spitzenkandidat Christian Lindner haben in erster Linie mit der Fünf-Prozent-Hürde zu kämpfen. Beim Dreikönigstreffen in Stuttgart machte man sich Mut und sah sich schon wieder in der Regierung - zusammen mit der Union. Lindner rief den gewünschten Partner dazu auf, sich zu Schwarz-Gelb zu bekennen, was dieser kaum tun wird. Zumal es mit Blick auf die Umfragen auch bei weitem nicht reichen würde für eine schwarz-gelbe Regierungsmehrheit.
Inhaltlich setzt die FDP auf Klassiker: stärkere Wirtschaft, weniger Bürokratie, mehr Eigenverantwortung, die Schuldenbremse. Stärker als bei früheren Wahlkämpfen will die Partei aber auch die Probleme im Bereich Migration thematisieren.
Die AfD
Auch die AfD hat sich für den Wahlkampf aufgestellt. Erstmals tritt sie mit einer Kanzlerkandidatin an. Beim Parteitag in Riesa wurde Alice Weidel gekürt, die sich anschließend mit scharfer Rhetorik von anderen Parteien abgrenzte. Hatte sie früher häufig gemäßigtere Töne angeschlagen, werteten politische Beobachter Weidels Auftritt nun als radikale Richtungsänderung. Auch das Wahlprogramm der in Teilen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuften Partei wurde noch einmal verschärft. So findet sich der Begriff "Remigration" nun im Programm. In extrem rechten bis rechtsextremen Kreisen ist damit die massenhafte Abschiebung nicht nur von abgelehnten Asylbewerbern, sondern auch von Deutschen mit Migrationshintergrund gemeint.
In Umfragen steht die AfD bei rund 20 Prozent. Doch auch wenn die AfD schon von Weidel als der "zukünftigen Kanzlerin" schwärmt, eine realistische Option zum Regieren hat die AfD derzeit nicht. Keine Partei will mit ihr koalieren, in den tagesthemen bekräftigte Unions-Kanzlerkandidat Merz noch einmal die kategorische Absage an jede Zusammenarbeit mit der AfD.
Die Linke
Seitdem sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) von der Linkspartei abgespalten hat, kämpft die Linke gegen die Bedeutungslosigkeit. Ihren Fraktionsstatus im Bundestag hat sie verloren, die verbliebenen Linken-Abgeordneten sind eine Gruppe. Auch bei der Bundestagswahl stemmt sich die Linke - personell neu aufgestellt - gegen den Niedergang.
Inhaltlich setzt sie laut Entwurf des Wahlprogramms auf die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, einen bundesweiten Mietendeckel, einen höheren Mindestlohn und eine Vier-Tage-Woche. Finanziert werden soll dies vorübergehend mit "einem Energie-Soli für Reiche". Beim Parteitag am nächsten Wochenende will sie das Programm verabschieden.
Personell setzt sie auf drei altbekannte Herren: Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow haben sich zur "Mission Silberlocke" bereit erklärt. Auf den drei Politikveteranen - Bartsch ist mit 66 Jahren der Jüngste des Trios - ruhen die Hoffnungen der Partei. Sie sollen bei der Wahl jeweils ein Direktmandat erringen, um die Linke mithilfe der Grundmandatsklausel auch beim Verfehlen der Fünf-Prozent-Hürde im Bundestag zu halten. Das gelang ihr bereits 2021.
Das BSW
Ein gutes Jahr ist das Bündnis Sahra Wagenknecht inzwischen alt. Die Partei hat es in dieser Zeit ins Europaparlament, in mehrere Landtage und Landesregierungen geschafft. Ob es die Wagenknecht-Partei jetzt aber in den Bundestag schafft, ist unklar. Der Grat zwischen bleibendem Machtfaktor und Strohfeuer ist schmal. Am Wochenende traf man sich zum Parteitag in Bonn und kürte Partei-Namensgeberin Sahra Wagenknecht zur Kanzlerkandidatin. Querelen, die es im Vorfeld gegeben hatte, wurden abgeräumt.
Auch inhaltlich legte sich das BSW fest. Alle denkbaren Themen stehen im Programm zur Bundestagswahl - von der Steuer auf hohe Einkommen über den Umbau des Rentensystems bis hin zur Begrenzung von Migration. Im Fokus steht aber das Thema Krieg und Frieden. Das BSW inszeniert sich als "einzige konsequente Friedenspartei", passend flimmern auf dem Parteitag Schwarz-Weiß-Bilder von der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten und Friedenstauben über die Leinwand.
Im Interview mit den tagesthemen forderte Wagenknecht erneut ein Ende der Wirtschaftssanktionen gegen Russland und verteidigte die Pläne ihrer Partei für eine restriktive Migrationspolitik. Das sei nicht rechts, das sei vernünftig, sagte sie.