Rechtschreibrat zum Gendern Auf der Suche nach den richtigen Worten
Alle Menschen sollen mit geschlechtergerechter Sprache angesprochen werden. Darin sind sich die Mitglieder des Rats für deutsche Rechtschreibung einig. Eine Empfehlung für Doppelpunkt und Sternchen geben sie dennoch nicht.
Eine offizielle Anerkennung des Gendersterns gibt es vom Rat für deutsche Rechtschreibung noch nicht. Dafür aber die klare Botschaft, die Sonderzeichen zu tolerieren. Die Entwicklung sei noch nicht abgeschlossen und werde vom Rat weiter beobachtet.
In einer sehr kontroversen Debatte war dies alles, auf das man sich mit der nötigen Zweidrittelmehrheit einigen konnte. Zufrieden war am Ende niemand. Auch Josef Lange, der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung, hatte auf mehr gehofft. "Ich hätte mir ein weiterführendes Ergebnis versprochen. Das war bei allem guten Willen nicht zu erreichen." Die Diskussion werde mit Sicherheit in den nächsten Jahren weitergehen.
Frage der Übersetzbarkeit
Die Anhänger vom Asteriskus-Sternchen oder Doppelpunkt interpretieren die Haltung des Rats als Zeichen, dass die Gendersonderzeichen bereits auf halbem Wege sind, ins amtliche Regelwerk aufgenommen zu werden.
Heinz Bouillon, der für die Deutsche Gemeinde Belgiens an der Debatte teilnahm, sieht die Entwicklung skeptisch. "Die Sonderzeichen stellen für uns ein ganz besonderes Problem dar, nämlich die Übersetzbarkeit", kritisiert Heinz. Belgien hat drei Landessprachen. Alles, was von Behörden beschlossen wird, muss übersetzt werden. "Diese Sonderzeichen existieren aber nicht im Niederländischen, auch nicht im Französischen. Was passiert damit? Wenn so etwas akzeptiert würde, dann hätten die Übersetzungsdienste enorme Probleme."
Bouillon gehört zu Belgiens anerkanntesten Experten für das Lehren und Lernen fremder Sprachen. Er glaubt, dass Deutsch als Fremdsprache unattraktiv werden könnte, wenn der Genderstern oder andere Sonderzeichen anerkannt würden. "Ich sehe das sehr schwer zu vermarkten bei meinen Studenten. Die laufen sofort über zum Spanischen und zum Italienischen."
Krome: Grammatik und Satzbildung werden beeinträchtigt
Die Sprache hat sich immer verändert und gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst, sagt Sabine Krome. Doch mahnt die Geschäftsführerin des Rats für Deutsche Rechtschreibung auch vor "abenteuerlichen Wortschöpfungen mit verkürzenden Sonderzeichen". Dadurch würden die Sätze oft verkompliziert und wirkten gekünstelt.
Die Sonderzeichen könnten auch die Grammatik und auch Satzbildung durcheinanderbringen, so Krome. Durch die Wortzeichen im Wortinneren werde die Wortbildung gestört, Pluralformen gingen dadurch verloren. "Nimmt man zum Beispiel Bäuer*innen, das soll Bauern und Bäuerinnen und dritte Geschlechtsidentitäten umfassen. Ob das nun jeder versteht, das mag man wohl zurecht bezweifeln", kritisiert die Geschäftsführerin des Rats.
Diskussion über Gruppenidentitäten
Auch der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung, Lange, betont, dass Gendersprache nicht zulasten der Lesbarkeit und Verständlichkeit von Texten gehen darf. Auch dürfe man die Einheit des deutschen Sprachraums nicht aufs Spiel setzen. "Denn die Verwendung dieser Sonderzeichen ist in bestimmten Gruppierungen inzwischen Usus, also wird ständig gebraucht und wird dort auch verstanden."
Die Frage, ob sich durch den Gebrauch der Gendersprache Sprache im deutschen Sprachraum auf verschiedene Gruppenidentitäten aufspalte, sei eine offene Frage. "Ich habe die Sorge, dass es sich dahin entwickeln könnte", sagt Lange.
Einig sind sich die obersten Sprachwächter, dass man alle Menschen mit geschlechtergerechter Sprache ansprechen soll. Allerdings sei dies eine Aufgabe, die sich nicht allein mit veränderten Rechtschreibregeln bewältigen lasse.
Empfehlungen von 2021 bleiben bestehen
Zuletzt hatte der Rat im Jahr 2021 empfohlen, Sternchen, Unterstrich, Doppelpunkt oder andere Formen zur Kennzeichnung von mehrgeschlechtlichen Bezeichnungen im Wortinneren zu diesem Zeitpunkt nicht in das amtliche Regelwerk aufzunehmen. Jetzt wäre es auch weiterhin nicht regulär aufgenommen, aber als Phänomen im Bereich Sonderzeichen beschrieben.
Der Rat ist eine wichtige Instanz für Rechtschreibung. Seine Aufgabe im Auftrag von staatlichen Stellen ist es, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und die Rechtschreibung auch mit Blick auf den Wandel der Sprache weiterzuentwickeln.
Sonderzeichen
Als Sonderzeichen gelten typografische Zeichen wie etwa das Paragrafenzeichen (§), das Prozentzeichen (%) oder das kaufmännische Und (&). Diese gehören nicht zu den Satz- oder Wortzeichen und daher auch nicht zur Interpunktion im engeren Sinne. Sie sind durch einen eindeutigen formalen Status, etwa eine vordefinierte Stellung im Satz, in einer Auflistung u. a. gekennzeichnet (so z. B. §) vor der Paragrafenziffer (§ 2 BGB)). Auch die Verwendung von Sonderzeichen unterliegt Regeln: Typografische Regeln haben zum Teil den Status von Konventionen, zum Teil sind sie als DIN- oder anderweitige Normen durch das Deutsche Institut für Normung (DIN), die ÖNORMEN oder die Schweizerische Normen-Vereinigung (SNV) festgelegt.
Zunehmend werden bei Personenbezeichnungen orthografische Zeichen wie der Doppelpunkt (:) – allerdings ohne ein folgendes Leerzeichen (Bürger:innen) – oder Sonderzeichen wie Asterisk (*), Unterstrich (_) oder andere Zeichen im Wortinneren verwendet. Diese Wortbinnenzeichen gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie. Sie sollen eine über die formalsprachliche Funktion hinausgehende metasprachliche Bedeutung zur Kennzeichnung aller Geschlechtsidentitäten – männlich, weiblich, divers – vermitteln: die Schüler:innen, die Kolleg*innen. Sie gehen damit über Verkürzungsformen wie Bürger/-innen, die vom Amtlichen Regelwerk bereits erfasst werden, hinaus.
Die Besonderheit der Wortbinnenzeichen zur Kennzeichnung einer geschlechterübergreifenden Bedeutung liegt darin, dass sie auf die orthografisch korrekte Schreibung von Wörtern unmittelbar einwirken. Diese Eigenschaft teilen sie mit einigen Satz- bzw. Wortzeichen (wortinterne Klammern, Apostroph, Bindestrich, Anführungszeichen), deren wortinterne Verwendung im Amtlichen Regelwerk beschrieben wird. Bei den Sonderzeichen mit Geschlechterbezug soll jedoch eine metasprachliche Bedeutung transportiert werden. Ihre Setzung kann in verschiedenen Fällen zu grammatischen Folgeproblemen führen, die noch nicht geklärt sind, z. B. in syntaktischen Zusammenhängen zur Mehrfachnennung von Artikeln oder Pronomen (der*die Präsident*in).
Die Entwicklung des Gesamtbereichs ist noch nicht abgeschlossen und wird vom Rat für deutsche Rechtschreibung weiter beobachtet werden.