Markus Söder und Olaf Scholz besuchen Hochwassergebiet.

Wenige Maßnahmen umgesetzt Warum der Hochwasserschutz nicht schneller geht

Stand: 03.06.2024 18:14 Uhr

Die Hochwasserlage in Deutschland verschärft sich, die Schäden sind enorm. Was wurde aus dem zehn Jahre alten Hochwasserschutzprogramm von Bund und Ländern? Und wie steht es um die Pflichtversicherung?

Von Sarah Beham und Kai Clement, ARD Berlin

Vor mehr als zehn Jahren stiegen die Pegelstände von Elbe und Donau und überfluteten ganze Städte. Das "Nationale Hochwasserschutzprogramm" galt damals als Reaktion auf die Fluten. Bund und Länder haben das Programm gemeinsam auf den Weg gebracht und damit bundesweit eine Liste mit überregionalen Projekten für den Hochwasserschutz erstellt.

Ziel war es, dem Wasser kontrolliert mehr Raum zu geben mit Deichrückverlegungen oder Flutpoldern - Flächen, die bei Hochwasser gezielt und kontrolliert geflutet werden können. Vieles sollte sich durch das gemeinsame Programm verbessern.

Doch auch jetzt spitzt sich die Hochwasserlage in Deutschland wieder dramatisch zu, besonders in Baden-Württemberg und Bayern. Deiche reißen, Häuser werden evakuiert, Orte stehen unter Wasser.

Hochwasserschutz als Daueraufgabe

Das Problem: Im Rahmen des Nationalen Hochwasserschutzprogramms wurden bisher relativ wenige Maßnahmen umgesetzt. Nur 15 Prozent der Projekte sind in der Bauphase. Wie es vom Bundesumweltministerium weiter heißt, befindet sich ein Großteil der Maßnahmen noch in Planung oder in der Konzeption. Hochwasserschutz sei eine Daueraufgabe, das Hochwasserschutzprogramm sei für langfristige Projekte aufgelegt worden.

Zur Vorsorge brauche es mehr intakte Natur und natürliche Überschwemmungsflächen, etwa Deichrückverlegungen, meint Bundesumweltministerin Steffi Lemke gegenüber tagesschau.de. "Dafür brauchen wir auch ein neues Hochwasserschutzgesetz. Hier sind wir bereits in intensiven Gesprächen mit den Bundesländern", so die Grünen-Politikerin.

Umsetzung dauert lange

Die Finanzierung des Nationalen Hochwasserschutzprogramms ist zwar langfristig gesichert, doch die Hochwasserprojekte werden jährlich teurer: Baukosten steigen, Fachkräfte fehlen und Genehmigungen dauern. Um überhaupt Hochwasserschutzprojekte umzusetzen, braucht es große Flächen. Doch diese sind hart umkämpft. Eigentumsfragen, Grunderwerb, Naturschutz und Entschädigungen spielen eine entscheidende Rolle.

Die Folgen des Klimawandels scheinen schneller voranzuschreiten, als Maßnahmen umgesetzt werden können. Naturkatastrophen treten immer häufiger in Deutschland auf, meint auch Kanzler Olaf Scholz. Im vom Hochwasser betroffenen oberbayerischen Reichertshofen sagt der SPD-Politiker: "Das ist in diesem Jahr das vierte Mal, dass ich in ein konkretes Einsatzgebiet gehe und mir anschaue, was dort ist."

Pflichtversicherung gefordert

Die Schäden bei Hochwasser sind enorm. Die derzeitigen Überschwemmungen in Süddeutschland haben in der Politik erneut eine Diskussion über eine Pflichtversicherung gegen sogenannte Elementarschäden an Häusern angestoßen.

Nach dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft ist nur gut die Hälfte aller Wohnhäuser gegen Naturkatastrophen wie Überschwemmungen versichert. Dafür braucht es eine - derzeit noch freiwillige - Zusatzversicherung gegen Elementarschäden. 

Die Forderung, die nicht nur aus den betroffenen Bundesländern kommt, ist klar: Es braucht eine Pflichtpolice. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagt. "Wir können diese Schäden nicht einfach staatlich immer ersetzen, wir brauchen da eine andere Grundversicherung."

FDP ist gegen Pflichtversicherung

Wie der CSU-Politiker sehen es auch die anderen Länderchefs, so auch Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz. Die SPD-Politikerin wies im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio darauf hin, dass nicht alle Menschen, die eine Versicherung abschließen wollen, eine erhalten. Denn Versicherer scheuen das hohe Risiko oder wollen zunächst teure bauliche Veränderungen. Auch das spricht für die Pflichtversicherung.

Contra kommt von den Liberalen. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai meint: "Eigentum ist schon jetzt für viele Menschen in unserem Land teuer. Sehr teuer. Eigentum wäre danach weitaus teurer" - durch die zusätzliche Versicherungsprämie. Das muss nicht so sein, sagen Pflicht-Befürworter, schließlich habe man in Baden-Württemberg bereits Erfahrungen gesammelt, bevor die Versicherungspflicht auch dort vor 30 Jahren aufgehoben wurde.

Arbeitsgruppe soll Empfehlungen geben

Die Bundesregierung erwartet in Kürze Empfehlungen einer Arbeitsgruppe. Eine Sprecherin von Justizminister Marco Buschmann äußerte sich allerdings skeptisch. Auch, weil bei einem Versicherungszwang wohl der Bund für die milliardenschwere Rückversicherung geradestehen müsste. So spielen Justizministerium und FDP-Generalsekretär Djir-Sarai den Ball vorerst wieder an die Länder zurück.

Schon nach der Elbe-Flut 2002 hat eine Arbeitsgruppe über die Einführung einer Pflichtversicherung beraten. Passiert ist seither aber nichts. Debattiert werden soll erneut Mitte Juni im Kanzleramt über das Thema. Dann trifft sich Bundeskanzler Scholz mit den Länderchefs.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. Juni 2024 um 18:29 Uhr.