Nordrhein-Westfalen Warum die Wahl im Westen wichtig ist
Wenn NRW wählt, können die Auswirkungen schon mal bis ins ferne Berlin zu spüren sein. Spannend dürfte es allemal werden. Köpfe, Koalitionen und Königsmacher - alles Wichtige zur Wahl im Überblick.
Nur eine Landtagswahl?
Die Abstimmung in Nordrhein-Westfalen ist die dritte Landtagswahl in diesem ersten Jahr nach der Bundestagswahl. Und doch ist sie ein anderes Kaliber als die Wahlen im Saarland oder Schleswig-Holstein. Was vor allem an den nackten Zahlen liegt: 13 Millionen Menschen dürfen in NRW ihre Stimme abgeben, daher auch die Einordnung als "kleine Bundestagswahl". NRW ist das bevölkerungsreichste Bundesland - und damit eine politische Macht. Wahlen in Nordrhein-Westfalen können politische Beben bis nach Berlin auslösen.
Wie ist die Ausgangslage?
Die Wahl bietet durchaus Spannungspotenzial, nicht nur für Politik-Nerds. Zwei Männer wollen den Spitzenjob in Düsseldorf, keiner von beiden konnte sich in den Umfragen vor der Wahl entscheidend absetzen - und am Ende könnten ohnehin ganz andere Personen die Hauptrolle spielen. Derzeit sind 199 Abgeordnete und fünf Fraktionen im Landtag vertreten. Eine CDU/FDP-Koalition löste vor fünf Jahren die rot-grüne Koalition ab. Schwarz-Gelb regiert seitdem relativ stabil, obwohl sie nur eine Mehrheit von einer Stimme hat. Auch der CDU-interne Wechsel im Ministerpräsidentenamt vor gut einem halben Jahr verlief ziemlich reibungslos. Hendrik Wüst übernahm das Amt von Armin Laschet, der nach seiner gescheiterten Kanzlerkandidatur in den Bundestag nach Berlin wechselte. Wüst war zuvor Verkehrsminister im Kabinett Laschet.
Nun muss sich der Kurzzeit-Ministerpräsident erstmals einer Landtagswahl stellen und will die Macht am Rhein für die CDU verteidigen. Sein Bekanntheitsgrad im Land ist nicht überragend, das verbindet ihn mit SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty. Schon deshalb ist die Ausgangslage dieser Wahl anders als etwa im Saarland oder in Schleswig-Holstein.
Wird es in NRW das erwartete knappe Rennen, könnte eine Schlüsselrolle den Grünen oder der FDP zukommen. Die Grünen steuern nach ihrem enttäuschenden Abschneiden 2017 nun wieder auf ein Spitzenergebnis zu. Dagegen muss die FDP nach einem zweistelligen Ergebnis 2017 nun vermutlich wieder kleiner planen. Die Spitzenkandidaten von CDU, SPD, Grünen und FDP halten sich alle Koalitionsoptionen offen und schließen nichts kategorisch aus - außer eine Zusammenarbeit mit der AfD. Die liegt wiederum seit ihrem Einzug in das Fünf-Parteien-Parlament 2017 stets stabil über der Fünf-Prozent-Hürde. Anders als die Linkspartei.
Wer sind die Hauptpersonen?
Hendrik Wüst von der CDU und Thomas Kutschaty von der SPD heißen die beiden Spitzenkandidaten, die NRW in den nächsten fünf Jahren regieren wollen. Amtsinhaber Wüst blickt trotz seiner erst 46 Jahre schon auf eine abwechslungsreiche Politik-Karriere zurück. 2006 wurde der aufstrebende Münsterländer Generalsekretär der NRW-CDU. Als solcher tat er sich durch schneidiges Auftreten und markige Sprüche gegen die SPD hervor und profilierte sich als stramm konservativer Politiker. Als 2010 bekannt wurde, dass die Landes-CDU käufliche Einzeltermine mit dem damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers anbot - besser bekannt als "Rent-a-Rütgers"-Affäre - übernahm Wüst die politische Verantwortung und trat zurück. Es wurde dann etwas stiller um ihn, bis Laschet ihn 2017 als Verkehrsminister in sein Kabinett holte.
Auch SPD-Herausforderer Kutschaty hat Regierungserfahrung - der 53-Jährige war einst Justizminister in der rot-grünen Koalition unter der Führung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Nach der Abwahl der SPD in NRW 2017 setzte sich der Rechtsanwalt gegen Widerstände zunächst als Fraktionschef durch und später als Chef der NRW-SPD. Inzwischen ist Kutschaty die unangefochtene Führungsfigur der Landespartei. Als Vizechef der Bundes-SPD soll der dreifache Familienvater auch überregional bekannter werden.
Die FDP geht mit Joachim Stamp in die Wahl. Seit 2017 ist der promovierte Politologe stellvertretender Regierungschef in der schwarz-gelben Koalition Nordrhein-Westfalens und Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration. Der 51 Jahre alte Liberale steht für konsequente Abschiebung ausländischer Gefährder ebenso wie für eine Willkommenskultur gegenüber gut integrierten Zuwanderern.
Mona Neubaur ist seit 2014 nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Grünen und die einzige Frau unter den aussichtsreichsten Spitzenkandidaten im Land. Aktives Parteimitglied wurde die gebürtige Bayerin 2005. Von 2010 bis 2014 war sie Geschäftsführerin der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung in Nordrhein-Westfalen. Regierungserfahrung hat sie bislang keine.
Die AfD setzt auf Fraktionschef Markus Wagner. Der 58-Jährige war mal bei der CDU und bei der Schill-Partei, bevor er zur AfD wechselte.
Welche Themen waren wichtig im Wahlkampf?
Nach dem Thema Corona prägte zuletzt der Ukraine-Krieg den Wahlkampf. Energiesicherheit und Kohleausstieg, gestiegene Sprit- und Energiepreise sowie der Klimawandel sind neben der Schulpolitik und bezahlbarem Wohnraum große Themen. Vor dem Hintergrund der Diskussion um Waffenlieferungen an die Ukraine streiten sich CDU und SPD in NRW auch um die Nähe der Parteien zu Kremlchef Wladimir Putin. Angeheizt wurde der Wahlkampf durch die sogenannte Mallorca-Affäre, in deren Folge Umweltministerin Ursula Heinen-Esser Anfang April zurücktrat.
Zuvor war bekannt geworden, dass sich die CDU-Politikerin wenige Tage nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 mit Regierungsmitgliedern auf Mallorca getroffen hatte, um den Geburtstag ihres Mannes zu feiern. FDP und Grüne konzentrieren sich hingegen demonstrativ auf Sachthemen wie Wirtschaftspolitik und Klimaschutz.
NRW wählt - Berlin bebt?
NRW galt einmal als "Stammland der Sozialdemokratie", es wurde als "rote Herzkammer" regelrecht glorifiziert. Sofern das überhaupt jemals zutreffend gewesen war, ist es lange her. Von 1967 bis 2005 regierte die SPD, aber meist in Koalitionen. SPD-Alleinregierungen gab es von 1980 bis 1995 unter Ministerpräsident Johannes Rau.
Als die SPD mit Peer Steinbrück im Mai 2005 die Landtagswahl verlor, kam es noch am Wahlabend zu einem ungewöhnlichen Schritt im fernen Berlin: Bundeskanzler Gerhard Schröder verlangte eine vorgezogene Bundestagswahl im Herbst. Begründung: Durch das "bittere Wahlergebnis" von Nordrhein-Westfalen sei die Grundlage für die Fortsetzung der bisherigen Arbeit der rot-grünen Koalition in Frage gestellt.
Deshalb betrachte ich es als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland als meine Pflicht und meine Verantwortung, darauf hinzuwirken, dass der Herr Bundespräsident von den Möglichkeiten des Grundgesetzes Gebrauch machen kann, um so rasch wie möglich, also realistischerweise für den Herbst dieses Jahres, Neuwahlen zum Deutschen Bundestag herbeizuführen.
Schröder nutzte einen verfassungsrechtlich umstrittenen Kniff, den 1982 auch Helmut Kohl benutzte: eine Vertrauensfrage im Bundestag, bei der ihn seine Koalition absichtlich durchfallen lässt. Am 1. Juli 2005 scheiterte Schröder wunschgemäß, der Bundestagswahlkampf begann. CDU-Kanzlerkandidatin wurde übrigens Parteichefin Angela Merkel.
Wie blickt die Bundespolitik im Jahr 2022 nach NRW?
Nervös. Vor allem für CDU und SPD geht es um viel. Denn es ist eben nicht egal, wer in Nordrhein-Westfalen regiert. Sollte die CDU in Nordrhein-Westfalen abgewählt werden, würden die Unionsparteien absehbar nur noch fünf von 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten stellen, wohingegen die SPD mit einem Regierungschef in Nordrhein-Westfalen insgesamt neun Landesregierungen anführen würde.
Verliert die SPD, könnte dies nach der Schleswig-Holstein-Niederlage auch eine Bestätigung eines Abwärtstrends sein. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dies wohl auch mit der Politik von Kanzler Olaf Scholz in Verbindung gebracht wird. Die Union könnte hingegen mit einem Sieg den Schwung aus Kiel mitnehmen - und auch in der Opposition selbstbewusster Druck ausüben. Gleichzeitig könnte paradoxerweise ein Wahlsieg Parteichef Friedrich Merz langfristig schwächen. Mit Günther und Wüst wären ausgerechnet zwei potenzielle innerparteiliche Konkurrenten mit einem liberaleren Kurs erfolgreich gewesen.
Die Grünen rechnen nach dem guten Abschneiden in Schleswig-Holstein auch in NRW mit einem weiteren Erfolg. Damit dürfte auch das Selbstbewusstsein der Grünen in Berlin weiter wachsen - und ihre Position innerhalb des Ampel-Machtgefüges stärken. Die FDP, der kleinste Berliner Ampel-Partner, muss hingegen erwarten, nach Schleswig-Holstein auch in NRW geschrumpft aus der Regierungsverantwortung zu gehen. Das kann der Partei um Christian Lindner nicht gefallen.
Für die AfD könnte es hingegen noch um viel mehr gehen: Schafft sie auch in NRW die Fünf-Prozent-Hürde nicht, dürfte dies auf Bundesebene die Unruhe und Flügelkämpfe in der Partei weiter anheizen. Derzeit liegt sie in Umfragen allerdings bei recht komfortablen acht Prozent.
Die Linkspartei dürfte weiter Richtung Niedergang taumeln. Die Umfragen vor der Wahl deuten nicht darauf hin, dass ihr der Sprung in den Landtag in Düsseldorf gelingt, den sie vor fünf Jahren nur knapp verpasst hatte.
Wie könnte es am 16. Mai weitergehen?
Geht es nach den Umfragen, dürfte es am Sonntag knapp werden. Die ARD-Vorwahlumfrage sieht die CDU bei 30 Prozent, die SPD liegt knapp dahinter bei 28 Prozent. Dahinter: die Grünen mit 16 Prozent und die FDP mit gut acht Prozent. Allerdings: Dies ist keine Prognose des Wahlausgangs, sondern die Zahlen spiegelten lediglich die politische Stimmung im Land zehn Tage vor der Wahl wider.
Auch die Regierungsbildung verspricht spannende Gespräche. Bisher hat sich keine Partei eindeutig festgelegt - und bisher reicht es auch nicht für eine Fortführung von Schwarz-Gelb.
Möglich, aber kaum wahrscheinlich ist eine Koalition aus CDU und SPD. Für ein schwarz-grünes Bündnis könnte es nach den Umfragen knapp reichen. Für Rot-Grün würde es knapp nicht reichen.
Rechnerisch wahrscheinlicher dürfte ein Dreier-Bündnis werden. Ein Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP ist eine Variante. Und selbst eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist nicht ganz unmöglich. Vize-Ministerpräsident Stamp (FDP) hat sich zwar für eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU ausgesprochen - auch eine Ampel aber nicht ausgeschlossen.
Angesichts dieser Ausgangslage ist nicht ausgeschlossen, dass es am Ende gar nicht entscheidend ist, ob die CDU oder doch die SPD stärkste politische Kraft wird. Sondern wie sich etwaige Königsmacher entscheiden, vor allem wohl die Grünen.