Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihre Hände zur Raute gefaltet.

ARD-Doku Was bleibt aus der Ära Merkel?

Stand: 15.07.2024 12:34 Uhr

Sie hat Geschichte geschrieben: Als erste Frau im Bundeskanzleramt regierte sie 16 Jahre lang. Was bleibt aus ihrer Regierungszeit? Und wer ist der Mensch Angela Merkel wirklich? Ein ARD-Dokumentarfilm versucht eine Annäherung.

Die Politik war Angela Merkel, der gebürtigen Hamburgerin, die im uckermärkischen Templin aufwuchs, nicht in die Wiege gelegt. Pfarrerstochter, Physikerin, keine Widerstandskämpferin, so wird ihre Zeit in der DDR charakterisiert. Mit der Wende erst erwacht in ihr die Lust am Politischen, daran, etwas zu bewegen. Da ist sie bereits Mitte Dreißig.

Sie tritt in den Demokratischen Aufbruch ein, eine kleinere Bürgerbewegung, die dann später in der CDU aufgeht. Dort wird Bundeskanzler Helmut Kohl aufmerksam auf die so unscheinbar wirkende junge Frau, macht sie schon 1990 zur Ministerin im ersten gesamtdeutschen Kabinett. Eine Blitzkarriere.

Die bringt Angela Merkel den Spitznamen "Kohls Mädchen" ein. Sie gilt als "Doppelquote": Frau und Ossi. Angela Merkel wird lange brauchen, um sich von diesem Image zu befreien.

Andererseits wird es eines ihrer Erfolgsgeheimnisse, so sieht es Thomas de Maizière, ihr jahrelanger politischer Wegbegleiter. Sie wird von vielen unterschätzt. Nicht zuletzt von den männlichen Politikern ihrer eigenen Partei. Die nehmen sie nicht ernst. Selbst als sie nach der Spendenaffäre der CDU mit zum Sturz von Helmut Kohl beiträgt und Parteivorsitzende wird, glauben sie noch, das sei nur vorläufig. Sie irren nachhaltig.

Ein weiteres prominentes Beispiel männlicher Arroganz wird in der Doku auch vorgeführt. Gerhard Schröder, ihr Vorgänger als Bundeskanzler, der nach der Bundestagswahl 2005, die Merkels Union knapp gewonnen hatte, hämisch fragte: "Glauben Sie wirklich, meine Partei tritt in eine Regierung ein, die von Frau Merkel geführt wird?" Bekanntlich tat seine Partei genau das, gleich dreimal war Angela Merkel Kanzlerin in einer Großen Koalition. Nur Gerhard Schröder war weg.

Bundeskanzler Gerhard Schröder und Unions-Spitzenkandidatin Angela Merkel in der Berliner Runde nach der Bundestagswahl 2005

Am Abend des 12. September 2005 erklärte sich Gerhard Schröder zum eigentlichen Sieger der Bundestagswahl, obwohl seine rot-grüne Koalition soeben die Mehrheit verloren hatte.

Pragmatismus als Politstrategie

Merkels Regierungsstil als Kanzlerin wird oft als pragmatisch beschrieben. Sie selbst formulierte es so: "Ich sehne mich nach dem Machbaren. Erst nachdenken und beraten, danach erst entscheiden." Das Moderierende, Pragmatische ermöglicht es ihr, Deutschland durch zahlreiche Krisen zu führen: Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Migrationskrise, Coronakrise. Zu ihren Regierungszeiten scheint es, als würde das Land alles besser bewältigen als andere.

Doch heute regen sich Zweifel. Die Publizistin Marina Weisband sagt dazu: "Merkel hat die Krisen nur verwaltet, sie hat nicht hindurchgeführt." Investitionen in die Zukunft seien verschleppt worden, weil es keine strategischen Entscheidungen gab, die kurzfristig unbeliebt gewesen wären, aber langfristig genützt hätten. So legt ihr Weisband zur Last, dass Deutschland die Transformation zu mehr Klimaschutz verschlafen habe. 

Für Thomas de Maizière ist Merkel eher eine typische Vertreterin der damals vorherrschenden Stimmung in Deutschland. Bürger wie Wirtschaft hätten lange gut mit den Entscheidungen der Merkel-Regierungen gelebt. Viel mehr Veränderung habe keiner gewollt. Merkel sei nun mal Pragmatikerin und keine Visionärin. Und natürlich wollte sie wiedergewählt werden.

Entscheidungen, die sie überraschend gefällt habe, würden ihr bis heute vorgeworfen: der Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe in Japan 2011 und dass sie 2015 die Grenzen für Geflüchtete, die aus Ungarn nach Deutschland kamen, geöffnet ließ.

 

Die Spaltung der Gesellschaft

Ihr Satz "Wir schaffen das" spaltet noch immer die Gemüter. Da gibt es die einen - vor allem aus anderen politischen Lagern - die sie für ihre frühe Politik im Umgang mit Geflüchteten schätzen. Ihre Mitmenschlichkeit betonen. Und es gibt die anderen, für die dieses "Wir schaffen das" eine Zumutung war. Sie habe die Ängste der Menschen nicht ernst genommen, erklärt der Youtuber LeFloyd dazu im Interview. Sie habe viele Menschen überfordert. 

Diese Überforderung ist für viele auch ein Teil der Erklärung dafür, dass sich in den 16 Jahren Merkel-Regierung starke politische Kräfte im extremen rechten Spektrum etablieren konnten. Erst Pegida, dann AfD. Gerade in ihrer eigenen Partei gibt es noch eine andere Begründung für den Siegeszug der AfD: Merkel habe die CDU zu weit in die Mitte geführt, zu viel Platz am rechten Rand gelassen.

In einem sind sich alle einig: Eine Konservative war sie nie. Aber sonst ist nicht ganz klar, wofür Angela Merkel inhaltlich stand. Ihre Politik des Machbaren war oft eher unideologisch.

Das machte sie andererseits aber auch zu einer gefragten Krisenmanagerin auf internationalem Parkett. Ihre meist männlichen Amtskollegen schätzten und fürchteten die Nachtsitzungen mit "Angela", in denen sie auch in festgefahrenen Situationen zu Kompromissen fand, die alle ohne Gesichtsverlust offiziell mittragen konnten.

Versäumnisse in der Russlandpolitik

Nur an einem prallte der Merkelsche Konsenswille ab: Russlands Präsident Wladimir Putin verfolgte immer nur seine Agenda. Anfangs war noch ein Bemühen zu spüren - von beiden Seiten. Aber schnell war klar, dass man sich gegenseitig nicht mag. Putin verhandelte zwar, aber machte dann doch, was ihm opportun schien.

So wurde Angela Merkel weltweit zum Beispiel für die Friedensverhandlungen zu den Separatistengebieten in der Ostukraine 2015 gelobt. Doch das Ergebnis war ernüchternd. Der Waffenstillstand hielt nicht einmal 48 Stunden. 

Marina Weisband, gebürtige Ukrainerin, wirft Angela Merkel vor, mit solchen unwirksamen Verträgen Putin gestärkt zu haben. Der Ukraine habe das alles eher geschadet, weil sie zwar Zeit vor dem schon damals drohenden Krieg gewonnen habe, aber niemand diese Zeit zur materiellen Unterstützung des Landes genutzt habe. Auch Merkel und Deutschland hätten mehr militärische Hilfe vor dem Angriff Russlands leisten müssen.

Warum das nicht geschah, ist für Weisband klar: Deutschland und somit Merkel wollten Putin nicht verärgern. Zu wichtig war ihnen die Versorgung mit preiswerten russischen Rohstoffen, vor allem Öl und Gas. Die Interessen der Wirtschaft hätten über die Interessen politischer Vernunft und internationalen Völkerrechts gesiegt. Mit dramatischen Folgen.

Im Übrigen auch für die deutsche Wirtschaft: Billiges Öl und Gas verzögerten den Ausbau erneuerbarer Energien zu Lasten des Klimas, betont Weisband.

Was also bleibt von der "ewigen Kanzlerin"? Die Bilanz ist durchwachsen. Es gibt Lob und Kritik - je nach Thema und je nachdem, wer gefragt wird.

"Merkel - Schicksalsjahre einer Kanzlerin" sehen Sie heute um 22.30 Uhr in der ARD und schon jetzt in der ARD-Mediathek.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 15. Juli 2024 um 22:30 Uhr.