Merz lobt Lindner-Wirtschaftspapier "Zum Teil wörtlich aus Unionsanträgen übernommen"
Bei den Koalitionspartnern SPD und Grünen ist die Begeisterung über das Lindner-Papier - vorsichtig gesagt - schwach ausgeprägt. In der Union sieht das anders aus: CDU-Chef Merz entdeckt darin quasi Kopien eigener Vorschläge.
CDU-Chef Friedrich Merz sieht große Schnittmengen zwischen den wirtschaftspolitischen Vorstellungen von FDP und Union. Vorschläge in dem jüngsten Grundsatzpapier von FDP-Chef Christian Lindner seien zum Teil wörtlich aus Anträgen übernommen, die die Unionsfraktion in den vergangenen zwei Jahren in den Bundestag eingebracht habe, schreibt der CDU-Kanzlerkandidat in seinem E-Mail-Newsletter "MerzMail".
"Über Einzelheiten mag man diskutieren, aber die Vorschläge gehen in die richtige Richtung. Sie sind insgesamt auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft ausgerichtet", so Merz, der auch Chef der Unionsfraktion im Bundestag ist. Zur Rettung von Unternehmen und Arbeitsplätzen müsse mehr geschehen als ein immer heftigerer Koalitionsstreit über die Wirtschaftspolitik.
"Ein mutiges Papier"
In dem Grundsatzpapier fordert der FDP-Chef eine "Wirtschaftswende" mit einer "teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen", um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden. Konkret ist von einem sofortigen Moratorium zum Stopp aller neuen Regulierungen die Rede. Weiter heißt es, als Sofortmaßnahme sollte der Solidaritätszuschlag für alle entfallen, und nationale Klimaziele müssten durch europäische ersetzt werden. Die Forderungen Lindners widersprechen zum Teil dem, was SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag verabredet hatten.
"Der Finanzminister hat ein mutiges Papier vorgelegt, das die desaströse Lage unserer Wirtschaft schonungslos analysiert und grundsätzlich die richtigen angebotspolitischen Antworten gibt", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, der Nachrichtenagentur dpa. Allerdings seien Lindners Vorschläge "das glatte Gegenteil von dem, was die Ampel seit drei Jahren macht" und nicht in Einklang zu bringen mit den "schuldenfinanzierten Staatsfonds-Ideen" von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Vielmehr sei Lindners nun bekannt gewordenes Papier eine "Kampfansage an die Grünen".
Lindner beklagt "Indiskretion"
Auch Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg findet viele Vorschläge aus dem Lindner-Papier gut. Sinnvoll seien "der Bürokratie-Stopp, die Senkung der Unternehmenssteuern, der Umbau der Förderung der erneuerbaren Energien, weitgehendere Speicherung von Klimagasen durch CCS, eine grundlegende Reform des Bürgergelds" sowie eine Begrenzung des Anstiegs der Sozialversicherungsbeiträge, sagte er der dpa am Freitag. Eine neue Regierung werde diese Punkte angehen müssen.
Lindner selbst hatte beklagt, das Papier sei über eine Indiskretion öffentlich geworden. Es hätte zunächst nur im engsten Kreis der Bundesregierung beraten werden sollen, schrieb er laut Medienberichten in einer E-Mail an Parteifreunde.
Krisensitzungen mit Scholz, Habeck und Lindner
Die Reibereien der Ampelparteien und die öffentlichen Alleingänge seiner Minister haben jetzt auch offenbar Kanzler Scholz dazu bewogen, zu intervenieren. Nach Informationen aus Regierungskreisen will er sich in den kommenden Tagen gleich mehrfach mit Lindner und Habeck treffen. Zwei bis drei Mal sollen diese Sechs-Augen-Gespräche stattfinden, bevor am Mittwochabend der Koalitionsausschuss zusammenkommt.
Im Koalitionsausschuss treffen sich die Spitzenvertreter der Ampel aus Regierung, Parteizentralen und Fraktionen. Dabei wird es um die beiden großen Streitfragen in der Koalition gehen: Wie kann man das Milliardenloch im Bundeshaushalt bis zur entscheidenden Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Bundestags am 14. November stopfen? Und auf welche Strategie kann man sich verständigen, um die Wirtschaftskrise in Deutschland zu bekämpfen? Beide Fragen gelten als mögliche Bruchstellen der Koalition.
Das Ziel des Kanzlers sei es, noch "vor der Zusammenkunft am Mittwoch Klarheit darüber zu schaffen, dass die Ampel weiterhin zusammenbleibt", schreibt der Spiegel.
Kritik von den Koalitionspartnern
Aus der Ampel hatte es in den vergangenen Tagen viel Kritik an dem Papier gegeben. SPD-Chef Lars Klingbeil signalisierte allerdings Gesprächsbereitschaft. "Vorschläge sind immer willkommen", sagte er der Augsburger Allgemeinen. Allerdings widersprächen einige Ideen aus dem Papier SPD-Positionen: "Zum Beispiel Reichen mehr zu geben, die Arbeitnehmer länger arbeiten zu lassen und sie später in Rente zu schicken." Klingbeil ergänzte: "Es wird niemanden überraschen, dass wir das für den falschen Weg halten."
Klingbeil kritisierte zugleich Spekulationen über einen Bruch der Ampelkoalition. Das nerve die Menschen und ihn auch. Viele Menschen hätten wirtschaftliche Sorgen oder sähen sogar ihren Arbeitsplatz gefährdet. Sie wollten eine Regierung, "die sich nicht jeden Tag um sich selbst dreht, sondern die alles dafür tut, um diese Arbeitsplätze zu retten".