Trauer nach dem Anschlag in Solingen.

Nach Anschlag in Solingen In der Asylpolitik verschärft sich der Ton

Stand: 25.08.2024 22:37 Uhr

Abschieben, Aufnahmestopp, Grenzpolizei: Nach dem Anschlag in Solingen verschärft sich der Ton in der Asyl- und Migrationspolitik - auch vor dem Hintergrund der Landtagswahlen in einer Woche. Im Fokus außerdem: ein Messerverbot.

Drei Menschen sind tot, acht weitere verletzt. Als Tatverdächtiger gilt ein junger Mann aus Syrien, dessen Abschiebung 2023 gescheitert ist. Der Messer-Anschlag in Solingen von Freitagabend hat eine breite Debatte über einen härteren Kurs in der Asylpolitik und ein schärferes Waffenrecht ausgelöst. Dies alles vor dem Hintergrund der beiden wichtigen Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen in einer Woche.

Merz: "Naive Einwanderungspolitik"

"Es reicht", sagte CDU-Chef Friedrich Merz im ARD-Brennpunkt an Kanzler Olaf Scholz und seine Ampelregierung gerichtet, der er indirekt eine "naive Einwanderungspolitik" vorwarf. Neben der Forderung nach Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan erneuerte Merz auch seine Forderung nach einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus diesen Ländern - ohne jedoch zu erklären, wie das rechtlich umsetzbar wäre.

Seine zugespitzten Formulierungen, die er zuvor bereits in in seinem E-Mail-Newsletter gemacht hatte, seien "richtig und notwendig", sagte er im Brennpunkt auf die Frage ob solche Formulieren vor Landtagswahlen, bei denen Extremisten historische Ergebnisse einfahren könnten, klug und richtig seien. "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo gehandelt werden muss und nicht weiter ritualhafte Reden gehalten werden müssen", so Merz. Am Ende zählten gesetzliche Änderungen und die müssten jetzt auf den Weg gebracht werden. Mit den Landtagswahlen hätten seine Äußerungen nichts zu tun.

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender, über eine Verschärfung der Migrationspolitik

"Zeitlich unbegrenzte Abschiebegewahrsam"

Weiter forderte der CDU-Vorsitzende dauerhafte Kontrollen und konsequente Zurückweisungen an den deutschen Grenzen sowie die Beachtung der sogenannten Dublin-Regeln. Diesen zufolge ist in der Regel jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, wo der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat. Merz will zudem das Aufenthaltsrecht ändern und "jeden ausreisepflichtigen Straftäter in zeitlich unbegrenzten Abschiebegewahrsam" nehmen.

Der tatverdächtige Syrer hätte nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, er tauchte jedoch eine Zeit lang unter, so dass die Abschiebung scheiterte. Als Straftäter trat er vor Freitag nicht in Erscheinung. Merz räumte ein, dass mit seinen Vorschlägen die Tat von Solingen vermutlich kaum hätte verhindert werden können. "Lösen wir es bitte von diesem Einzelfall", so Merz. "Wir haben Leute hier in Deutschland, die wir nicht haben wollen. Und wir müssen dafür sorgen, dass nicht noch mehr kommen."

AfD-Chefin Alice Weidel schrieb auf der Plattform X, das Problem müsse "an den Wurzeln gepackt werden". Nötig sei eine "Migrationswende sofort".

Scholz und die SPD für Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan

Kanzler Scholz hatte bereits im Juni nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen. Die Grünen hatten sich hier skeptisch gezeigt.

Jetzt stellte Vizekanzler und Grünen-Politiker Robert Habeck klar: "Für Mörder, Terroristen und Islamisten kann es keine Toleranz geben." Handle es sich etwa um Asylsuchende, hätten diese damit in Deutschland "den Schutzanspruch verloren".

SPD-Chefin Saskia Esken bekräftigte die SPD-Position in dieser Frage: "Was jetzt erfolgen muss, ist die konsequente Abschiebung von Straftätern und islamistischen Gefährdern auch nach Syrien und Afghanistan", sagte sie der Rheinischen Post. Fraktionsvize Dirk Wiese lehnte jedoch Merz' Forderung ab, generell keine Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan mehr aufzunehmen. Viele seien gerade vor dem IS zum Beispiel aus Syrien geflohen, sagte der SPD-Innenpolitiker dem Tagesspiegel. Es sei weiter richtig, Menschen, die tatsächlich Schutz bedürfen, diesen auch zu gewähren.

Mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden?

In der politischen Debatte um die richtigen Konsequenzen nach Solingen ging es schnell auch um die Befugnisse der Sicherheitsbehörden. Es werde intensiv darüber beraten, "welche Instrumente wir zur Bekämpfung von Terror und Gewalt weiter schärfen müssen und welche Befugnisse unsere Sicherheitsbehörden in diesen Zeiten brauchen, um unsere Bevölkerung bestmöglich zu schützen", sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Auch der Bundespräsident schaltete sich ein. Zu einem besseren Schutz vor Angriffen "gehört auch, dass die Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet werden", sagte Frank-Walter Steinmeier im ZDF-Sommerinterview. Steinmeier forderte mehr Personal für die Sicherheitsbehörden. Bei terroristischer Gefahr sei aber auch eine Ausweitung der Befugnisse etwa des Bundeskriminalamts denkbar. Über ein entsprechendes Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung müsse jetzt beschleunigt beraten werden. Dass sich der Bundespräsident in eine innenpolitische Debatte so deutlich einbringt, ist eher selten.

CSU-Chef Markus Söder plädierte für anlasslose Kontrollen auch in Fußgängerzonen. "Beim Auto werden Sie nämlich kontrolliert, anlasslos geht das. Bei Fußgängerzonen nicht", sagte Söder im ARD-Sommerinterview. Wir müssen der Polizei mehr Möglichkeiten geben, Kontrollen durchzuführen", verlangte er.

Beratungen über schärferes Waffenrecht

In einer offenen Gesellschaft wie der unseren gebe es keine absolute Sicherheit, erinnerte SPD-Chefin Esken. Und so stellt sich bei allen Forderungen und Vorschlägen die Frage, was den Anschlag von Solingen wirklich hätte verhindern können - und was auch umsetzbar ist.

Beispiel: Waffenrecht. Schon lange will Innenministerin Faeser das Waffenrecht verschärfen und ganz konkret das Tragen von bestimmten Messern in der Öffentlichkeit verbieten. Ihre SPD und die Grünen hat sie dabei hinter sich. Die FDP lehnte das Vorhaben jedoch bislang als "Symbolpolitik" ab, deutet nun aber ein Umdenken an. Laut Bundesjustizminister Marco Buschmann wolle man nun in der Bundesregierung darüber beraten, "wie wir den Kampf gegen diese Art der Messer-Kriminalität weiter voranbringen".

Tatwaffe ein Messer mit einer Klinge von 15 Zentimetern

Nach den Plänen von Faeser sollen Messer in der Öffentlichkeit nur noch bis zu einer Klingenlänge von sechs Zentimetern statt bisher zwölf Zentimetern mitgeführt werden dürfen. Für gefährliche Springmesser soll es ein generelles Umgangsverbot geben. Nach Angaben von NRW-Innenminister Herbert Reul hatte das mutmaßliche Tatmesser von Solingen eine Klinge von 15 Zentimetern.

Schon jetzt können die Länder weitreichende Verbotszonen für Messer an öffentlichen Plätzen und im öffentlichen Personennahverkehr einrichten. Ein Hauptproblem bei möglichen schärferen Regeln zum Mitführen von Messern ist aber deren Umsetzbarkeit, wie etwa die Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden zur Kontrolle im öffentlichen Raum.

Differenzierte Debatte nötig

Polizeigewerkschaften begrüßen die Pläne zwar, sie fordern aber ein Verbot aller Messer. Und der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) mahnte eine differenzierte Debatte an. Es müsse bei der Bekämpfung von Messergewalt unterschieden werden zwischen gezielten Angriffen und Affekttaten, sagte BDK-Bundeschef Dirk Peglow dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Der Täter in Solingen hätte sich von Messerverbotszonen und von einem generellen Messerverbot nicht aufhalten lassen. Er hat den bisherigen Erkenntnissen zufolge gewusst, was er tut", fügte der Polizeigewerkschafter hinzu.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Reul forderte einen Fokus auf die Täter. Um bei dem Thema Messergewalt weiterzukommen, reiche es seiner Meinung nicht aus, sich nur mit dem Tatmittel zu beschäftigen, sagte der CDU-Politiker am Samstagabend in den tagesthemen. "Wir müssen uns viel mehr mit den Tätern beschäftigen und fragen: Wer ist warum mit diesem Messer unterwegs?" In seinem Bundesland werde schon seit geraumer Zeit versucht, die Taten genauer zu analysieren, um von "pauschalen Debatten" wegzukommen.