Baugerüst an einem Haus mit Photovoltaik-Anlage
mittendrin

Saerbeck im Münsterland Wie eine kleine Kommune klimaneutral werden will

Stand: 18.11.2024 15:48 Uhr

Ein kleiner Ort in der Nähe von Münster hat ein ambitioniertes Ziel: 2030 unabhängig und klimaneutral sein. Dafür müssen die 7.000 Einwohner an einem Strang ziehen. Gelingt es ihnen?

Martin Sammler macht direkt auf die Dächer Saerbecks aufmerksam. Der Klimamanager einer Kleinstadt im Münsterland ist stolz, dass sie erst vor Kurzem das 1.000. Solarpanel installiert haben - bei gerade mal 2.000 Haushalten. "Wir fokussieren uns hier auf Lösungen, auf wirklich konkrete Projekte", erklärt der 34-Jährige.

Er war bereits als Praktikant in Saerbeck im Münsterland. Heute ist er verantwortlich für alle Klimaprojekte der 7.000-Einwohner-Stadt. "Unser Fokus hier liegt nicht darauf, die Leute dauerhaft aufzuklären, wie dramatisch die Klimakrise wirklich ist", erzählt er. "Sondern wie wir gemeinsam daran arbeiten können, dass wir unseren Teil zur Verbesserung beitragen."

Energiekommune seit mehr als zehn Jahren

Dafür will er verschiedene Stationen in der selbsternannten Energiekommune zeigen. Alles begann hier mit einem Wettbewerb, bei dem sie eine Million Euro Fördergelder gewonnen haben.

Im März 2009 haben sie zusammen mit der Stadt Bocholt den Wettbewerb "Aktion Klimaplus - NRW-Klimakommune der Zukunft" des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums gewonnen. Der Grundstein für viele Klima- und Energieprojekte in Saerbeck. An außerschulischen Lernstandorten, die zum Teil von Bund oder Land gefördert werden, können Saerbecker zum Beispiel alles über erneuerbare Energien lernen.

Mitten im malerischen Ort steht das Gebäude - direkt neben der Maximilian Kolbe Gesamtschule. Regelmäßig ist der gelernte Energieingenieur Sammler dort mit Schülern und Lehrern im Gespräch. Im Oberstufenkurs Nachhaltigkeit und Energiewende lernen Schülerinnen und Schülern viel zu Chancen und Herausforderungen.

Fragen, die sich die Schülerinnen und Schüler im Kurs gestellt haben: Wie kann man sich Klimaschutz leisten, was kann man als Einzelner tun? In Projektarbeit haben sie sich über Wochen die Auswirkungen von verschiedenen Faktoren auf das Klima angesehen - von Flugverkehr über Nahrung bis hin zur Wärmepumpe.

Schüler als Multiplikatoren

Bei einer Diskussion berichten viele darüber, sich nach dem Kurs besser auf die Zukunft vorbereitet zu sehen, wie Schüler Jamie Nixdorf: "Ich würde sagen, dass es vielen so geht, wie es mir vorher ging, dass man sich mit dem Thema wirklich überfordert fühlt." Es gebe zu viele Probleme auf einmal. Und man wisse nicht so recht, was man verbessern könne, berichtet er.

Sein Mitschüler Marvin Horstmann ergänzt: "Ich kann mir auch vorstellen, dass vor allem viele ältere Bürger mit der Situation, klimaneutral zu werden, überlastet sind. Und da würde ich mir von der Politik mehr Kommunikation wünschen."

Klimamanager Sammler sitzt am Rand und lauscht den Vorträgen und der Diskussion. Er hofft, dass durch die vielen Erkenntnisse auch junge Menschen mehr für Klimaschutz begeistert werden und sie das hier Gerlernte in Familien- und Freundeskreise weitertragen. Und dass so noch mehr Menschen Lust bekommen bei der Klimakommune Saerbeck mitzumachen.

Wie die Familie, die der Klimamanager nach dem Kurs besucht: Die Mersmanns haben sich vor einiger Zeit ein Eigenheim gekauft und auch eine Solaranlage auf das Dach bauen lassen. Andreas und Melanie Mersmann sind davon überzeugt, ihren Beitrag in Sachen Klimaschutz leisten zu wollen. Auch wenn sie wissen, dass das seinen Preis hat.

Sie haben in eine eigene Wärmepumpe und eine eigene Solaranlage investiert. Investitionen, auf die sie hinsparen mussten, erzählen sie, die teilweise aber auch vom Staat gefördert werden. Sie meinen, dass sie als Einwohner einer ländlichen Kleinstadt aber auch einen Vorteil haben: "Auf dem Land ist es vielleicht auch einfacher seine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach anzubringen", erklärt Familienvater Andreas Mersmann. "Dafür hat man in der Stadt eher mal den Vorteil, dass der Bus alle zehn Minuten kommt."

Vier Mal so viel Strom

Doch noch lange nicht alle Familien und Haushalte in Saerbeck sind Teil der Klima-Gemeinschaft. Auch wenn die meisten wohl von dem Bioenergiepark wissen, der vor Saerbecks Toren erbaut wurde: Auf einem ehemaligen Munitionsdepot stehen Zehntausende Solarpanele. Dazu noch ein paar Windkraftanlagen. Aus der Kombination verschiedener Technologien wird hier regenerativer Strom gewonnen.

Der Bioenergiepark dient auch als Lernort und Demonstrationsanlage für erneuerbare Energien. Auch Forschungsprojekte werden hier durchgeführt und neue Technologien entwickelt.

Vier Mal so viel Strom, wie Saerbeck selbst braucht, wird hier produziert, berichtet der parteilose Bürgermeister Tobias Lehberg. "Das Entscheidende für mich bei der Klimakommune ist nicht, wie viel Strom kann man jetzt hier produzieren. Da kommt es auf Megawatt nicht an", so Lehberg. "Das Entscheidende ist für mich, dass die Klimawende nach meiner Überzeugung an zwei Orten stattfinden muss - in den Köpfen und in den Kommunen."

Die Gemeinde Saerbeck legt großen Wert auf die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Sie werden in Entscheidungsprozesse eingebunden, können eigene Projekte initiieren und tragen so aktiv zur Energiewende bei.

An einem Strang ziehen

Genau deshalb sind Bürgermeister Lehberg und Klimamanager Sammler optimistisch - denn als Gemeinschaft erleben sie nun schon seit einigen Jahren, dass viel möglich ist. Ob nun eben durch die Schule oder Familien wie die Mersmanns, die berichten, dass es leichter ist, zu wissen: Da ziehen jetzt einige aus der ganzen Kleinstadt an einem Strang und nicht eben nur sie als kleine Familie. Das ermutige, sich mehr mit Klimaschutz zu beschäftigen.

Martin Sammler fordert daher auch von anderen Teilen der Gesellschaft: "Schließt euch immer weiter zusammen. Soziale Netzwerke sind das eine, aber das vor Ort zusammentreffen und gemeinsam in die Zukunft blicken, das ist, glaube ich, das, was einen wirklich bewegt."