Kanzler stellt Vertrauensfrage ++ Heftiger Schlagabtausch im Bundestag ++
Vor der Vertrauensabstimmung haben sich Kanzler Scholz, Oppositionschef Merz, Vizekanzler Habeck und FDP-Chef Lindner im Bundestag gegenseitig schwere Vorwürfe gemacht. Verfolgen Sie hier die Entwicklungen im Liveblog.
- Lindner: Ampel fand keine Antworten
- Habeck: Neue Regierung wird es nicht einfacher haben
- Merz spricht von "Tag der Erleichterung"
- Scholz: "Sittliche Reife" für Regierungsbeteiligung nötig
- Sprecher: Regierung bleibt handlungsfähig
- So soll der Tag ablaufen
- Vertrauensfrage - wie geht das?
- Grüne werden sich wohl enthalten
Vertrauensabstimmung im Livestream
Noch reden die Abgeordneten, später wird über die Vertrauensfrage von Kanzler Olaf Scholz abgestimmt - der Tag im Bundestag im Livestream.
AfD-Chefin Alice Weidel hat Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeworfen, Deutschland herunterzuwirtschaften. Er habe das Sozialsystem überspannt und den Bürgern Kaufkraft und Wohlstand geraubt.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) fehlende Selbstkritik nach dem Scheitern seiner Ampel-Koalition vorgehalten. Es sei geradezu grotesk, dass Scholz sich erneut zur Wahl stelle. Wer eine Koalition nicht zusammenhalten könne, könne auch das Land nicht zusammenhalten, sagte Dobrindt.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich fürchtet, dass deutsche Kanzler im Bundestag künftig häufiger die Vertrauensfrage stellen müssen. Die einzige Chance, das abzuwenden, seien Ernsthaftigkeit und die Fähigkeit zum Kompromiss, sagte Mützenich. "Beides sind gegenwärtig knappe Güter hier." Er warnte, im Parlament machten sich Leichtsinn und Heuchelei breit. Dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz hielt Mützenich Engstirnigkeit sowie widersprüchliche und leichtfertige Aussagen vor, etwa zur Lieferung weitreichender Waffen an die Ukraine. So etwas könne man sich als Oppositionsführer vielleicht noch erlauben, "aber nicht, wenn man Regierungschef unseres Landes werden will".
Merz erteilt Habeck Absage für Koalition
CDU-Chef Friedrich Merz hat einer Koalition mit den Grünen von Kanzlerkandidat Robert Habeck eine Absage erteilt. Habeck sei "das Gesicht der Wirtschaftskrise in Deutschland", sagte der Unionskanzlerkandidat vor der Vertrauensabstimmung. Mit seinen Plänen für höhere Steuern und mehr Umverteilung setze Habeck komplett falsche Akzente. "Da kann ich Ihnen nur sagen: gute Reise mit Ihren Vorschlägen", sagte Merz an den Vizekanzler gewandt. "Dann suchen Sie sich mal einen Koalitionspartner, der das mitmacht - wir werden es nicht sein, um es mal ganz klar zu sagen."
In Brüssel weint niemand der Ampel-Regierung eine Träne nach. Die anderen Mitgliedsstaaten und die EU-Institutionen setzen darauf, dass in Berlin schnell wieder stabile Verhältnisse herrschen.
Scholz rechtfertigt Vertrauensfrage
Bundeskanzler Olaf Scholz hat seine Entscheidung, über die Vertrauensfrage den Weg für Neuwahlen zu ebnen, mit einer nötigen Grundsatzentscheidung über den künftigen Kurs Deutschlands gerechtfertigt. In seiner Rede vor der Abstimmung attackierte er zudem die Union und den Ex-Koalitionspartner FDP.
Auch der frühere Finanzminister Lindner trat vor der Vertrauensabstimmung ans Rednerpult. Er sagte, die Ampel habe keine Antworten auf wirtschaftliche Fragen gefunden und deshalb bei der Bevölkerung an Zustimmung verloren. Insbesondere die von Kanzler Olaf Scholz vorgeschlagene Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel sei unnötig, sagte Lindner. Ein solcher Schritt koste Milliarden Euro, sichere oder schaffe aber keinen Arbeitsplatz.
Der AfD-Abgeordnete Jürgen Pohl will Bundeskanzler Olaf Scholz das Vertrauen aussprechen - weil er einen möglichen Kanzler Friedrich Merz ablehnt. "Ich bin hier nicht angetreten, um die AfD in einen gespaltenen Zustand zu versetzen kurz vor der Wahl", sagte Pohl. "Hier steht einfach die Frage des Gewissens, wofür stimme ich, wo sehe ich Gefahren" Pohl warnte davor, mit Merz in einen atomaren Weltkrieg hineinzustolpern. Neben ihm wollten auch die Abgeordneten Christina Baum und Edgar Naujok für den Kanzler stimmen.
Nach den Reden von Kanzler Olaf Scholz und Oppositionsführer Friedrich Merz ist Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck an der Reihe. Er sagte, die Grünen hätten alles dafür getan, dass die Bunderegierung weitermacht - "bis zur Selbstaufgabe". Eine neue Bundesregierung werde es nicht einfacher haben. Er warnte davor, dass es nach der Bundestagswahl Ende Februar noch länger dauern könnte, bevor Deutschland eine neue Regierung haben werde. Deshalb sei es wichtig, dass die amtierende Regierung gewissenhaft weiterarbeiten könne. Es müsse dafür gesorgt werden, dass Deutschland handlungsfähig bleibe.
Oppositionsführer Friedrich Merz hat Bundeskanzler Olaf Scholz eine verfehlte Wirtschaftspolitik vorgeworfen. Deutschland erlebe eine der größten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte, sagte Merz in seiner Rede vor der Vertrauensabstimmung. Es sei bezeichnend, dass in der vorangegangenen Rede des Kanzlers die Formulierung "Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft" nicht ein einziges Mal vorgekommen sei. Stattdessen setze Scholz nur auf Steuererhöhungen und mehr Schulden zu Lasten der kommenden Generationen.
Merz spricht von "Tag der Erleichterung"
Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat den Tag der Vertrauensabstimmung im Bundestag als "Tag der Erleichterung" für Deutschland bezeichnet. Bundeskanzler Olaf Scholz warf er mangelnden Respekt vor. Scholz fordere zwar Respekt ein, bei ihm selbst höre dieser aber auf, "wo es andere politische Meinungen gibt". Denn so wie der Kanzler die FDP und deren Vorsitzenden Christian Lindner adressiert habe, "das ist nicht nur respektlos, sondern es ist eine blanke Unverschämtheit", sagt Merz.
SPD-Chef Lars Klingbeil hat das geplante Ende der Kanzlerschaft von Olaf Scholz bedauert, den Schritt aber als richtig bezeichnet. "Es ist kein Tag, den ich mir gewünscht habe. Aber es ist ein Tag, der notwendig war, um Klarheit zu schaffen, für dieses Land", sagte Klingbeil. Er stehe zu 100 Prozent hinter Scholz' Entscheidung, die Vertrauensfrage zu stellen.
Die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wollen nach eigenen Angaben bei der Vertrauensfrage im Bundestag geschlossen gegen Bundeskanzler Olaf Scholz stimmen. Darüber habe es intern gar keine Debatte gegeben, teilten beide Bundestagsgruppen.
Olaf Scholz hat die Vertrauensfrage mit dem Ziel einer vorgezogenen Neuwahl mit wichtigen politischen Fragen begründet. „Diese Entscheidung ist so grundlegend, dass sie vom Souverän selbst getroffen werden muss, von den Wählerinnen und Wählern“, sagte der Bundeskanzler vor der Abstimmung im Bundestag. Es gehe zum Beispiel darum, ob Deutschland sich traut, kraftvoll in seine Zukunft zu investieren. „Riskieren wir unseren Zusammenhalt und unseren Wohlstand, indem wir längst überfällige Investitionen verschleppen?“
Kanzler Olaf Scholz sagt in Anspielung auf die FDP in seiner Erklärung vor der Vertrauensabstimmung: "Politik ist kein Spiel ... In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife." Wer in eine Regierung eintrete, trage Verantwortung für das ganze Land. Scholz kritisierte eine "wochenlange Sabotage der eigenen Regierung durch die Freien Demokraten".
Kanzler Olaf Scholz hat in seiner Erklärung vor der Vertrauensabstimmung im Bundestag betont, dass diese nicht nur das Parlament betreffe: Er richte Vertrauensfrage an alle Wählerinnen und Wähler, sagte er. Es gehe um die Kernfrage: "Trauen wir uns zu, als starkes Land kraftvoll in unsere Zukunft zu investieren?" Scholz verwies darauf, dass man Investitionen nicht verschleppen dürfe, sowohl die Unterstützung der Ukraine und Investitionen in die Bundeswehr nötig seien, ohne dass dies aber gegen "gute Gesundheit und Pflege, gegen stabile Renten und leistungsfähige Kommunen" aufgerechnet werden dürfe.
Livestream zur Vertrauensfrage
Kanzler Olaf Scholz stellt die Vertrauensfrage - der Livestream aus dem Bundestag.
Wird es Überraschungen geben?
Ist bei der Abstimmung im Bundestag mit Überraschungen zu rechnen? Wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag wirklich auflösen? ARD-Korrespondent Michael Strempel beantwortet wichtige Fragen.
Olaf Scholz stellt nicht als erster Kanzler die Vertrauensfrage. Auch drei seiner Amtsvorgänger mussten diesen Schritt gehen.
Lang zeigt sich erleichtert
Die ehemalige Grünen-Chefin Ricarda Lang blickt erleichtert auf das Ende der Ampel und der davon übrig gebliebenen Regierung. "Ich glaube, dass es gut ist, dass diese Regierung jetzt endet und vor allem, dass wir jetzt nach vorne schauen", sagte sie. Die Vertrauensabstimmung zeige, dass die demokratischen Institutionen funktionierten, "dass es möglich ist, dass Macht abgegeben wird und es danach einen funktionierenden Prozess gibt, wie wir in Neuwahlen gelangen".
Regierungssprecher Steffen Hebestreit spricht von einem einschneidenden Tag für Kanzler Olaf Scholz. Die Bundesregierung bleibe aber ganz normal im Amt und sei handlungsfähig. Ob vor der geplanten Wahl Ende Februar weitere Gesetzespakete im Bundestag noch beschlossen werden könnten, sei unklar. Der Ball liege hier im Feld des Parlaments.
Die FDP-Fraktion will Kanzler Olaf Scholz nicht das Vertrauen aussprechen. Das machte Fraktionschef Christian Dürr deutlich. Deutschland brauche einen Neuanfang, sagt er. Deswegen sei es gut, dass der Weg für Neuwahlen freigemacht werde.
Die Unionsfraktion will nach Angaben ihres Parlamentsgeschäftsführers Thorsten Frei bei der Vertrauensfrage geschlossen gegen Kanzler Olaf Scholz stimmen. "Wir werden ihm 196-fach das Misstrauen aussprechen", sagte Frei. Er gehe davon aus, dass es bei der Abstimmung keine Überraschungen geben wird.
Mihalic empfiehlt Grünen Enthaltung
Vor der Abstimmung über die Vertrauensfrage hat die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, ihrer Fraktion eine Enthaltung nahegelegt. "Denn um zu einer Neuwahl des Deutschen Bundestages zu kommen, muss die Vertrauensfrage scheitern. Mit unserer Enthaltung können wir dies sicherstellen und damit Neuwahlen ermöglichen", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vom Montag.
Mützenich: Blick geht nun nach vorn
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat sich kurz vor der Abstimmung über die Vertrauensfrage enttäuscht über das Scheitern der Ampel-Koalition geäußert. Allerdings könne der Blick nun auch nach vorne gerichtet werden, sagte er im ARD-Morgenmagazin.
Wie der Tag ablaufen soll
Zum politischen Alltag gehört die Vertrauensfrage nicht. In der Geschichte der Bundesrepublik wurde sie bisher nur fünf Mal gestellt. Dementsprechend ist das Prozedere etwas Besonderes. Der Ablauf steht in groben Zügen fest:
- Um 13 Uhr beginnt die Sitzung des Bundestages.
- In einer etwa 25 Minuten langen Rede wird Scholz die Vertrauensfrage erläutern.
- Danach ist eine Aussprache von zwei Stunden geplant. Vertreter von allen Fraktionen und Gruppen werden dann wohl sprechen.
- Gegen 15:30 Uhr findet die namentliche Abstimmung über die Vertrauensfrage statt - wer wie abgestimmt hat, wird später online veröffentlicht.
- Sollte Scholz keine Mehrheit bekommen, wird er danach ins Schloss Bellevue fahren und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier darum bitten, den Bundestag aufzulösen und eine Neuwahl anzusetzen.
Die SPD-Fraktion wird Kanzler Olaf Scholz bei der Vertrauensabstimmung das Vertrauen aussprechen, kündigte Fraktionschef Rolf Mützenich an. "Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Bundeskanzler allen Zuspruch geben, den er braucht, aber den er auch verdient hat."
Drei AfD-Abgeordnete für Scholz
Drei AfD-Abgeordnete wollen nach Angaben von Parteichefin Alice Weidel bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage für Kanzler Olaf Scholz stimmen. Diese sorgten sich "um einen Kriegskanzler Friedrich Merz", der damit zündele, "Taurus"-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern, sagte Weidel - alle anderen AfD-Abgeordneten würden Scholz aber nicht das Vertrauen aussprechen.
Heute ist es soweit: Kanzler Scholz stellt im Bundestag die Vertrauensfrage. Wie das abläuft und wie es in den kommenden Wochen weitergeht: Ein Überblick.
Was geht im Bundestag noch bis zur Neuwahl? Mit Blick auf mögliche Gesetzesvorhaben offenbar nicht mehr viel. Das Parlament wäre zwar noch beschlussfähig. Doch der Regierung fehlt eine Mehrheit. Die Union will nur über Vorhaben sprechen, die "zwingend geregelt werden müssen".
Grüne werden sich wohl enthalten
Nach Informationen von ARD-Korrespondent Christoph Mestmacher zeichnet sich ab, dass sich die Grünen bei der Vertrauensfrage enthalten werden - "die vornehme Version des Neins".