U.S. Securities and Exchange Commission Gebäude in Washington
analyse

Klagen gegen Handelsplattformen Wie geht es weiter auf dem Kryptomarkt?

Stand: 08.06.2023 08:30 Uhr

Die US-Börsenaufsicht hat die größten Kryptobörsen der Welt verklagt. Für die Plattformen könnte es das Ende bedeuten. Doch was bedeutet der Schritt für Geschäfte mit virtuellem Geld insgesamt?

Von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion

Zum wiederholten Male muss die Kryptobranche in dieser Woche negative Schlagzeilen verdauen. Einen Tag nach der Klage gegen die weltgrößte Kryptobörse Binance zerrte die US-Börsenaufsicht (SEC) in dieser Woche auch den Konkurrenten Coinbase vor Gericht. Die Firma betreibe eine nicht lizenzierte Handelsplattform, schrieb SEC-Chef Gary Gensler auf Twitter.

Bislang herrschten auf dem nahezu unregulierten Kryptomarkt seiner Ansicht nach "Wild-West-Methoden". Das will die Behörde mit ihren beiden Klagen nun ändern - doch was bedeuten sie konkret für die Szene und ihre Akteure?

Coinbase und Binance in der Existenz bedroht

"Die Klagen der SEC sind für die jetzigen Akteure mit ihren Handelsplattformen eine große Existenzbedrohung, weil sie beschuldigt werden, wissentlich gegen ein bestehendes Gesetz verstoßen zu haben", erklärt Jan Pieter Krahnen, emeritierter Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung (SAFE) in Frankfurt, gegenüber tagesschau.de. Die Strafen seien in solchen Fällen extrem hart.

Die SEC wirft Binance und Coinbase vor, auf illegale Weise Finanzgeschäfte und Dienstleistungen ohne Zulassung zu betreiben. Denn die Börsenaufsicht stufe die Anlagen als Wertpapiere ein, die dementsprechend von den Unternehmen hätten registriert werden müssen, hieß es in der Klageschrift. So werden Anleger laut Gensler eines wichtigen Schutzes vor Betrug und Manipulation beraubt.

Gary Gensler

Gary Gensler ist Chef der US-Börsenaufsicht SEC.

Die weltgrößten Kryptoplattform Binance und ihren Chef Changpeng Zhaon beschuldigte die SEC zudem, in ein "umfangreiches Netz von Täuschungen, Interessenkonflikten, mangelnder Offenlegung und kalkulierter Umgehung des Gesetzes" verwickelt zu sein.

Außerdem soll Binance Irreführung der Anleger, Manipulation von Börsenumsätzen mit Hilfe von Scheingeschäften und die Umleitung von Geldern begangen haben. Die Vorwürfe gegen Coinbase gehen in eine ähnliche Richtung. Neben der fehlenden Lizenz hat es die SEC bei der Firma auch auf das sogenannte Staking abgesehen, das ebenfalls staatlich lizenziert werden müsste. Dabei stellen Nutzer ihr Cyber-Geld den Schürfern zur Verfügung, damit diese den Zuschlag für die Verifizierung einer Transaktion erhalten. Als Gegenleistung bekommen sie einen Teil der Gebühr. Wie realistisch die Klagen sind, ist Fachmann Krahnen zufolge schwierig einzuschätzen.

Coinbase-Kunden ziehen viele Millionen Dollar ab

Die beiden Kryptobörsen versuchen derweil, ihre Investoren zu beruhigen. Coinbase-Anwalt Paul Grewal sagte, die Kryptobörse setze ihre Arbeit unverändert fort und habe bewiesen, sich an Regeln zu halten. Coinbase-Chef Brian Armstrong betonte zudem, die SEC habe das Geschäftsmodell im Zusammenhang mit dem Börsengang im Jahr 2021 überprüft und damals keine Einwände gehabt. Auch Binance hatte die Vorwürfe als unbegründet bezeichnet und betont: "Wir werden uns energisch verteidigen." Beide Firmen verkündeten, die Kundengelder seien sicher.

Das spiele allerdings eine untergeordnete Rolle, sagt Krahnen. "Auch wenn die Kunden nur das Gefühl bekommen, die Plattformen seien in ihrer Existenz bedroht, werden sie sich abwenden und ihre Gelder abziehen. Dann geraten diese wiederum wirklich in Existenznot", so Krahnen. Das Ganze ist ansteckend wie ein Bank-Run - ähnlich wie bei der Insolvenz der FTX. Auch im Fall des ehemaligen Schwergewichtes war es nach Zweifeln an den Kapitalreserven zu einer Kundenflucht und Mittelabzügen in Milliardenhöhe gekommen.

Tatsächlich zogen auch die Coinbase-Kunden binnen weniger Stunden nach Bekanntgabe der Klage mehr als 57 Millionen Dollar von ihren Konten ab. Gleichzeitig gingen die Aktien der Handelsplattform auf Talfahrt und fielen zeitweise um fast 21 Prozent. Der Binance Coin, nach Angaben des Branchendienstes CoinMarketCap.com mit einer Marktkapitalisierung von etwa 43,7 Milliarden Dollar die viertgrößte Kryptowährung der Welt, brach zu Wochenbeginn ebenfalls um gut zehn Prozent ein.

Am "beleuchteten Tisch" statt im "dunklen Hinterzimmer"

Inzwischen hat die SEC zusätzlich zur Klage bei einem amerikanischen Bundesgericht eine vorübergehende einstweilige Verfügung beantragt, um die US-Vermögenswerte von Binance einfrieren zu lassen. Man habe bei den Ermittlungen aktiv kooperiert, teilte das Unternehmen im firmeneigenen Blog mit. Dass die US-Börsenaufsicht trotzdem Klage eingereicht habe, sei entmutigend. "Die Aktionen der SEC untergraben Amerikas Rolle als globales Zentrum für finanzielle Innovationen und Führung", hieß es von Binance weiter.

Dem Branchendienst CryptoCompare zufolge wickelte die 2017 gegründete Börse im vergangenen Jahr Transaktionen im Volumen von 23 Billionen Dollar ab. Coinbase verfügt derweil über einen Stamm von 108 Millionen Kunden, die Ende März insgesamt 130 Milliarden Dollar in Cyber-Devisen angelegt hatten. Über beide Kryptobörsen wird etwa 60 Prozent des weltweiten Handelsvolumens von Bitcoin & Co. abgewickelt. Ist das Vorgehen der SEC also ein weiterer schwerer Dämpfer für die Branche?

"Die Idee der SEC, dass Kryptowährungen zu behandeln sind wie andere Wertpapiere auch, führt langfristig zu einer Integration dieses Bereichs in den traditionellen Kapitalmarkt", sagt Experten Krahnen. Dadurch gestalte sich der Markt zukünftig neu. Während es für die Eigentümer der Plattformen ein schwerer Schlag sei, könne es für die Kryptowelt insgesamt auch eine Chance sein. "Die Branche kann sich Hoffnung machen, statt im dunklen Hinterzimmer bald am beleuchteten Tisch zu sitzen", so Krahnen. Bisher hätten das alle Regulatoren abgelehnt.

Mehr Sicherheit für Investoren?

Auch Privatanleger könnten von einer Einbeziehung in den herkömmlichen Finanzmarkt profitieren. "Wenn die digitalen Produkte durch den normalen Überwachungsprozess laufen, wären die halsbrecherischen Aktionen hinter dem Rücken der Anleger nicht mehr so leicht möglich", sagt Krahnen. Eine dauerhafte Beobachtung der Geschäfte bedeute mehr Sicherheit für die Investoren.

Doch an dieser Stelle kommt laut dem Finanzforscher womöglich auch die Intention von SEC-Chef Gensler ans Licht: "Die Integration und Legalisierung der Kryptomärkte könnten auf lange Sicht zum Ende dieser Handelsplattformen beitragen - nicht wegen der Klagen, sondern weil sie im Rampenlicht einer überwachten und transparenten Öffentlichkeit keine wirkliche Überlebenschance haben."