Tarifrunde im öffentlichen Dienst "Acht Prozent ist völlig utopisch"
Ende Januar starten die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Der Ökonom Marcel Fratzscher vom Berliner DIW kritisiert die Lohn-Forderung der Gewerkschaften im Interview.
tagesschau.de: Ende Januar steht die erste Tarifrunde für den öffentlichen Dienst an - kurz vor den Neuwahlen. Hat das einen Effekt auf die Verhandlungen?
Marcel Fratzscher: Wir haben trotz Neuwahlen eine Regierung. Und man erwartet von einer Regierung, genau wie vom öffentlichen Dienst, dass sie immer arbeitsfähig ist. Insofern ist es richtig von der Politik, sich nicht hinter Neuwahlen zu verstecken.
"Haushalte sind überall auf Kante genäht"
tagesschau.de: Allerdings könnten die Wahlen einen politischen Kurswechsel nach sich ziehen. Unions-Spitzenkandidat Friedrich Merz hat gesagt, dass er im öffentlichen Dienst sparen will. Greift man da nicht vor?
Fratzscher: Eigentlich sollten Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst keine politische Entscheidung sein, sondern eine, die inhaltlich Sinn macht. Da sollte mit kühlem Kopf analysiert werden, was das Richtige ist, was zu tun ist und was die Kassenlage sagt.
Weiterer zentraler Punkt der Arbeitnehmerseite: die Einrichtung eines flexiblen Arbeitszeitkontos. Darauf könnten Lohnerhöhungen oder auch Überstunden freiwillig gebucht werden - und dann am Ende eines bestimmten Zeitraums für eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, zusätzliche freie Tage oder längere Freistellungsphasen genutzt werden. Profitieren würden etwa Beschäftigte von Nahverkehr, Müllabfuhr, Rathäuser, Kitas und zahlreichen anderen Bereichen.
Die Arbeitgeberseite, etwa die Vereinigung der kommunalen Unternehmen, sieht die Forderungen als zu weitreichend angesichts der klammen Haushaltslage an. Für den Bund verhandelt Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Direkt oder indirekt betroffen von dem Abschluss sind laut dbb mehr als 2,6 Millionen Beschäftigte.
tagesschau.de: Die Gewerkschaften fordern acht Prozent mehr Lohn, mindestens aber 350 Euro mehr. Halten Sie das für machbar?
Fratzscher: Acht Prozent - das ist völlig utopisch und unverantwortlich. Die öffentlichen Haushalte sind überall auf Kante genäht. Das sieht man an Ländern wie Berlin, die kürzen beim Sozialen, bei der Daseinsvorsorge, bei Kunst und Kultur. Wenn man da acht Prozent Lohnplus fordert, muss noch drastischer gespart werden.
Auch die Wirtschaft lahmt und wird auch in diesem Jahr nicht auf die Beine kommen, mehr Einnahmen sind da nicht zu erwarten.
Extraurlaubstag für Gewerkschaftstmitglieder?
tagesschau.de: Die Gewerkschaft argumentiert, dass mit höheren Löhnen die Wirtschaft angekurbelt werden könne - und das Staatssäckel entsprechend voller wird. Funktioniert das nicht?
Fratzscher: Doch, aber den größten Effekt hat man dort, wo Löhne sehr niedrig sind. Dort wird quasi jeder zusätzliche Euro ausgegeben. Von niedrigen Löhnen kann man im öffentlichen Dienst aber meist nicht sprechen, oft sind die Löhne dort sogar überdurchschnittlich hoch. Eine starke Ankurbelung der Wirtschaft kann man da kaum erwarten. Die Gewerkschaften sollten lieber von dieser immensen Forderung Abstand nehmen.
tagesschau.de: Eine weitere Forderung der Gewerkschaften sind drei zusätzliche Urlaubstage - außerdem ein extra Urlaubstag für Gewerkschaftsmitglieder. Was halten Sie davon?
Fratzscher: Das wäre eine weitere versteckte Lohnerhöhung - pro zusätzlichem Urlaubstag geht es um etwa 0,4 Prozent. Die Forderung nach Sonderurlaub für Gewerkschaften halte ich für falsch. Die Gewerkschaften sollten sich daran erinnern, dass es ihre Aufgabe ist, für die Belegschaft zu verhandeln und nicht nur für ihre Mitglieder.
"Richtungsweisend für gesamte Wirtschaft"
tagesschau.de: Die Arbeitgeberseite hat die Forderungen mit Verweis auf die klamme Haushaltslage schon zurückgewiesen. Rechnen Sie mit harten Streiks?
Fratzscher: Ich hoffe nicht, dass man so unverantwortlich ist und im öffentlichen Dienst einen Streik vom Zaun bricht. Der Arbeitskampf ist in der Demokratie ein wichtiges Gut, so kann man für seine Interessen kämpfen. Nur wir müssen uns bewusst machen, über wen wir sprechen. Es geht nicht um eine extrem prekäre Branche, sondern eine, wo die Löhne oft überdurchschnittlich sind.
tagesschau.de: Wie wichtig sind die Ergebnisse der jetzigen Tarifrunde über den öffentlichen Dienst hinaus?
Fratzscher: Die Abschlüsse sind richtungsweisend für die gesamte Wirtschaft. Es besteht ein Wettbewerb um Fachkräfte. Und wenn der öffentliche Dienst jetzt um acht Prozent erhöht, wird es schwer für Unternehmen, da nicht nachzuziehen. Und auch in anderen Branchen, wo in diesem Jahr noch Verhandlungen anstehen, wird sich an dem Abschluss orientiert.
Die Fragen stellte Alina Leimbach, ARD-Finanzredaktion.