Mitarbeiter von VW in Wolfsburg im Warnstreik
analyse

VW, BMW, Mercedes So tief stecken die deutschen Autobauer in der Krise

Stand: 17.12.2024 09:03 Uhr

Stellenabbau, Gewinneinbruch, Streiks: Die deutsche Autoindustrie ist in einer schwierigen Lage. Aber kommen einige Hersteller besser durch die Krise als andere? Ein Überblick.

Von Lilli-Marie Hiltscher, ARD-Finanzredaktion

Es sind harte Verhandlungen: Die neue Runde der Tarifgespräche bei Volkswagen geht heute in den zweiten Tag. Beide Seiten wollen versuchen, ihren Streit über Lohnkürzungen, mögliche Werkschließungen und Entlassungen noch vor Weihnachten beizulegen.

Hintergrund sind alle möglichen schlechten Nachrichten aus der Branche - besonders die vergangenen Monate liefen für die deutschen Autobauer VW, BMW und Mercedes nicht gut. "Hinter den deutschen Autobauern liegt ein rabenschwarzes Quartal", sagt Constantin M. Gall, Managing Partner und Leiter Mobility bei EY für die Region Europe West. Doch wie sieht es bei den großen Herstellern VW, BMW und Mercedes im einzelnen aus?

Volkswagen: Krisenstimmung trotz hoher Gewinne

Krisenstimmung beim größten deutschen Autobauer: Werkschließungen stehen bei VW ebenso zur Debatte wie betriebsbedingte Kündigungen. Der Autobauer kündigte nach einer Führungskräftetagung jüngst zudem die bis 2029 geltende Beschäftigungssicherung auf, die seit 1994 immer wieder fortgeschrieben worden war.

Dabei stand der Konzern mit Blick auf Umsatz und Gewinn in den vergangenen Jahren noch gut da: "Der Volkswagen-Chef Blume hat im September die Krise der Autoindustrie ausgerufen, wenngleich für Volkswagen die letzten drei Jahre, und voraussichtlich auch 2024, die gewinnstärksten Jahre aller Zeiten waren", so Frank Schwope, Lehrbeauftragter für Automobilwirtschaft der Fachhochschule des Mittelstands Hannover gegenüber tagesschau.de. 2023 verbuchte der Konzern laut Jahresbericht einen neuen Rekordumsatz von rund 332,3 Milliarden Euro - ein Plus von rund 15 Prozent. Und auch im Zeitraum Januar bis September 2024 stiegen die Umsatzerlöse im Vergleich zum Vorjahr erneut, auf 237,3 Milliarden Euro.

Entsprechend hoch fielen auch die Beteiligungen für Aktionäre aus. "Volkswagen hat dieses Jahr eine Dividende in Höhe von 4,5 Milliarden Euro ausgeschüttet, und 2023 eine Dividende von 4,4 Milliarden Euro sowie eine Sonderdividende von 9,6 Milliarden Euro. Dies zeigt, dass die Konzerne nicht auf staatliche Hilfe angewiesen sind", so Experte Schwope. Hinzu kommt: Im Vergleich der DAX-Unternehmen leistet sich Volkswagen das teuerste Kontrollgremium. Die Aufsichtsräte erhielten 2023 Vergütungen von insgesamt rund 7,5 Millionen Euro und damit 42 Prozent mehr als 2022.

Warum aber herrscht dann gerade Krisenstimmung in Wolfsburg? "Die Gewinne der letzten drei Jahre waren auch durch Corona-Effekte verzerrt. Das Management hat gehofft, die hohen Gewinne in die Zukunft einfach fortschreiben zu können, was aber illusorisch ist", sagt Frank Schwope. Das zeigt sich bereits in der Zwischenbilanz 2024: Der Autoabsatz ging in den ersten neun Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als vier Prozent zurück. In China war der Rückgang mit mehr als zehn Prozent besonders deutlich.

Für den Konzern ist das problematisch, ist der chinesische Markt doch nach Europa der wichtigste Absatzmarkt für VW. Doch dort laufen günstiger produzierende und innovativere inländische E-Autohersteller den Wolfsburgern deutlich den Rang ab. VW hat derzeit kein konkurrenzfähiges E-Auto, das mit den chinesischen Marken mithalten kann.

Hinzu kommt, dass der Absatz der VW-Tochter Audi eingebrochen ist, zu der neben der Marke Audi auch Bentley, Lamborghini und Ducati gehören. In den ersten neun Monaten 2024 sind die Auslieferungen um 10,9 Prozent zurückgegangen. Die Marke Audi verlor dabei auf allen wichtigen Märkten - in Europa, den USA und in China. Damit wird das Tochterunternehmen für den gesamten Konzern zum Sorgenkind, auch hier stehen nun Werksschließungen im Raum. So wird etwa die Produktion von Elektroautos im Audi-Werk in Brüssel eingestellt, 3.000 Mitarbeiter sind betroffen.

BMW: Keine Kündigungen, schwieriges China-Geschäft

"Von den drei großen deutschen Autokonzernen steht BMW auch aufgrund seiner Flexibilität und Technologieorientierung am stärksten da", urteilt Experte Schwope gegenüber tagesschau.de. Zudem spreche es für den Konzern, dass sich BMW-Chef Oliver Zipse jüngst gegen die Verschiebung der CO2-Ziele für 2025 ausgesprochen habe. Bei BMW setzt man zwar auf Technologieoffenheit, doch Zipse betont gegenüber der Branchenzeitung "Automobilwoche" auch, die E-Mobilität werde "für die nächsten Jahre unser stärkster Wachstumstreiber bleiben".

Das Unternehmen kann hier Erfolge verzeichnen: In den ersten neuen Monaten dieses Jahres stiegen die Auslieferungen elektrifizierter Autos des Konzerns um mehr als sechs Prozent, obwohl auch für den Münchner Konzern die zurückhaltenden Käufer in China zuletzt zum Problem wurden. Im selben Zeitraum sind die Auslieferungen dort um mehr als 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen, die Umsatzerlöse gingen um rund sechs Prozent auf rund 106 Milliarden Euro zurück.

Noch gravierender ist die Situation beim Blick auf das vergangene Quartal: Um rund 30 Prozent gingen die Auslieferungen in China im Vergleich zu Vorjahreszeitraum zurück, der Umsatz fiel im um fast 16 Prozent auf 32,4 Milliarden Euro. Neben der Kaufzurückhaltung in China belasteten BMW zuletzt auch Problemen mit einem vom Continental gelieferten Bremssystem. In der Folge musste der Konzern weltweit 1,5 Millionen Fahrzeuge zurückrufen oder stoppte deren Auslieferung.

Trotzdem sieht man bei BMW von ähnlich radikalen Maßnahmen, wie sie bei VW gerade im Raum stehen, ab: Weder stehen Werksschließungen im Raum, noch wurde die Beschäftigungssicherung in Frage gestellt. Finanzielle Auswirkungen für die Mitarbeiter hat die aktuelle Situation für die Beschäftigten dennoch. So hat der Konzern die "Bemessungslogik" für die Erfolgsbeteiligung der Mitarbeiter angepasst, wie ein Unternehmenssprecher auf Anfrage von tagesschau.de mitteilte. Für 2025 und 2026 werde außerdem das Weihnachtsgeld auf 85 Prozent des individuellen Anspruchs temporär gesenkt. Und auch das sogenannte Jubiläumsgeld entfällt für die BMW-Mitarbeiter ab dem 1. Januar 2027.

Mercedes-Benz: Sparprogramm

Sinkende Umsätze und geringe Absatzzahlen - darunter leidet auch der Premiumhersteller Mercedes-Benz. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Umsatz in den ersten neun Monaten dieses Jahres um fünf Prozent gesunken. Besonders im dritten Quartal dieses Jahres waren die Belastungen hoch: Der Nettogewinn ging im Vergleich zum Vorjahresquartal um knapp 54 Prozent auf 1,72 Milliarden Euro zurück, wie das Unternehmen mitteilte. Der Umsatz sank um 6,7 Prozent auf 34,5 Milliarden Euro.

Einer der Gründe sind die schlechten Absatzzahlen elektrifizierter Autos. In den ersten neun Monaten 2024 gingen sie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund acht Prozent zurück. Hinzu kommen auch hier Probleme auf dem chinesischen Markt - Mercedes-Benz erlitt dort einen Absatzrückgang von rund zehn Prozent. "Fehlende, strukturelle Anpassungen, die Disruption zur Elektromobilität und die Schwierigkeiten auf dem chinesischen Markt sowie die neuen chinesischen Hersteller auf dem Weltmarkt führen dazu, dass viele Automobilvorstände Angst vor einer großen Krise haben", so Frank Schwope.

Im November hatte das Unternehmen daraufhin Sparmaßnahmen angekündigt. Wie das "Manager Magazin" berichtet, wollen Konzernchef Ola Källenius und Finanzvorstand Harald Wilhelm bis 2027 rund fünf Milliarden Euro einsparen, Insidern zufolge stehen bis zu zehn Prozent der Arbeitsplätze auf dem Spiel - und zwar in allen Bereichen, von Entwicklung bis Verwaltung. Das wären mehr als 20.000 Stellen. Ein Sprecher des Unternehmens wollte die Zahlen nicht kommentieren, sondern verwies auf frühere Aussagen, wonach die Schwaben in den kommenden Jahren die Kosten um mehrere Milliarden Euro jährlich senken wollen.

Ein Baustein, um Kosten zu sparen: Der Verkauf der konzerneigenen Autohäuser. Das Unternehmen führt nach eigenen Angaben derzeit Gespräche mit potenziellen Käufern. Betroffen sind nach früheren Angaben von Mercedes-Benz etwa 8.000 Mitarbeiter in rund 80 Betrieben. Zudem baut Konzernchef Källenius nun auch den Vorstand um. Auf vier Positionen kommt es zu Wechseln, wie der Stuttgarter DAX-Konzern jüngst mitteilte. Den wichtigen Posten für den chinesischen Markt übernimmt Oliver Thöne, aktuell Leiter für Produktstrategie und Steuerung.

Aktienkurse sind eingebrochen

Die großen deutschen Autobauer leiden alle unter ähnlichen Problemen. "Die Rekordmargen der Nach-Corona-Jahre haben tiefliegende strukturelle Probleme verdeckt, die jetzt schonungslos zutage treten", urteilt Constantin M. Gall von EY: "Im Elektrobereich fällt es der deutschen Autoindustrie schwer, das Tempo der neuen Angreifer etwa aus China mitzugehen." Die kommenden Jahre könnten für die Hersteller "brutal werden".

An den Börsen wird das bereits jetzt deutlich: Die im DAX gelistete Vorzugsaktie von VW hat seit Januar mehr als 20 Prozent verloren. Auch die BMW-Aktie ist im Vergleich zum Jahresanfang um mehr als 20 Prozent gefallen. Und die Mercedes-Aktie verlor mehr als zehn Prozent.