Gesundheit Mit evidenzbasierter Physiotherapie gegen Arthrose
Jedes Jahr werden in Deutschland Zehntausende Gelenkersatz-OPs an Knie oder Hüfte durchgeführt - aber sind alle wirklich nötig? Mit der richtigen Physiotherapie könnte die ein oder andere vermieden werden.
Viele Menschen leiden unter Arthrose in Hüfte und Knien, der schwindende Knorpel zwischen den Knochen macht sich bei manchen sehr schmerzhaft bemerkbar. Als letzter Ausweg gilt eine Endoprothese, ein künstliches Gelenk. Zuvor aber sollte eine "konservative" Behandlung mittels Physiotherapie und Medikamenten erfolgen. Und nur, wenn die keinen Erfolg bringt, soll operiert werden, so die Behandlungsleitlinien.
Damit nicht zu voreilig operiert wird, können Patientinnen und Patienten sich vor Knieendoprothesen bereits eine Zweitmeinung einholen, ab Juli dieses Jahres gilt das auch für Hüftendoprothesen.
Dass strukturierte Physiotherapieangebote gut geeignet sind, Gelenkersatz an Knie oder Hüfte zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern, ist wissenschaftlich gut belegt. Dabei ist Physiotherapie in der Lage, sowohl den Schmerz zu bekämpfen als auch die Beweglichkeit und Funktion zu verbessern.
Keine einheitlichen Standards in Deutschland
Doch welche Übungen helfen bei Arthrose in Knie- und Hüftgelenk? In Deutschland reicht die Palette der Therapien von Wärmebehandlung über Ultraschall und Elektrotherapie bis hin zu Massagen. Nichts davon ist qualitätsgesichert auf seine Wirkung bei Knie- und Hüftarthrose untersucht. Das heißt, die eine Physiotherapiepraxis kann, ausgehend von der gleichen Verordnung, etwas ganz anderes anbieten als eine andere Praxis.
Anders in Dänemark. Hier haben Physiotherapeutinnen und -therapeuten vor mehr als zehn Jahren ein Konzept entwickelt, das Teilnehmende durch Aufklärung, Lebensstiländerung und Aktivität langfristig zu einem eigenverantwortlichen Gesundheitsmanagement befähigen soll. "GLA:D" steht ursprünglich für "Good Life with osteoArthritis in Denmark" (Gutes Leben mit Arthrose in Dänemark) und ein strukturiertes, dreimonatiges Trainingsprogramm, wie es mittlerweile in mehr als zehn Ländern praktiziert wird. Mit standardisierten Übungen und Schulungsmaterial, das überall gleich zum Einsatz kommt. Mehr als 110.000 Menschen haben daran bislang teilgenommen.
3-2-12 Modus
GLA:D besteht aus drei Einzeltherapiesitzungen, in denen Fitness und Beschwerden ermittelt werden. Hinzu kommen zwei Termine, bei denen die Patientinnen und Patienten mehr über ihre Krankheit und die Therapieoptionen erfahren und lernen, was sie selbst tun können, um ihre Beschwerden zu bessern. Geübt wird an zwölf Terminen in kleinen Gruppen von maximal fünf Teilnehmenden, jeweils eine Stunde lang.
Und zwar ohne große Gerätschaften, sondern mit einfachen Hilfsmitteln, die auch zu Hause verfügbar sind - etwa Treppensteigen, vom Stuhl aufstehen, Kniebeugen. Der Gedanke: Das Programm soll für jeden und jede auch nach Ende der dreimonatigen Trainingsphase durchführbar sein. Zum Abschluss gibt es eine weitere Einzeluntersuchung, um zu ermitteln, was das Programm gebracht hat.
Wissenschaftliche Begleitung schafft Transparenz
Um die Effizienz des Konzepts zu ermitteln, setzten die Dänen von Anfang an auf kleine Leistungstests und ausführliche Befragungen ihrer Patientinnen und Patienten: zu Beginn, nach drei Monaten und ein Jahr nach Ende der Therapie.
Die Ergebnisse: 28 Prozent der Knie- und 21 Prozent der Hüftpatienten hatten nach Abschluss des Trainingsprogramms weniger Schmerzen. Entsprechend sank der Konsum von Schmerzmitteln. Die Menschen schafften eine längere Gehstrecke und die Lebensqualität stieg - und das sogar langfristig. Der positive Effekt ließ sich auch ein Jahr später noch nachweisen.
Noch keine flächendeckende Versorgung
GLA:D ist in Deutschland bislang nur für Versicherte der Barmer Krankenkasse in Nordrhein-Westfalen und acht kleinerer Betriebskrankenkassen zugänglich - als Pilotprojekt. Ärzte und Physiotherapeuten müssen sich bei GLA:D einschreiben - interessierte Patientinnen und Patienten, die nicht bei einer der teilnehmenden Krankenkassen versichert sind, können als Selbstzahler am Programm teilnehmen.
Ob und wann das dänische Konzept flächendeckend und auf Rezept in Deutschland verfügbar sein wird, ist noch unklar. Die Barmer Krankenkasse allerdings verspricht sich von GLA:D eine verbesserte Versorgung ihrer Versicherten - die durch weniger Krankschreibungen und weniger operative Eingriffe zudem Kosten sparen würde.