Afghanistans Opposition "Wir sind völlig allein"
In Afghanistan scheint die Macht der Taliban gefestigt zu sein. Doch die Opposition hofft, sie in wenigen Jahren vertreiben zu können - wenn der Westen hilft. In Wien beriet sie über Wege dorthin.
Der Geistliche Maskour Kabuli lächelt etwas gequält: "Ach, wir sind Afghanen", sagt er, "vor dem Kampf gegen die Taliban kommt der Kampf gegen unser Ego". Der Opposition gegen die Taliban fehlt der Schulterschluss der unterschiedlichen ethnischen und gesellschaftlichen Gruppen.
Aber hier, in Wien, im Bruno-Kreisky-Forum, sei man weitergekommen, sei jetzt "unter einem gemeinsamen Schirm", habe gemeinsame Arbeitsgruppen vereinbart, und am Ende stand eine gemeinsame Erklärung.
"Wir haben nichts"
Alles andere klingt eher hoffnungslos. Zwei Dutzend Demonstranten standen vor der alten Villa im Heurigen-Viertel Wien-Grinzing, die denen drinnen signalisieren wollen: Ihr seid nicht allein. Genau das beklagt Ahmad Massoud nach dem mehrtägigen Treffen: "Wir sind völlig allein, und man hat uns aufgegeben. In der Region, in der Welt. Wir haben nichts."
Massoud ist der selbsternannte, hier aber von fast allen akzeptierte führende Kopf der afghanischen Opposition. Er führt den Kampf seines Vaters weiter. Ahmad Shah Massoud, im Westen besser bekannt als "Der Löwe von Pandschir", war einer der wichtigsten Taliban-Gegner und wurde zwei Tage vor den Anschlägen auf das World Trade Center in New York getötet.
Ahmed Massoud versucht, vom Ausland aus die Taliban zu stürzen. Sein Vater war ein führender und zugleich berüchtigter Gegner der Taliban.
"Kein vorrangiges Problem mehr für die Welt"
Das ist lange her. Jetzt, im grau-verregneten Wien, bleibt Ahmad Massoud nur die nüchterne Erkenntnis: "Afghanistan ist kein vorrangiges Problem mehr für die Welt. Die Lage ist: Afghanistan ist in gewisser Weise vergessen!"
Oder vielleicht auch aufgegeben? Weil die Taliban im Moment unangefochten alle Macht in Afghanistan haben und das auch gerne demonstrieren?
Auf die Frage, was er von der Nachricht halte, die Taliban hätten den Drahtzieher des Anschlags vom Kabuler Flughafen im Sommer 2021 getötet, einen Anführer der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS), fragt Massoud rethorisch zurück, was heiße schon Drahtzieher. Ein taktisches Manöver nennt er die Nachricht und nutzt die Gelegenheit, Taliban und IS gleichzusetzen: "Was macht der IS, was die Taliban nicht auch machen?"
Der einzige Unterschied sei, dass die Taliban ihren Terror nur innerhalb Afghanistans ausübten und dem IS Grenzen egal seien: "Die Taliban scheren sich um nichts, um nichts, was die Welt sagt, was die Region sagt, oder was die Menschen in Afghanistan sagen."
Appell an die Welt
Das werde man ändern, sagt Massoud; er hat sich warmgeredet, und seine Mitstreiter am Tisch stimmen ihm zu. Sein Rückblick verheißt allerdings nichts Gutes: Sie hätten am Anfang alles versucht, um mit den Taliban zu reden. Die aber hätten nur die Kapitulation ihrer Gegner gewollt.
Bleibt also erstmal nur der Appell an die Welt, dafür nicht das ganze afghanische Volk in Haftung zu nehmen. Die Menschen in Afghanistan hätten die Demokratie nicht scheitern lassen, beschwört Massoud die, die ihm zuhören. Sie seien zur Wahl gegangen, hätten zu demokratischen Werten und den Rechten der Frauen gestanden - aber alles verloren.
Frauen wünschen sich mehr Unterstützung
Im Tagungsraum nebenan sitzt eine Gruppe afghanischer Frauen, diskutiert über die gemeinsame Erklärung. Keine von ihnen trägt ein Kopftuch, nur bei der Pressekonferenz, wenn die Welt zuschaut, wird ein dünnes Tuch über den Hinterkopf gelegt.
Anya Yilmaz vertritt dort die Sache der afghanischen Frauen und wiederholt, was eigentlich alle wissen: "Die Taliban akzeptieren Frauen nicht als menschliche Wesen, sie akzeptieren sie nicht in Rollen außerhalb des Haushalts."
Alle nicken, aber die wichtigere Botschaft soll nicht untergehen: Auch die Frauen aus Afghanistan, im Widerstand, wünschen sich dringend mehr Unterstützung, mahnt Yilmaz.
Hoffnung auf einen Sturz der Taliban
Die Stimmung bei diesem schon zweiten, von Nicht-Regierungsorganisationen unterstützten Treffen des afghanischen Widerstands ist positiv-kämpferisch. Man klopft sich gegenseitig auf die Schultern. Oder ist es ein gegenseitiges Festhalten?
Der "Seelsorger", wie er sich nennt, Massouds Mitstreiter Maskour Kabuli, ist in Wien für die Hoffnungen zuständig - nach einem sehr persönlichen Glaubensbekenntnis: "Ohne Demokratie kann ich nicht atmen", sagt er; er lebt seit langem in Deutschland. Kabuli wagt auch eine Prognose, die alle anderen Befragten ausnahmslos verweigert haben: "Ein Jahr, zwei Jahre, nicht mehr als fünf Jahre", dann seien die Taliban weg.
Die anderen verteilen unterdessen schon mal die "Wiener Erklärung" der Gemeinsamkeiten der afghanischen Opposition. Das war erst das zweite Treffen, es soll ein drittes, viertes geben. In Wien. Sicher nicht so bald in Kabul.